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Ausgabe:

1897 Nr. 5

Spalte:

135-138

Autor/Hrsg.:

Schmitz, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Miscellanea Tironiana 1897

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 5.

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päifchen Textes, wie man auch einen gallifchen, fpanifchen,
englifchen Zweig unterfcheiden kann. Der Name ruht
einzig auf der Stelle Atigustin de doctr. christ. II 22. Die
Verfuche, ihn hier zu befeitigen durch Conjektur (Bentley:
illa . . . quae, erneuert von P. Corffen I. pr. Th. VII, 1881,
507—519, oder Potter: ufitata) find als unmethodifch aufgegeben
(vgl. die treffenden Bemerkungen von Fritzfche,
RE2 VIII 440). Es fehlte aber an einer deutlichen Vor-
ftellung über das Wefen diefer „Itala." Burkitt lehrt uns
nun diefelbe in einfachfter Weife erkennen, indem er die
— wie Burkitt felbft nicht bekannt zu fein fcheint —
fchon 1824 von C. A. Breyther {Dissertatio theol. crit.
de vi, quam autiquissimae versiones, quae extant, latinae,
in crisin evangeliorum IV Jtabeant. Merfeburg. 1824) auf-
geftellte und nicht übel begründete, aber derzeit ganz
ungewürdigt gebliebene Thefe erneuert, Itala fei die
Ueberfetzung des Hieronymus — für die Evangelien.
Diefe entfland bekanntlich fchon 384 in Rom — darum
Itala — und zwar, wie allgemein anerkannt ift, nur als
Recenfion des gebräuchlichen Textes unter möglichfler
Beibehaltung des alten, fodafs fie, wie Burkitt fagt, nur
als ein Zeuge in der Reihe der europäifchen Texte zu
gelten hat. Thatfächlich hat Auguftin 404 bei der Disputation
mit dem Manichaeer Felix wohl die Apoftel-
gefchichte in einem altafricanifchen Texte, die Evangelien
aber einfach nach der Ueberfetzung des Hieronymus benutzt
; es war nur Voreingenommenheit, wenn man bisher
fagte: nach einem diefer nächft verwandten Texte. Er
kann diefe alfo auch 397 fchon im Sinne gehabt haben.
Andererfeits hat er benimmt auch fpäter noch, z. B. in
den 416 gehaltenen Homilien zumJoh.-Ev. einzelne afri-
canifche Lesarten neben und in dem Hieronymustext. Zahn
hat in feiner Befprechung unferer Schrift (Theol. Lit.-Blatt
1896 No. 31 Sp. 375) gefagt, er wiffe nichts ftichhaltiges
dagegen vorzubringen. Das ift auch des Referenten Meinung
. Je zaghafter Burkitt felbft feine neue Thefe auf-
ftellt, um fo mehr müffen wir ihn zu derfelben beglück-
wünfchen. Denn es leuchtet ein, von welcher Tragweite
diefelbe ift, wie fehr die Probleme fich dadurch vereinfachen
.

Endlich fei noch der neuen Ausgabe der Sanct-
Gallener Jeremia-Fragmente, die zuerft Tifchendorf, Monu-
meuta Sacra et profana 2 1861 publiciert hatte, gedacht.
Hier wäre es vielleicht praktifcher gewefen, die Ergänzungen
in gewöhnlichen Typen zu drucken.

Wir fchliefsen mit dem Wunfche, dafs der Herr
Verfaffer fich weiter der fchwierigen, aber fehr nöthigen
und lohnenden Aufgabe widmen möge, die Gefchichte
des altlateinifchen Textes in alle Einzelheiten hinein zu
verfolgen und aufzuhellen.

Jena. von Dobfchütz.

Schmitz, Wilh.. Miscellanea Tironiana. Aus dem Codex
Vaticanus latinus Reginae Chriftinae 846 (fol, 99—114)
hrsg. Mit 32 Taf. in Lichtdr. Leipzig, Teubner, 1896.
V, 79 S. gr. 4.) M. 20.—

Die vorliegende Publication hat für den Theologen
ein doppeltes Intereffe. Einmal führt fie uns zum erften
Mal in gröfferem Umfang eine Schreibart vor, von der
wir annehmen dürfen, dafs fie bei der Ueberlieferung der
kirchlichen Literatur keine ganz geringe Rolle gefpielt
hat. Die Unmaffe von Predigten, welche uns überliefert
find, find gewifs nicht alle von den Verfaffern zuvor
ausgearbeitet, fondern ruhen grofsentheils auf Nach-
fchriften von Zuhörern. Die Berichte über Kirchenver-
fammlungen, öffentliche Disputationen u. f. w. wollen auch
zumeift mehr fein als nachträglich gefertigte Referate:
Können wir in ihnen authentifche Protokolle erblicken?
Die Möglichkeit hängt ab von dem Vorhandenfein einer
Schnellfchrift. Thatfächlich haben die Römer, wie die
Griechen, eine folche befeffen. Als Erfinder der latei-

