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Ausgabe:

1898 Nr. 8

Spalte:

228

Autor/Hrsg.:

Heinzelmann, M.

Titel/Untertitel:

Christentum und moderne Weltanschauung 1898

Rezensent:

Heinrici, Carl Friedrich Georg

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Seite 1

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227

Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 8.

228

Gründer der bekenntnifstreuen Kirche im Weiten' fchil-
dert. Auf diefe letztere Thefe, die verkannte Wahrheit
in ihr Recht einfetzen foll, ift der Verf. nicht wenig ftolz.
Allein diefelbe ift, in diefer Allgemeinheit ausgefprochen,
ein Irrthum. Löhe trat nach Wyneken's Aufruf 1842 durch
die Ausbildung und Ausfendung feiner Nothhelfer in die
Arbeit ein. Schon 1839 landeten Stephan und feine Anhänger
, feit 1841 war Walther ihr anerkannter Führer.
Bis 1846 ging die Arbeit beider — Löhe's und Walther's

— gefondert vor fich. Nach der Vereinigung unter-
ftützte Löhe allerdings Miffouri einige Jahre hindurch.
Aber fchon 1850 wurden feine eigenen Sendlinge ,mifs-
trauifch gegen ihn', 1853 war der Bruch entschieden,
Miffouri hatte auch das ganze Löhe'fche Gebiet für fich
gewonnen, die paar übrig gebliebenen Getreuen wanderten
aus Michigan nach Jowa aus und gründeten dort die
Synode diefes Namens. Der Verf. wird diefe Sätze nicht
beanftanden. Sie beweifen aber, dafs Miffouri von allem
Anfang einen felbftftändigen Factor im Werden des dortigen
Lutherthums darftellt, dafs feine Urfprünge älter
find als Löhe's Eintritt in die Arbeit, dafs es nur kurze
Zeit von ihm unterftützt wurde, dafs der ungeheure Auf-
fchwung diefer Art von Orthodoxie fich im Gegenfatz
zu ihm vollzogen hat. Alfo ift die Thefe des Verfs.
falfch und ich kann nicht finden, dafs das Löhe zur Unehre
gereicht. Fritfchel aber hat fich durch polemifche
Rückfichten feine gefchichtliche Aufgabe verdorben. Denn
er hat Miffouri die unbefangene Aufmerkfamkeit nicht
zugewandt, die allein eine Löfung der Probleme Ameri-
kanifch-Lutherifcher Kirchengefchichte möglich macht.

Jacobs hat überzeugend nachgewiefen, dafs die älte-
ften K. O. O. der Lutheraner Nord-Amerikas durch
Vermittelung von Holland und Fingland gewiffe reformirte
Elemente in Gemeinde- und Synodalwefen in fich bergen
. Das hat ihm der Verf. zwar nachgefchrieben (s.
Th. L.-Z. 1897 S. 435), aber ohne die Tragweite diefer
Behauptung zu durchfchauen. Denn wie hiermit fich die
allgemeine demokratifche Atmofphäre Amerikas begegnet
, fo wurzelt hierin auch Walther's Gegenfatz gegen
Löhe und Jowa. Allerdings ift fich Walther diefes Ur-
fprungs nicht bewufst. Seine Betonung der Gemeinde
im Kirchen- und Amtsbegriff hat zunächft nur die erregte
Abkehr von Stephan's hierarchifchen Anfprüchen
und Sünden zur Unterlage. Allein diefe trüben Flrfah-
rungen konnten kaum für den urfprünglichen kleinen
Kreis der Miffourier dauernd maafsgebend fein, für die
übrigen hatten fie überhaupt keine Bedeutung. Dafs aber
die daraus erwachsenen Anfchauungen in ihrer dogma-
tifchen und kirchenrechtlichen Confequenz fich feltfam
mit Amerikanifch-demokratifchen Inftincten vermifchten

— vgl. Prof. M. Günther bei Carroll 1.1. pag. . ,The po-
lity of the Synodical Conference is . . . based on the so-
called ,Collegial Systeme', formed according to the liberty
which the church enjoys in this free country' —, das gab
ihnen die überzeugende Kraft, auf die Miffouris Wachsthum
zurückzuführen ift. Der Verf. hat fich diefen
merkwürdigen Zufammenhang auch dadurch verfchleiert,
dafs er wiederholt auf den Gegenfatz zwifchen dem
Miffourifchen Gemeindeprincip und der Führerftellung
Walther's hinweift. Als ob fich dergleichen nicht in jeder
demokratifchen Gemeinfchaft wiederholte. Aber bis zu
Walther's Tode (7. Mai 1887) tagte die Miffourifynode
1847—87 zwanzigmal, die Synod. Conf. 1872—87 elfmal.
Dort war Walther achtmal, hier nur zweimal erwählter
Präfes.

