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Ausgabe:

1897 Nr. 3

Spalte:

86-87

Autor/Hrsg.:

Lobstein, P.

Titel/Untertitel:

Essai d’ une introduction à la dogmatique protestante 1897

Rezensent:

Schultz, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 3.

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das Lebensbild nirgends auf. An der Grenze der Union
macht Petris VVirkfamkeit überall Halt. Aber umgekehrt
ohne die preufsifche Union ift die Art diefer Wirkfamkeit
garnicht denkbar. Im Lauf der hier behandelten Periode
feines Lebens wird wiederholt für die Hannoverfche
Landeskirche der Name einer „evangelifchen" ftatt
„lutherifchen" als irrthümlich, als Phantom abgewiefen
(S. 38. 166). Aber Petri ift fich fehr wohl bewufst, dafs
diefe Bezeichnung auf die allgemeine kirchliche Temperatur
der zwanziger und dreifsiger Jahre zutrifft (S. 161 ; vgl.
I, 96. 86.) „Da kam aber eine Wendung, welche ihm
[dem neuen Geilt der Erweckungszeit] eine noch ent-
fchiedenere Richtung und federe Pofitionen gab; die Art
und Weife nämlich, wie feit dem Jahre 1830 die Union
in Preufsen durchgeführt werden follte" (S. 160.) Und
dafs in der That nur der Gegenfatz gegen die ftaats-
rechtliche Durchführung der Union die neue „Kirche"
der vierziger Jahre in fich zufammen- und gegen Andersartiges
abfchliefst, ergibt fich aus einer weiteren Erklärung
Petris in der „Beleuchtung der Göttinger Denkschrift
zur Wahrung der evangelifchen Lehrfi eiheit"
(1854): „Was wir fuchen, ift die rechte Vereinigung und
Durchdringung deffen, was in der Orthodoxie und im
Pietismus Wahres war oder Wahres gemeint und gewollt
wurde" (S. 155). Der Pietismus, den diefe Orthodoxie
doch nicht abzuftofsen wagt, ift aber die gefchicht-
liche Grundlage der Union. Er zwingt diefe Lutheraner
des 19. Jh. den Gegnern, Reformirten und Unirten, „die
beiden Prädicate des Chriltlichen und Evangelifchen" rund
zuzugeftehen (S. 115.) und mitten im Kampf fortwährend
die Erklärung abzugeben, dafs der Liebe kein Abbruch
gefchehen foll. Ift diefe Auffaffung Petris vom Urfprung
und Ziel der neuen Kirchlichkeit richtig, wie man zu
bezweifeln keinen Anlafs hat, fo kann fich diefelbe weder
einer eigenartigen Frömmigkeit noch einer aus eignen
Glaubensgedanken erwachfenen Theologie rühmen. Sie
kann nur ein eigenes Kirchenrecht besitzen. Und rechtliche
Maafsltäbe find es dann auch, mit denen in der
erwähnten „Beleuchtung" die Unionstheologie der Göttinger
bekämpft wird — ein Vorfpiel zu dem, was wir
heute in gröfserem Umfang erleben. Faft erheiternd
wirkt es, wenn am Schlufs der fehr weitläufigen Be-
fprechung diefer Schrift Petris (S. 147 —190) Ritfchls
anerkennendes Urtheil (Ritfchls Leben I, 432 ff.) citirt wird.
Wie weit diefe Anerkennung reichte, deutet der Verf. nur
eben an. Den Schlufs von Petris öffentlicher Wirkfamkeit
bildete der Hannoverfche Katechismusftreit von 1862.
Wenn der Verf. auf den Ausgang diefes Streites das
Wort „Wäre er von der Welt, fo hätte die Welt das
Ihre lieb" von Munkel mit Recht angewandt fieht, fo ift
das ein Verfahren, welches jedes gefchichtliche Verftänd-
nifs ausfchliefst. (Vgl. O. Ritfehl, a. a. O. II, 7 ff.)

