Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1898 Nr. 7 |
Spalte: | 201-203 |
Autor/Hrsg.: | Wimmer, R. |
Titel/Untertitel: | Liebe und Wahrheit 1898 |
Rezensent: | Troeltsch, Ernst |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
201
Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 7.
202
Ottiger, Ignatius, Theologia fundamentalis. Tomus I. De
revelatione supernaturali. Freiburg i. B., Herder, 1897.
(XXIV, 928 S. gr. 8). M. 12.— ; geb. M. 14 —
Der Jefuit Ottiger bietet den erden Theil eines auf
drei Bände berechneten Werkes über Fundamentaldog-
matik, das über den Begriff der Offenbarung und den
ihrcorrelaten, fie erft zu concreter Anwendung bringenden
Begriff der Kirche handelt. Die Vereinigung beider Begriffe
beftimmt feit dem Vorgang des Jefuiten Pichler
1713 die Methode diefer Disciplin, während der h. Thomas
nur den Begriff der Offenbarung abftract und M. Canus,
der andere Vorläufer diefer Disciplin, in feinen Loci
wohl beides zufammen, aber unfyrtematifch und unvoll-
dändig behandelt hat. Sie ift in ihrer gegenwärtigen
Gedalt ein Erzeugnifs der antideiflifchen Controverfe,
weshalb fie auch in ihrer wiffenfchaftlichen Gefammt-
haltung am meiden den Werken der damaligen antideiflifchen
Apologetik gleicht. Doch hat de zugleich die
pofitive Tendenz, der Specialdogmatik als Unterbau und
Begründung ihrer Erkenntnifsprincipien zu dienen. Der
vorliegende erde Band behandelt daher den Begriff der
Offenbarung nach dem bekannten Schema der Möglichkeit
, Notwendigkeit, Erkennbarkeit und Wirklichkeit
der übernatürlichen Offenbarung, die in ihrem Wefen
nichts anderes id als Wiederherdellung und Zufammen-
faffung der lex naturae oder der natürlichen Religion unter
Zufügung gewiffer leges positivae und gewiffer mysteria.
Daher darf auch der Gottesbegriff felbd, aus deffen
Definition Möglichkeit, Nothwendigkeit etc. der Offenbarung
deducirt wird, aus der natürlichen Gotteserkennt-
nifs oder Philofophie, d. h. der aridotelifchen Propädeutik
einfach übernommen werden. Das Eigenthümliche in
der Dardellung Ottiger's id lediglich die drengere Faff-
ung des Schemas, die philofophifche und fpecialdog-
matifche Bedandtheile reinlicher abfcheidet und ihren
betreffenden Disciplinen zuweid als fond gefchieht, eine
höchd umdändliche apologetifche Ausführlichkeit in der
logifchen Deduction und der Behandlung gegnerifcher
Einwürfe, die alle im Original eingefehen zu haben er
entgegen der fond gepflegten Sitte als den Vorzug feiner
Arbeit rühmt, und die fcharfe Betonung des Infallibilitäts-
Dogmas, deffen Behandlung fofort an den Begriff der
Offenbarung fich anfchliefst, cum liaec Marian proprie-
tatian [ecclesiat] manifesto non sit effectus, scd causa.
Klarheit, Sorgfalt und Befonnenheit machen das Buch zu
einer lehrreichen Leetüre auch für den evangelifchen
Theologen. In der That gewinnt er heute aus katho-
lifchen Werken am leichteden noch das Verdändnifs
der älteren Gedalt unferer eigenen Dogmatik und der
Begriffe, um deren Behandlung die Anfange der Reli-
gionsphilofophie der Aufklärung fich dreht. Sie zeigt
noch in lebendiger Bewegung die uralten Begriffe der
Theologie, die bis zum 18. Jahrh. die gemeinfame Vor-
ausfetzung aller Theologie und Wiffenfchaft bildeten, und
mag uns daher heute als Schlüffel zu jenen Sydemen und
Begriffen von Nutzen fein.
Heidelberg. Troeltsch.
Wimmer, R., Liebe und Wahrheit. Betrachtungen über
einige Fragen des fittlichen und religiöfen Lebens.
Freiburg i./B., J. C. B. Mohr, 1896. (IV, 139 S. 8.)
M. 1.45
Es id in der modernen religiöfen Krifis immer eine
Freude, wenn man einem Manne begegnet, der den Muth
hat, ohne theologifche und apologetifche Quälereien, ohne
mühfame Zufammendimmung theologifcher Refervat-
rechte und allgemein wiffenfehaftlicher Forderungen einfach
und fchlicht aus dem unmittelbaren religiöfen Er-
lebnifs fich zu einem chridlichen Charakter zu gedalten.
