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Ausgabe:

1898 Nr. 7

Spalte:

197-200

Autor/Hrsg.:

Stange, Carl

Titel/Untertitel:

Zur Theologie des Musaeus 1898

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung. 1898. Nr. 7.

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das Auftreten evangelifcher Prädicanten, wie Nicolaus I über die Entftehung und erfte Ausbildung diefer Prin-
Maurus Friedrich Baur Ulrich Preu, genannt Schlagin- . cipienlehre fort, wie er denn auch gleich mir das Thema
häufen 'und Ulrich Sitzinger, ihre Beziehungen zu Luther — mit einer freilich etwas dunkel gewundenen Begrün-
wie zu dem ftürmifchen' Hutten und die vergeblichen , dung (S. 7) — dahin gliedert, dafs er zuerft die officielle
Reactionsbeftrebun^en Sitzinger war 1523 oder kurz vor- j Verhaltnifsbeftimmung zwifchen Vernunft und Offenbarung
her in den Eheftand getreten, Ulrich Preu hatte die Pa- j als zwei getrennten Erkenntnifsprincipien und dann das
piften auf der Kanzel zur Widerlegung feiner Lehre her- | thatfächliche Verhältnifs zwifchen den den beiden Quellen
auseefordert weshalb er mit feinem Züricher Namens- 1 entflammenden materiellen Erkenntnifsen darftellen will,
vetter der kurz vorher auf der Disputation am 29. Jan. Das vorliegende Heft behandelt den erften Theil der
j den Sieg über Faber und Genoffen davon getragen Aufgabe und gliedert diefen wiederum fo, dafs er zuerft
hatte zufammengeftellt wurde. Die Haltung des altgläu- von der Methode handelt, nach der die Offenbarungs-
bDeri Klerus beiden Gegnern gegenüber war fchwächlich. , Wahrheit dargeftellt werden foll, dann von dem hierbei
In^diefe Verhältnifse läfst die von Haupt an zweiter | vorausgefetzten Begriff der revelatio und schliefslich von
Stelle S XX—XXVI wiedergegebene Flugfchrift: ,Ein | dem Verhältnifs beider Erkenntnifsquellen in den
betreue vermanunc eins liebhabers der Evangelifchen 1 quaestiones mixtae. Diefe Untereintheilung ift freilich
warhevt an gemeyne Pfaffheit, nit zu widderfechten den nicht fehr zweckmäfsig. Denn die Frage nach der Me-
Ehelichen ftandt, fo ein Erfsamer Priefler zu Wormbs thode des theologifchen Syftems ift eine lediglich
(im von got im Neuen und Alten Teftament zugelaffen) technifche und formale gewefen, bei der es fich nur
an fich genommen hat' (am Schlufs M. D. XXIII), einen darum handelte, wie die für alle Disciplinen feftgeftellten
Blick thun. In die gewitterfchwüle Zeit unmittelbar vor methodifchen Schemata der Schullogik auf das theolo-
dem Ausbruch des grofsen Bauernkriegs führt die von H. gifche Syftem anzuwenden feien. Sie ift erft mit der
an erfter Stelle S. I—XIX zum Abdruck gebrachte fehr | Ausbildung des logifchen Schematismus an den Univer-
feltene Flugfchrift: ,Troff brieff der Chrifflichen kirchen- , »täten des 17. Jahrh.s (vgl. meine Schrift: Vernunft und
diener zu Wormbs an die frommen Apofteln und Bekenner , Offenbarung bei Gerhard und Melanchthon S. 47—54)
Jefu Chriffi, fo itzt zu Meintz, Ringau und allenthalben für die Theologie bedeutend geworden, die den von
im Biffum gefangen liegenn, iren lieben brüdern. M. D. j Helmffädt - ausgehenden Anregungen folgend die ana-
XXIII'. Sie fetzt die Wendung der Dinge in Mainz vor- lytifche Methode als die Methode der praktifchen Dis-
aus, als Albrecht die letzten Fäden der Verbindung mit i eiplinen mit mannigfachen Schwankungen auf ihr über-
den Reformatoren abgebrochen, fich ganz der Reaction I liefertes Localfyffem anwandte. Nur als folche literarifche
in die Arme geworfen und im September 1523 ein Straf- , Zeit- und Modefrage ift fie auch bei Mufäus von Be-
mandat gegen die Prädicanten erlaffen hatte. Die darauf 1 deutung, der wie alle orthodoxen Theologen bei der
folgende Verfolgung läfst fielt in ihrem ganzen Umfang, ' Selbftverftändlichkeit der Grundprincipien die innertheo-
wie ihn die Troltfchrift vorausfetzt, noch nicht überfehen. i logifchen Probleme lediglich um folche fachlich wenD
Aber auch das, was fchon bekannt war und von H. neu | bedeutende Controverfen fammelt. Nur indirect kommt
beigebracht wurde, macht ganz klar, dafs die Verfolgten j bei diefer Verhandlung der Methode das von Stange
lutherifche Bekenner, keineswegs Mitglieder einer ,altevan- ; behandelte Hauptthema, das Verhältnifs von Vernunft
gelifchen' Gemeinde waren. Was Keller aus dem Titel j und Offenbarung, zur Geltung. Es wäre daher besser
,Bifchöfe', welchen die Wormfer Prädicanten fich bei- , gewefen, Umkreis und Erkenntnifsquellen beider Erlegen
, erfchlofs, fällt haltlos in fich zufammen. Das von kenntnifsfphären bei Mufäus zu fchildern und im An-
H. S. 27 Anm. 1 beigebrachte Material beweift auch Laien, i fchlufs an meine Arbeit zu zeigen, wie viel oder wie
in welchem Sinn Luther fchon feit 1519 und feine Ge- j wenig fich hierin feit dem Zeitalter Gerhard's geändert
linnungsgenoffen den Titel ,Bifchof anwandten. Es ift j hat. Hier hätte fich gezeigt, dafs in der Hauptfache
nahezu unbegreiflich, wie Keller die fchwerwiegende Er- fich fehr wenig geändert, dagegen im Detail einerfeits
klärung des Begriffs durch den auf den Titel angewand- ! ein viel ftrengerer fcholaftifcher Formalismus, anderer-
ten ,Kirchendiener' ,als nicht von den Verfaffern her- | feits manche kleine rationale und pietiftifche Erweichung
rührend' unbeachtet laffen konnte. Die ,böhmifchen Zu- . fich eingeniftet hat. Leider aber hat es St. ausdrücklich
fammenhänge', welche er ferner für feine ,altevangelifche' abgelehnt (S. 6), die von mir gegebene Faffung des
Gemeinde aus dem Namen des Heidelberger Prädicanten Themas fich anzueignen. Er will ,auf die Begründung (!)
Wenzeslaus heraus lefen wollte, zerrinnen in Nichts deffen, was diefe Theologie mit dem orthodoxen
Denn hier ift Wenz. Straufs in Alzey gemeint, auf den i Syftem gemein hat, verzichten' und fein Thema noch
Ref. fchon 1894 Bl. f. w. KG. 9, 54 hingewiefen hatte. ; enger dadurch begrenzen, ,dafs der in der Dogmatik fo
Das rabenfehwarze Bild, das der Troftbrief von der alt- , wichtige Gegensatz des rein Natürlichen und des
gläubigen Partei, ihrer Sittlichkeit, ihren Lügen und Ge- pofitiv Offenbarten weniger in dem Verhältnifs des
waltthaten entwirft, will als auf dem Boden einer Bifchofs- Syftems zu der Gefammtheit des übrigen menfehlichen
ftadt entftanden noch befonders beachtet fein.. Was H. Wiffens und Erkennens als vielmehr in dem Verhältnifs
in der ganzen Schrift giebt, ift ein werthvoller Beitrag ' der einzelnen Theile des Syftems zu einander zu berück-
zur Reformationsgefchichte. 1 fichtigen ift'. Durch die erfte Befchränkung hat fich St.