I nifchen Notenfchrift gilt Ennius {Sucton, rcliquiae cd.
Reifferscheid p. 135, darnach Ifidor, ürig. I, 22 1, 2
[MPL. 82, 98] und feine Ausfchreiber). Sein Syftem von
1100 Noten haben dann Ciceros Freigelaffener Tullius
Tiro, weiterhin Vipfannius Philargyros und Aquila, Frei-
gelaffene des Agrippa (?) und des Maecenas, endlich
Seneca (wohl der Philofoph vgl. W. Schmitz, Beiträge
S. 192 fgg.) bis auf 5000 vermehrt. Um die Kenntnifs
und das Verftändnifs diefer feit dem elften Jahrhundert
faft verfchollenen Schriftart hat fich nach U. Fr. Kopp,
{Palaeographia critica, pars II, 1817) neuerdings vor allem
der Herausgeber unferes Werkes, W. Schmitz, auf Anregungen
Fr. Ritfchls hin verdient gemacht, durch einzelne
Abhandlungen, die zumeift in feinen „Beiträgen zur latei-
nifchen Sprach- und Literaturkunde", 1877, gefammelt
find, wie vornehmlich durch das Hauptwerk „Commen-
tarii Notarum Tironianaruma 1893. Der zwifchen ihm
und K. Zangemeifter (Neue Heidelberger Jahrbücher II,
1892, S. 31 ff.) geführte Streit, ob diefe Noten aus der
Maiuscel oder der alten Curfivfchrift herzuleiten find, ift
für uns hier belanglos. Orientirung über die hierhergehörige
Literatur bietet Wattenbach in den Jahresberichten
für die Gefchichtswiffenfchaft. Werthvoll wäre es für
uns, wenn fich die Notiz des Johannes Trithemius bewähren
follte, wonach kein geringerer als Cyprian dies
Notenfyftem für den chriftlich-biblifchen Gebrauch erweitert
hätte. W. Schmitz, Beiträge S. 195, 226, W. v.
Härtel, Cypriani opp. praef. p. LXIII. (abgedruckt in Har-
nack, altchriftliche Literatui gefchichte I, 721) halten gegen
P. G. Mitzfchke, Quaestiones Tironianac, 1875, p. 3, diefe
Notiz des Abtes von Sponheim für zuverläffig. Als gekichert
kann fie freilich bei der zweifelhaften Glanbwürdig-
keit des Gewährmannes und der erwiefenen Anziehungskraft
des cyprianifchen Namens nicht gelten. Das
Schweigen der fonftigen Ueberlieferung, z. B. auch des
Ifidor, ift zu auffallend. Vielleicht wäre es möglich, die
chriftlichen Elemente der durch W. Schmitz bekannt gemachten
Notenfyfteme auszufondern und auf die Ueber-
einftimmung mit Cyprians afrikanifcher Bibel zu prüfen.
Wenn fich dabei manche nach-cyprianifchen kirchlichen
Termini finden, fo braucht das noch nicht als Gegenbeweis
zu gelten, da gewifs fpäter an dem Syftem weiter
gearbeitet wurde. Bezeugt ift z. B. von Papft Gregor I,
dafs er fich in feiner ausgedehnten Correfpondenz des
Diktates an Notare bediente (vgl. W. Schmitz, Beiträge,
S. 245 ff.)

Zum andern bietet der Inhalt der Publication wefent-
lich nur für den Theologen Intereffe. Es find 16 ältere
Blätter, welche dem Codex 846 der von der Königin Chriftine
von Schweden flammenden Sammlung des Vaticans (aus
dem 9. Jahrhundert) angebunden find. Schon Bethmann
hatte auf diefe faft ganz in tironifchen Noten gefchriebenen
Stücke aufmerkfam gemacht, A. Mai dem 5. Bande der
Classici auctores ein — wie bei ihm gewöhnlich —■ fehr
ungenügendes Facfimile vorangeftellt. Durch die Muni-
fizenz der Königlichen Akademie der Wiffenfchaften zu
Berlin ift es möglich geworden, das ganze in ausgezeichnetem
Lichtdruck zu publiciren, und W. Schmitz
hat lieh der grofsen Mühe unterzogen, es zu entziffern
und in Transfcription herauszugeben.

Die letzten 5 Blätter enthalten medicinifches, das
Anthidotum Egias und andere Recepte, welche dem
Kräuterbuche des Ps.-Apuleius verwandt find. Alles
übrige ift theologifch.

1) Fol. 99r°—103 v° der Uber scintillarum des
Mönches Defenfor von Liguge (Logociagenfis) bei
Poitiers, ein etwa den Sacra Parallela der Griechen zu
vergleichendes Floiilegium aus der h. Schrift (Chriftus
[d. h. Ew.] Petr. Paul. Joh. Jac. Sah Jes. Sir.) und den
Vätern (Orig. Aug. Hier. Ambr. Greg. Bas. Ifid. Cypr.
Hil. Caes. Ephr. Liber Clementis [== Recogn.], vitae
patrum, Collat. Anast. Eufebius. Jofephus (?), das fich
einer grofsen Beliebtheit zu erfreuen gehabt hat. (Schmitz