Dazu kommt nun Folgendes. Keine chriftliche Denomination
in Amerika hat es bisher zu einer eigenartigen
Theologie gebracht. Die Sachlage ift in diefem engeren
Rahmen genau diefelbe wie in allgemein-wiffenfchaft-
licher Hinficht. Lediglich die direct praktifch verwerth-
bare Erkenntnifsarbeit wird mit felbftftändigem Erfolg
betrieben. Nun fällt die ,Neugründung der lutherifchen
Kirche in Amerika' mit dem Auffchwung der confeffio-

nellen Orthodoxie in Deutfchland zufammen und es ift
trotz Vielem kein unrühmliches Blatt, auf dem ihre dortige
Thätigkeit verzeichnet fleht. An und für fich aber
ift unter diefer Verausfetzung bei einer Geiftlichkeit, die
überwiegend eine Seminarbildung genoffen hat, nichts
Anderes als ftrenge Symbolgläubigkeit zu erwarten. Aber
erft, indem fich diefer gefchichtliche Factor mit dem
erftgenannten demokratifchen verbindet, zeigt die Situation
ihre volle Schärfe. Für uns find Synoden ein im-
portirtes Inftitut, dort find fie der normale Zuftand. Wir
haben in der Tradition der Wiffenfchaft [und des Kirchenregiments
] ein Markes Gegenmittel gegen demokratifche
Neigungen, dort fehlt jedes derartige Gewicht, das
die Waage balanciren könnte. Vgl. Henry E. Jacobs bei
Carroll pag. XI IX: , The Synodical Conference . . . re-
quires even the election of Professors of theology, by the
congregations'. Orthodoxie und Demokratie in gegenteiliger
Befruchtung, allenfalls noch die Thatfache, dafs
fich die überwiegende Maffe diefer Lutheraner aus Landgemeinden
(Fritfchel S. 422), d. h. aus harten Coloniften-
köpfen rekrutirt, das find die Elemente, aus denen fich
Miffouri erklärt. Demgegenüber entbehrt felbft Jowas
Bekenntnifsftandpunkt noch der handfeften Derbheit. Aber
folchen Erwägungen ift der Verf. fchwerlich zugänglich.

Wo flammen nur die Zahlen her, die S. 421 unten
angegeben find? Bei Carroll, auf den fich der Verf. beruft
, lefe ich S. XXXIX ganz andere.

Rumpenheim. S. Eck.

Heinzelmann, Prof. Dr. M., Christentum und moderne

Weltanschauung. Ein apologetifcher Beitrag. Erfurt,
Villaret, 1897. (119 S. 8). M. 1.20

Vorliegende Schrift befteht aus zwei Vorträgen, von
denen der eine ,Der Kampf um die Weltanschauung' nach
dem bekannten Gemälde von Knackfufs, das den Kaifer
zum Urheber hat, die chriftliche und widerchriftliche
Weltanfchauug in grofsen gefchichtlichen Zügen einander
gegenüberftellt, nicht mit neuen Gedanken, aber in an-
fprechender Form den Kampf der Geifter feit dem Eintritt
des Chriftenthums in die Welt fchildernd. Nur
denkt man bei der Ueberfchrift mehr daran, wie der
Einzelne in diefem Kampfe der Weltanfchauung fich
erweift und fichert, als an die mit einander ftreitenden
gefchichtlichen Mächte. Und auch hier ift es nicht in jedem
Fall fo einfach, die Heerlager zu fcheiden. Es werden
gegen Ende mit Recht unfere grofsen Denker und Dichter
als Bundesgenoffen im Kampfe um diefe heiligften
Güter genannt, aber im Laufe der Entwickelung ei feinen
es bisweilen, als führte die Geiftesentwickelung, deren
Träger ja auch fie find, nur vom Chriftenthume ab. Dennoch
kann man im Allgemeinen folgen und beiftimmen, wie
der Kampf zwifchen Glaube und Unglaube, diefes grofse
Thema der Weltgefchichte, hier gezeichnet wird, wohl zu
umfangreich für einen Vortrag, aber das kümmert den
Lefer nicht. Um fo reichhaltiger in feinem Inhalt ift der
zweite Vortrag ,Bildung und Chriftentum'. Von dem
Begriff der Bildung aus, der fich dem blofs intellectuellen
Bildungsideal entgegenftellt: .Bildung ift die harmonifche
Entwickelung deffen, was wir in uns tragen', kommt Verf.
zu dem Ergebnifs, dafs auch die fittliche Ausbildung
nothwendig zu ihr gehört, wie andererfeits Religion und
Chriftenthum dem Wahrheitsftreben und der Wiffenfchaft
eine neue grofse Welt eröffnen und einen mächtigen
Anftofs geben. So ftellt fich der Verf. mitten in die
geiftige und religiöfe Bewegung der Zeit, und wenn
der erfte Theil feiner Schrift durch die Entwickelung
der Zeiten bis auf die Gegenwart geführt hat, fo ift das
Ganze wohl geeignet, einem angeregten mitten im Intereffe
der Gegenwart und ihrer Kämpfe flehenden Hörer- und
auch Leferkreife zur Klarheit und zur rechten Werth-
fchätzung der chriftlichen Weltanfchauung zu helfen.

Leipzig. Härtung.