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Ausgabe:

1897

Spalte:

151-152

Autor/Hrsg.:

Kawerau, Gustav

Titel/Untertitel:

Warum fehlte der deutschen evangelischen Kirche des 16. und 17. Jahrhunderts das volle Verständnis für die Missionsgedanken der heiligen Schrift? 1897

Rezensent:

Wurm, Paul

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 5.

im 3. Kap. mit dem den Namen Oecolampads tragenden j
„Teftament Jefu Chrifti", dem er noch die gleiche Zweck-
beftimmung zufchreibt, und glaubt eben darin die Mög- |
lichkeit zur Befeitigung der Schwierigkeit zu finden, die j
der Vefafferfchaft Oecolampads entgegen ftehen. In den
Kapiteln 4—9 werden dann die Nördlinger Meffe von
Kafpar Kantz, die Mefien des Thomas Müntzer, die Strafs-
burger Ordnungen, die Nürnberger Mefien, die Züricher
und Bafeler Abendmahlsordnung abgedruckt und be-
fprochen. Von befonderem Interefle find aufser der
Meffe von Kafpar Kantz vom J. 1522, die vor kurzem
auch in der Siona abgedruckt wurde und in der wir die
ältefte uns erhaltene evangelifche deutfche Meffe zu erkennen
haben, hauptfächlich die Strafsburger Ordnungen
und die Ausführungen über diefelben, nicht blofs, weil
hier vieles aufgehellt wird, was bisher dunkel war, fondern
auch weil Strafsburg in jener Zeit einen weitreichenden j
und tiefgehenden Einflufs auf andere Gemeinwefen übte,
und weil es deshalb für die allgemeine Kultusgefchichte
werthvoll ift, gerade hier einen genauen Einblick in die |
Anfänge und in die erfte Entwickelung zu thun. Im
letzten Kapitel behandelt der Verfaffer endlich noch eine
Reihe von einzelnen Punkten und Fragen, wie das Ver-
hältnifs zur römifchen Meffe, die Spendeformel, die Stellung
von Predigt und Glaubensbekenntnifs, die Gebetsformen
, den Gefang u. a. im Blick auf die fämmtlichen
dargeftellten Ordnungen, um mit einer kurzen Charakte-
rifirung von Luthers deutfcher Meffe und ihrer Bedeutung zu
fchliefsen, die mir allerdings in manchen Punkten zu
gegründetem Widerfpruch Veranlaffung zu geben fcheint.

Ich unterlaffe es, näher auf Einzelnes einzugehen,
nicht blofs weil es zu weit führen würde, fondern auch
weil ich mich nicht kompetent genug fühle, hier dem
Verfaffer kritifch zu folgen. Es fei mir daher geftattet.
mich auf die gegebene allgemeine Charakteriftik der
Schrift zu befchränken und noch einmal zu wiederholen,
dafs wir in ihr eine bedeutende und höchft willkommene
Bereicherung der liturgifchen Literatur vor uns haben, für
die dem Verfaffer jeder dankbar fein wird, der auf diefem
Gebiete zu arbeiten hat oder fich mit feinen Studien auf
demfelben bewegt.

Augsburg. J. Plans.

Kawerau, D. Guft., Warum fehlte der deutschen evangelischen
Kirche des 16. und 17. Jahrhunderts das volle Verständnis
für die Missionsgedanken der heiligen Schrift? Vortrag
auf der fchlefifchen Miffions-Konferenz, Breslau, den '
6. Oktober 1896 gehalten. Breslau, W. G. Korn, 1896.
(30 S. 8.) M. — 50

Der Verf. weift nach, dafs fämmtliche Reformatoren
an all den Stellen der h. Schrift, wo uns heutigen Tages
die Miffionsgedanken des Evangeliums und die Miffions-
aufgabe der chriftlichen Gemeinde entgegenleuchten,
durchaus nicht die gleichen Gedanken gefpürt haben
(S. 11). Er bringt das mit ihrer baldigen Erwartung des
jüngften Tages in Zufammenhang, wobei fie überfehen,
dafs doch auch die Predigt des Evangeliums in der ganzen
Welt zu den Stücken gehört, welche dem jüngften Tag
vorangehen follen (S. 17), und dagegen Luc. 18, 8 pre-
mieren, dafs Chriftus, wenn er kommt, kaum Glauben
finden werde auf Erden. Diefe baldige Erwartung der
Zukunft Chrifti hängt wieder damit zufammen, dafs ihre
Gefchichtsanfchauung in der Vorftellung von den Weltmonarchien
gebannt war. Damit verbindet fich die That-
fache, dafs die Heidenwelt wirklich aufserhalb ihres
Gefichtskreifes lag (S. 21). Schwerer erklärlich erfcheint
es, dafs auch das nachfolgende Gefchlecht, alle Stimmführer
der lutherifchen Orthodoxie bis in diezweite
Hälfte des ^.Jahrhunderts, den Miffionsgedanken geradezu
ablehnend gegenüberftehen, da fie doch die katho-
lifchen Millionen in den neuentdeckten Welttheilen vor