Id die Religion eine lebendige, immer wachfende und
! werdende, bedändig neue religiöfe Erregungen in den
überlieferten Complex einfchmelzende und dadurch ältere
J ausfeheidende oder umwandelnde Kraft, fo mufs es auch
j folche Charaktere geben, und in ihnen find die Ausgangspunkte
zu allmählicher Ueberwindung der Krifis gegeben.
Dafs der badifche Pfarrer Wimmer zu diefen — freilich
nur allzu feltenen — Charakteren gehört, id aus feinen
früheren, weitverbreiteten Schriften bereits bekannt und
erhellt auch aus den achtzig kurzen Meditationen, die er
unter dem oben genannten Titel zufammen gefafst hat.
Sein Ziel id nicht, theologifch-philofophifche Reflexionen
zu geben und damit dem modernen Menfchen die chrifl-
liche Dogmatik zu erleichtern oder zu verbeffern, wie
das oft ebenfo wohlmeinend wie wirkungslos gefchieht.
Vielmehr dellt er lediglich in monologifchen Betrachtungen
und gebetartigen Andachten feine eigene Frömmigkeit
völlig unfydematifch dar und beantwortet von ihr
aus eine ganze Reihe von mehr oder minder zufällig
fich darbietenden praktifchen und andersartigen Zeitfragen
. Der chridliche Glaube an das Himmelreich mit
feinen Gütern und feinen Forderungen bildet die aus
eigener Erfahrung behauptete Kernwahrheit, in die fich
aber die religiöfen Impulfe, die von den Aenderungen
der Welt- und Lebensbetrachtung der neueren Zeit ausgehen
, zu innerlicher Vereinigung einfchmelzen. Die
durch alles Gefchehen, das gröfste wie das kleinde, hindurchgehende
Einheit des Kosmos, die Allgefetzlichkeit
und Gleichartigkeit des Weltgefchehens, id ihm das
Hauptmerkmal der veränderten Auffaffung der Dinge
und kommt bei ihm mit ihren religiöfen Confequenzen,
dem Gefühl der Gröfse, der Einheit und Harmonie des
göttlichen Wirkens, zur Geltung. Nicht minder aber zieht
I er die religiöfen Confequenzen aus der von diefer Betrachtungsweife
aus gewonnenen Erweiterung unferes
Weltbildes, in dem Erde und Menfchengefchichte zur
PZintagsfliege werden und der Horizont der Dinge fich
in unermeßliches Räthfeldunkel auflöd. Demuth und
I Refignation, tiefde Ehrfurcht und Selbdbefcheidung, ge-
[ ringere Schätzung der Wichtigkeit des eigenen Wohl
! und Wehe find die religiöfen Confequenzen diefer Einrichten
, die uns bedändig vorfchweben follten. Dabei
beweid er nicht erd umdändlich, dafs doch diefen modernen
Anfchauungen eine gewiffe Wahrheit zukomme
oder dafs de nicht ganz aufser Acht geladen werden
dürfen, fondern nimmt fie mit herzerfreuender Selbflver-
| dändlichkeit als einfach gegebene Vorausfetzungen des
j alltäglichflen Denkens und Wiffens, der Lebensführung
und Selbdfchätzung hin und trachtet lediglich darnach,
ihre religiöfen Confequenzen fich zur Empfindung zu
bringen und fie mit dem religiöfen Gefühl, das von dem
Kerne der chridlichen Ueberlieferung ausgeht, innerlich
zu vereinigen. So bildet fich ein Typus der Frömmigkeit
, der nicht an dogmatifchen Th eorien beffert und
dickt, nur immer zweifelt und Zweifel auflöd, fondern
von den felbdverdändlichen Vorausfetzungen der gegebenen
Lage aus eine gefchloffene, fchöpferifch und
individuell chridliche Perfönlichkeit von reinen Umriffen
dardellt. Ueber die Kühnheit feines Unternehmens id
Wim mer fich volldändig klar. Ohne Bibelcitate und in
volldändiger Unabhängigkeit von der kirchlichen Tradition
dellt er eine möglichd unbefangen aus eigenen
Erlebniffen gedaltende und die verfchiedenen religiöfen
Erregungen zurCharaktereinheitverfchmelzendeF'römmig-
keit dar, die auszubilden er als feine von Gott ihm ge-
wiefene Aufgabe anfieht. Er zweifelt gar nicht, dafs auch
die gegenwärtige Krifis nur ein Durchgangspunkt id und
dafs die Religion heute wie immer die Verheifsung des
Sieges, wenn auch nicht die der Unveränderlichkeit, hat.
Aber mit diefem Vertrauen geht er einen einfamen Weg,
an Leiden gewöhnt und in der Erfüllung feiner Pflicht
den eigentlichen Zweck feines Lebens fehend. Was er
auf diefem Wege über die verfchiedenden Dinge empfunden
und gedacht hat, das bieten feine Meditationen