Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1897 Nr. 4

Spalte:

105-108

Titel/Untertitel:

Disputationen Dr. Martin Luthers, in den Jahren 1535-1545 an der Univ. Wittenberg gehalten 1897

Rezensent:

Kawerau, Gustav

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

105 Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 4. 106

v. 1598. Einen Mittelweg mit der Formel: „anftatt und
von wegen" fchlägt die Erbacher Agende v. 1560 ein.
Auch die neue preufsifche Agende v. 1894 mit Parallelformularen
„betritt im zweiten und dritten Formular den
rechten Weg" — nur monirt Rietfchel die Formel; „taufen
auf diefen Glauben" —, während im erften Formular
die alte Frageftellung im Anfchlufs an Luthers Taufbüchlein
beibehalten in.

Die von Schubert abgedruckten Predigten Bucers
endlich find die Augsburger Verföhnungspredigt v. 1531
und eine Trau- und Eheftandspredigt; erftere über den
Text Joh. 17, 17—21 zeigt uns den Friedensapoftel, der,
von den Verhältniffen begünftigt, die Verftändigung der
Lutheraner mit den Oberdeutfchen im Jahre 1530 zu
Stande gebracht, wie er in Augsburg felbft die Lutheraner
und Zwinglianer mit einander auszuföhnen fucht;
letztere, der die Stelle Eph. 5 zu Grunde liegt, ift vielleicht
für die Trauung des Frankfurter Syndikus Dr.
Hieronymus zum Lamb mit Margarethe Silberborn, der
Witwe des Rathsherrn Chriftoph Stalburg, (8. Okt. 1543)
gefchrieben. Da wir nur wenige Predigten Bucers befitzen
, fo find diefe Publikationen dankbar zu begrüfsen!
Ausführliche Einleitungen orientieren über Veranlaffung
und Kompofition der Predigten.

Efchershaufen (Braunfchw.) Ferdinand Cohrs.

Disputationen Dr. Martin Luthers, in d. J. 1535—1545 an der
Univerfität Wittenberg gehalten. Zum erften Male
hrsg. von Prof. Paul Drews. 2 Hälften. Göttingen,
Vondenhoeck & Ruprecht, 1895—1896. (XLIV, 999 S.
gr. 8.) M. 1.35.

Joh. Aurifaber meldet im Vorwort des 1. Bdes. feiner
Ausgabe der Briefe Luthers 1556, dafs er u.a. auch viele
Disputationen des vir Dei gefammelt habe, deren Herausgabe
er plane; auch fchon 1550 berichtet er dem König
Chriftian III. von feiner Disputationen-Sammlung; aber zur
Veröffentlichung ift er nicht mehr gekommen. Im Reformationsjahrhundert
wurde nur eine einzige diefer Disputationen
, de operibus legis et gratiae, durch den
fdacianer Chrift. Albertus 1553 edirt. Spätere Editoren
brachten unter dem Titel Disputationes nur den Abdruck
einzelner Thefenreihen, nicht der Disputationen felbft. Erft
1880 zog Karl Mollenhauer aus einer Rigaer Handfchrift
wieder eine vollftändige Disputation ans Licht. Und doch
befinden fich zahlreiche Nachfchriften folcheracademifchen
Uebungen noch in unferen Bibliotheken. Einzelne Hand-
fchriften diefer Art hatte Bretfchneider bei den Vorarbeiten
zum Corp. Ref. in Händen gehabt, aber er
urtheilte: neque mihi visae sunt satis dignae quae edantur!
Wie anders wird man jetzt darüber urtheilen, nun Paul Drews
muthig daran gegangen ift, auch diefe „anfehnlichen"
Brocken zu fammeln, chronologifch zu ordnen und in
trefflicher Ausgabe mit Einleitungen, Erläuterungen und
Regiftern uns vorzulegen! Man möchte vielleicht fragen:
warum ift diefe grofse Arbeit nicht alsbald dahin geftellt,
wohin fie doch unzweifelhaft gehört, in die kritifche
Weimarer Ausgabe? warum erft diefe Sonderausgabe?
Aber abgefehen davon, dafs jene Ausgabe noch von den
Jahren, in die diefe Disputationen fallen, weit ab ift, fo
lehrt uns die vorliegende Edition felbft, wie fchwer es
war, dies bisher unbeachtet gelaffene Handfchriften-
Material auf den erften Anlauf vollftändig herbeizu-
fchaffen. Bei den Münchner und Wolfenbüttler reichen
Schätzen begann Drews feine Arbeit — die Benutzung
derRigaerHandfchriftbliebihmverfagt — aberwährend des
Druckes vermehrte fich ihm fein Apparat durch Gothaer,
Hamburger und eine Kopenhagener Handfchrift, fo dafs
umfängliche Nachträge (S. 903—929) möglich und nöthig
wurden. Es ift aber auch zu erwarten, dafs jetzt nach
dem Erfcheinen diefes Disputationen-Bandes noch von
anderen Stätten her weitere Handfchriften ans Licht