Nabem. G. Boffert c!en We§ zur Beantwortung der Hauptfrage nach der

__ Stellung des Mufäus in der fehr continuirlichen Ent-

wickelung der orthodoxen Principienlehre verfperrt, durch
Stange, Priv.-Doc. Lic. Carl, Zur Theologie des Musaeus. me zweite hat er fich das Verftändnifs der einzelnen
r. Heft. Halle, M. Niemeyer, 1897. (49 S. gr. 8). Be8rin~e uncl Methoden erfchwert, die alle aus der da-

" ° ' maligen eng zufammenhängenden Gefammtwiffenfchaft
' I,2°' flammen und nur von ihr aus erklärt werden können.
Der feit einigen JMiren habilitirte Hallenfer Privat- Nur moderne theologifche Syfteme kann man fo ifolirt
docent Stange ift mit Recht der Meinung, dafs die fog. behandeln. St. hat fich trotz alles höchst anerkennens-
neuere Dogmengefchichte oder Gefchichte der prote- ; werthen Fleifses eben nicht in den Geift der orthodoxen
ftantifchen Theologie eingehender betrieben werden muffe, : Theologie und der ihr zu Grunde liegenden engen und
Von diefer Anficht aus hat er fich die Aufgabe geftellt, an | ftreng fchematifirten Geifteswelt verfetzt. So ift auch
Mufäus, einem der Knotenpunkte in dem Ueberg ang vom seine Kritik des Mufäus das Gegentheil einer immanenten
17. zum 18. Jahrh., die Umgeftaltung und Anpaffung der Kritik und voll von Mifsverftändnifsen, fie ift eine Kritik
orthodoxen Principienlehre an die inzwifchen veränderten nach modernen, einer ganz anderen Denkweife entftam-
Verhältnifse darzuftellen. Er fetzt damit meine Arbeit menden Maafsftäben. Er behandelt Mufäus wie einen