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Ausgabe:

1897 Nr. 4

Spalte:

121-124

Autor/Hrsg.:

Kreyenbühl, Johannes

Titel/Untertitel:

Die Nothwendigkeit und Gestalt einer kirchlichen Reform 1897

Rezensent:

Troeltsch, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 4.

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Trotz treffender Einzelheiten ift diefe Kritik fchon i ziel. Aber eben damit ift auch der Pantheismus derNatur-

deshalb fruchtlos, weil fie in der fcholaffifchen Voraus-
fetzung befangen ift, dafs die Anerkennung Gottes als
Trägers des Weltzweckes die Vorausfetzung der Anerkennung
eines fittlichen Endzwecks ift und dafs das
Gewiffen jedes Einzelnen die deutliche Erkenntnifs der-
felben unwandelbaren Sittengefetze bedeutet, weil fie fomit
den zweifellofen Wahrheitsmomenten der modernen Arbeit
an der Ethik nicht gerecht werden kann. Unerfreulich

religion überwunden und vertieft, indem die Gottheit eine
heilige bleibt und ihre Einheit mit der Welt nicht die
der Immanenz oder Emanation, fondern der Schöpfung
und Erlöfung ist, ebenfo die Humanität der aufserchrift-
lichen Religion, indem die Humanität der Bildung, der
Bürgertugend, der Schönheit durch die Humanität der
um Gotteswillen allen Brüdern dienenden Liebe und die
fatte Selbft- und Weltzufriedenheit durch die Erkenntnis

ift die fprunghafte Art der Argumentation, die gehäffige der reinigenden Kraft des Leidens überboten find Auf

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Confequenzmacherei, die Neigung den Gegner fittlich zu
verdächtigen, die der Verf. übrigens gegenüber Darwin
felblt gezügelt hat.
Tübingen. J. Gottfchick.

Kreyenbühl, Priv.-Doc. Dr. Johs., Die Nothwendigkeit und
Gestalt einer kirchlichen Reform. Der Kirche der Reformation
gewidmet. Freiburg i. B., J. C. B. Mohr, 1896.
(III, 256 S. gr. 8.) M. 4-

Das vorliegende Buch ift das Werk eines ehemaligen
Katholiken, der infolge feiner katholifchen Herkunft eine
genauere Kenntnifs des Katholicismus, ein feineres Gefühl
für die aus ihm in den Proteftantismus herüber genommenen
Elemente befitzt und ebendeshalb ein lebhafteres
Bedürfnifs nach durchgreifender Reform empfindet
, als es bei Proteftanten in der Regel der Fall zu fein
pflegt. Aufserdem ift der Verf., der wie fo mancher dem
Joch des Katholicismus Entronnene fich nicht unter
das andere eines doch auch fehr anfechtbaren Kirchenthums
beugen will, Philofoph und nicht Theologe, fo
dafs er das Recht zu einer von allen theologifchen Gebundenheiten
freien Sprache hat. Daher der etwas auffallende
Titel und der ftarke Reformdrang, auf den auch
die Denkweife des fchweizerifchen Reformerthums einigen

Einflufs gehabt haben mag. I die harte Prädeftinationslehre und die Erbfündenlehre den

diefem Wefen beruht auch feine Kraft der Wandelungsund
Verjüngungsfähigkeit, durch die es nie mit einer
gegebenen Geftalt ganz zufammenfällt. In der That find
alle Reformen bisher aus feiner wefenhaften Grundtendenz
hervorgegangen und bleibt auch heute über eine
wirkliche Fortbildung des chriftlichen Geiftes zu einem
höheren religiöfen Verhältnifs das erfte vernünftige Wort
noch zu fprechen. Diefe Entwickelung des Chriftenthums,
die in den folgenden Vorträgen gefchildert wird, hat
nun in feiner erften grofsen Kirchenbildung zu einer ftark
mythologifchen Anpaffung an die griechifch-römifche
Welt und zu einer priefterlich-rechtlichen Erttarrung geführt
, in der die Hauptaufgabe des Chriftenthums, jene
Synthefe wirklich herzuttellen, kaum angerührt wurde,
wenn fie auch praktifch mannigfach erlebt wurde. In
der Reformation reagirte hiergegen der lebendige chrift-
liche Geift und leitete ein neues Zeitalter ein, das der
chriftlichen Menfchheit, in dem Freiheit und Innerlichkeit
der chriftlichen Religion und Moral zum erften
Male voll zur Geltung kam, das Ideal einer chriftlichen
d. h. auf den Erlöfungsglauben begründeten Humanität
entfaltet und der Wiffenfchaft die Aufgabe einer neuen
Philofophieder Erlöfung geftellt wurde. Dabei ift aber das
von der Reformation begründete Kirchenthum in Kirchen-
und Autoritätsbegriff, Lehre und Cultus doch vielfach von
dem römifcheu abhängig geblieben. Insbefondere hat