treten werden. Es ift alfo gut, dafs für die Edition der-
felben in der Weim. Ausg. noch weitere Forfchungen
abgewartet werden können. Drews hat Aufzeichnungen
von 24 Disputationen gefunden; theils find es Nachfchriften
der Disputationen felbft, theils nur Notate einzelner
Argumenta derfelben, theils Präparationen für diefelben.
Die Thefen diefer Disputationen waren fämmtlich bereits
bekannt, die meiften flammen von Luther und flehen daher
in Opp. var. arg. IV, in einzelnen Fällen leitete aber
auch Luther Disputationen, zu denen Melanchthon die
Thefen geftellt hatte, die daher in Corp. Ref. XII zu
fuchen find. Meift hat Drews auch die Thefen felbft
nach der älteften Vorlage mit abgedruckt. Die Disputationen
find theils Promotionsdisputationen unter Luthers
Präfidium und unter Theilnahme verfchiedener Docenten,
theils Circulardisputationen. Unter letzteren verlieht Dr.
Studentendisputationen, d. h. „Studenten müffen fich zu
einem gefchloffenen Kreis zum Zwecke des Disputirens
auf Anregung und unter Vorfitz eines Magifters zufammen-
gefchloffen haben, fo dafs der eine als Refpondent, die
anderen als Opponenten fungirten" (S. XX). Es find ihm
die Seminarübungen der damaligen Zeit. Er will alfo,
wenn ich ihn recht verliehe, den Ausdruck von dem be-
ftimmten Circulus scliolasticorum, der fich zu ihnen zu-
fammengefchloffen hat, deuten. Sachlich ftimme ich ihm
bei, aber die Worterklärung ift mir fraglich. Unzweifelhaft
ift ja doch urfprünglich an den circulus magistrorum
gedacht; der Reihe nach füllten diefe folche Uebungen
anflehen und leiten, und diefe regelmäfsigen, unfeierlichen
,,Circular"-Disputationen1) bilden nun, auch wenn nur ein
Einzelner fie wieder nach einer Zeit des Verfalls neu zu
beleben fucht, einfach den Gegenfatz zu den folennen
Promotions-Disputationen, ohne dafs wir überhaupt einen
neuen Genetiv zu circulus hinzuzudenken hätten. An dem
Worte haftet m. E. nur noch die Bedeutung Disputation
zu Uebungszwecken, ohne dafs wir jetzt das Wort
circulus mit „Studentenkränzchen" überfetzen dürften.
(Uebrigens lies S. XXI quüibetpublice legens, nicht Quodlibet
— und S. XXII Anm. 2 tres ctrculos rVwrWlaut
Muthers Abdruck der Statuta Königsb. 1859, S 16 11
Sollte es nicht auch S. XXI heifsen müffen: aliquem
scliolasticorum teuere circulum ftatt terere? diefen Ausdruck
würde ich aber nur dahin verliehen, dafs die Docenten
secundum ordinem regelmäfsig die bekannte Cir-
culardisputation mit den Studenten halten follen, nicht dafs
fie „im gefchloffenen Kreife" mit ihnen zu disputiren
haben.) — Das Intereffe, das diefe Categorie von Disputationen
uns erweckt, ift, dafs wir hier einen Einblick
in die Ausbildung der Studenten gewinnen können. Sie
müffen verfuchen, den vom Lehrer aufgeftellten Thefen
Einwendungen entgegenzuftellen und diefe wiederum zu
entkräften. Nach feinem Ermeffen greift der Leiter der
Disputation bald hier, bald da ein, zurechthelfend, eine
Solutio bietend, oder auch ein paränetifches Wort, eine
kurze oder längere Anfprache an die jungen Theologen
einfchaltend. Die Opponenten fechten dabei häufig, mit
Leffing zu reden, yvf.ivaaiiy.iZc, d. h. fie erheben Einwendungen
, die fie materiell fich damit noch nicht aneignen,
die vielmehr wefentlich der dialektifchen Uebung dienen
follen. Die Form ift dabei durchweg die des ftrengen
Syllogismus. Intereffant ift es, Luthers Pädagogik dabei
zu beobachten, wenn er z. B. S. 45 einen Einwurf ausdrücklich
belobt, nicht weil er fachlich berechtigt ift,
fondern weil das ein Argument fei, deffen fich die Feinde
des Evangeliums oft bedienten. Oft wird er recht ge-
fprächig, man merkt, wie ihn die Sache bewegt und wie er
gewine Wahrheiten und Erkenntniffe den jungen Theologen
recht tief einprägen möchte. Dabei ift er freundlich, auch
wo er Verkehrtes zurückweifen mufs. Mit befonderem
Danke wird man hier die vollftändigen Disputationen

t) Man beachte z. B. den Ausdruck: „pro proctssu disputalorio
theologico circulari" im Titel von Wimpina's Eptthoma. Francop. 1508.