fich fahen. Kawerau erklärt dies aus ihrer Theorie vom
apoftolifchen Amt in feinem Unterfchied vom Predigtamt.
Aus Stellen wie Marc. 16, 20: ,fie gingen aus und predigten
an allen Orten,' wurde der Schlufs gezogen: da
die Apoftel, wie die Schrift bezeugt, diefen Auftrag ausgerichtet
haben, fo ift er feitdem erlofchen. Von nun an
giebt es ein Predigtamt, das immer nur der Piinzel-
gemeinde gilt und für welches von diefer Gemeinde, refp.
von der kirchlichen Obrigkeit eine Berufung erfolgen
mufs (S. 23). ,Mit der Lehre, dafs es feit dem Ende der
apoftolifchen Zeit kein anderes Amt in der Kirche gebe
und geben könne, als das der Paftoren, hat fich die alte
luther. Kirche damals die Hände für die Arbeit der
Heidenmiffion gebunden, gleichwie die gleiche Anfchau-
ung in unferm Jahrhundert die erfte Entwicklung der
inneren Miffion mannigfach getrübt und behindert hat!
(S. 24). Von diefer eiskalten Stimmung gegenüber der
Heidenwelt, mit welcher die luth. Orthodoxie demjufti-
nian v. Welz entgegengetreten ift, unterfcheidetfich aufs
deutüchfte Chr. Scriver. Er erwartet für die Heiden
Lehrer und Apoftel, welche der Herr mit Geift, Kraft und
Gaben ausrüften und zu den Ungläubigen fenden werde,
und bittet darum. ,Diefe neue Stimmung den Heiden und
auch dem Herrn Chriftus gegenüber ift der Boden, auf
dem die Miffion eben wächft und wo dann ein Wille ift,
da findet fich auch ein Weg' (S. 30). — Man wird der
Darftellung des Verf. im ganzen beiftimmen können. Nur
liefse fich die ablehnende Haltung der lutherifchen Orthodoxie
überhaupt mit dem Mangel an neuen Gedanken
im Unterfchied von der Reformationszeit und mit dem
Zurücktreten der praktifchen Aufgabe der Kirche gegenüber
dem Interefle der theologifchen Schule vielleicht
noch einfacher erklären.

Echterdingen. P. Wurm.

Mirbt, Prof. D.Carl, Der deutsche Protestantismus und die
Heidenmission im 19. Jahrhundert. (Vorträge der theologifchen
Conferenz zu Giefsen. XI. Folge.) Giefsen,
J. Ricker 1896. (56 S. 8.) M. 1.20

Eine treffliche Darfteilung, die in dem kleinen Rahmen
von 39 Seiten die ganze Entwickelung des Miffions-
intereffes und der Miffionsarbeit in Deutfchland be-
fchreibt und die verfchiedenen Phafen charakterifirt, auf
ungemein fleifsigem Quellenftudium beruhend und doch
keine trockene Statiftik. Ref. möchte in dem fo trefflichen
Schriftchen nur einen Punkt beanftanden. S. 17
heifst es: ,Eine ganz neue Bahn eröffnete fich der Heidenmiffion
Deutfchlands, als diefelbe in der Mitte des Jahrhunderts
mit der inneren Miffion einen Bund fchlofs'.
Es war fchon im Anfang der vierziger Jahre, abgefehen
von den lutherifchen Mifüonen, der damalige Basler
Miffionsinfpector Wilhelm Hoffmann ,mit dem Schiff
in die offene See gefahren' (wie er fich felbft ausdrückt
in feiner Schrft: ,Elf Jahre in der Miffion'), d. h. er hatte
auch die Basler Miffion, die vorher nur von den pictifti-
fchen Gemeinfchaften getragen war, in der Kirche eingebürgert
durch' kirchliche Miffionsfefte, durch feine
,Miffionsfragen' u. A. noch ehe Wichern den Namen
,Innere Miffion' erfunden hatte, und eben diefer
Name erinnert daran, dafs die Heidenmiffion damals ein
bereits in der Kirche anerkannter Factor war. Sonft
aber möchte Ref. die Darftellung des Verfaffers als eine
durchaus zuverläffige, unparteiifche und von Liebe zur
Sache getragene bezeichnen, für die wir fehr dankbar
fein dürfen.

Echterdingen. P. Wurm.