Das Buch zerfällt in zwei Theile, deren erfter, j Dualismus in feiner abffrakteften Form erneuert und die
heben Vorträge umfaffender den gefchichtsphilofophifchen | Ueberwindung nur in der Praxis, aber nicht in der

Theorie möglich gemacht, ein Mangel, der (ich auch in
der Ethik fpiegelt, wo das Humane nur freigegeben und
dem Chriftlich-Kirchlichen beigeordnet, aber nicht innerlich
mit ihm vermittelt ift. Befonders wichtig war auch
die Fortfetzung der katholifchen Chriftologie." Indem fie
diefe in Chriftus eine abfolute und fchlechthin übernatürliche
Menfchwerdung Gottes lehrende Chriftologie
fammt dem gröfsten Theil ihrer Confequenzen und
Vorausfetzungen fortfetzte, mufste fie auch ein ffreng
fupranaturales, unwandelbar abgefchloffenes Kirchenthum
mit feftem Dogma und feftem Cultus fordern und eine
fpecififch kirchliche Cultur hervorbringen, wie denn die
Cultur der Orthodoxie nur ein Nachfpiel des Mittelalters
war. Die fo in einem ftarren Kirchenthum wieder ein-
gekapfselte chriltliche Humanität befreite fich in der Aufklärung
, vor allem in der deutfchen d. h. proteffantifchen
Aulklärung und in der folgenden grofsen Literaturperiode
von dem Kirchenthum und wurde zu einer kirchenfreien,
aber im Grunde chriftlichen Humanität, wie fie von
Leibniz, Lefling, Kant, Schiller, Goethe, Herder, Schelling,
Hegel u. a. gelehrt worden ift. Es ift die Eröffnung
einer neuen Periode, wo die chriltliche Subltanz von ihrer

Unterbau für die Forderung der Reform geben foll.
Zuerft entwickelt der Verf. feine Religionstheorie in Form
einer Skizze des Entwickelungsganges der Religion, die
ein in fich felbftändiges Lebensgebiet ift und allein von
allen Lebensgebieten einen wirklichen Fortfehritt erlebt.
In fünf Fortfehritten bewegt fich diefer Gang: pan-
theifirender mythologifcher Natur- und Seelenglaube;
ethifch begründeter, dualiltifcher Monotheismus in noch
naturreligiöfer Gebundenheit; brahmanifche Myttik mit
der Confequcnz buddhiftifcher Skepfis und Erlöfung; auf
pantheiftifcher Grundlage ruhende griechifch-römifche
Humanität; fchliefslich die konfequente Vollendung des
ethifch dualiltifchen Monotheismus in der von jedem Naturpantheismus
gelölten Religion Ifraels. Aus der letzteren
geht das im zweiten Vortrag als die abfolute Religion ge-
fchilderte Chriftenthum hervor, d. h. das auf Chriftus
begründete fchöpferifche Prinzip der hiftorifchen Gefammt-
erfcheinung des Chriftenthums. Es behält die ethifche
Höhenlage des ifraelitifchen Dualismus, mildert ihn aber
durch den Glauben an den jeder Seele gegenwartigen
Vatergott und das die Gefa'mmtmenfchheit vereinende
Reich Gottes, wodurch die unverlierbare Wahrheit des

Pantheismus und der Humanität mit der Wahrheit des , kirchlich-fupranaturahfiifchenPorm befreitund abgeftofsen
abfolut heiligen Gottes vereinigt und dem Chriftenthum j nach neuem Ausdruck ringt, aber diefen neuen Aus-
die Aufgabe einer immer tiefer zu vollziehenden Syn- j druck unter der Einwirkung eines abftrakten Monisthefe
des Pantheismus und Dualismus oder einer mus und äfthetifchen Optimismus nur fehr unficher und
Philofophie der Erlöfune eeftellt worden ift. An j unvollkommen findet. Der Weg zu einer von der chrift-

Stelle des abftrakten Gegenfatzes zwifchen dem allmäch
tigen und heiligen Gott und einer von ihm gefchaffenen,
aber leidvollen, fündhaften und dämonifchen Welt, an
Stelle einer nur in der Form nationaler Hoffnung behaupteten
Erlöfung fetzt das Chriftenthum die innige

liehen Erfahrung ausgehenden Erlöfungsphilofophie der
ethifch-foteriologifchen Teleologie wurde mannigfach be-
fchritten, aber nirgends zu Ende gegangen; man blieb an
den dem Pantheismus und der innerweltlichen Humanität
entgegenkommenden Elementen hängen und (teilte feinen

Anthcilnahme Gottes an der Welt und am Menfchen j ethifchen Dualismus und Peffimismus zurück. So kam
als folchen und eben deshalb ein univerfales Erlöfungs- | es, dafs die kirchliche Reaktion unferes Jahrhunderts