Zwei Schlufscapitel (S. 245 — 310) berichten über
Amtliches und Perfönliches sowie über Lebensabend
und Heimgang. Angehängt ift eine Gedächtnifspredigt
nach Petris Tode und aus deffen Nachlafs eine „Chrift-
liche Vermahnung an eine Gemeinde, die ihren Prediger
und Seelforger wählet."

Rumpenheim. S. Eck.

Nitzsch, Prof. Dr. Friedr. Aug. Berth., Lehrbuch der evangelischen
Dogmatik. 2. verb. Aufl. Freiburg i. B.
J. C. B. Mohr 1896. (XVIII, 610 S. gr. 8.) M. 14.—
Es gereicht mir zur Freude, mit der Anzeige der
fchon nach 5 Jahren nöthig gewordenen zweiten Auflage
diefes ebenfo gelehrten wie befonnenen dogmatifchen
Lehrbuchs conftatiren zu dürfen, dafs Theologie-Studirende
und Geiftliche die ihnen hier gebotene Gelegenheit nicht
unbenutzt gelaffen haben, fich über die dogmatifchen
Fragen der Gegenwart mit ihrer biblifchen Begründung
undbkirchlichen Vergangenheit an der Hand eines zuver-

läffigen und billig denkenden Führers zu Orientiren. Das
Buch ift feiner Anlage nach völlig unverändert geblieben.
Und die Natur eines Lehrbuchs geblattet nicht, im Einzelnen
herauszuheben, wo Aenderungen des urfprüng-
lichen Textes vorliegen. Die Litteratur ift forgfältig ergänzt
, und wo fich Gelegenheit bot, die Darfteilung zu
erweitern oder auf einen treffenderen Ausdruck zu bringen,
ift fie gewiffenhaft benutzt, ohne dass an dem Charakter
des Buchs oder in den von dem Verf. vertretenen Anflehten
eine Veränderung hervorträte. Da ich die beiden
Abtheilungen der erften Auflage in diefer Zeitfchrift zur
Anzeige gebracht habe (1889 Nr. 13, 1892 Nr. 12), fo
habe ich keine Veranlaffung, auf fchon Gefagtes zurückzukommen
, und möchte nur den Wunfeh ausfprechen,
dafs das Buch auch in der neuen Geftalt von unfern
Theologen recht fleifsig benutzt werden möge, um gegenüber
den nicht feltenen Parteiverdunklungen des Standes
der dogmatifchen Fragen eine zuverläffige und gründliche
Kenntnifs derfelben zu gewinnen.

Da der Herr Verf. unter den bedeutenderen Erweiterungen
feines Buchs auch eine Darftellung meiner
Lehre vom h. Abendmahl giebt, darf ich hier wohl ohne
Unbefcheidenheit ein Wort der Abwehr einflechten. Er
bezeichnet meine Darfteilung als eine „von der S. glaubt,
dafs fie im tiefften Sinne die genuin altlutherifche fei",
— eine Behauptung, die fchon Lipfius gemacht hat, und
die ich nicht ftillfchweigend als zugeftanden gelten laffen
möchte. Ich habe in meiner Schrift nur gefagt, dafs die
Formeln der altlutherifchen Abendmahlslehre, — unhaltbar
wenn fie auf das in der Controverfe des 16 u. 17
Jahrhunderts vorausgefetzte Subftrat, die verklärte Natur
Jefu, angewendet werden, alfo unrichtig ihrer eignen
Abficht und Meinung nach, — richtig werden, wenn
man fie auf das wirklich in Frage kommende Subftrat
bezieht, auf das zu einer gefchichtlich geiftigen Wirklichkeit
gewordene für uns als Opfer gebrachte Leibesleben
des irdifchen Jefus. Ich hätte wohl annehmen dürfen,
dafs man den Unterfchied zwifchen diefen beiden
Meinungen fehen und mir zutrauen würde, dafs auch ich
ihn verftände.

Göttingen. H. Schultz.

Lobstein, Prof. P., Essai d' une introduetion ä la dog-
matique protestante. Paris, Fifchbacher, 1896. (250 S.
gr. 8.) M. 3.—

Herr Profeffor Lobftein bietet in dem vorliegenden
Buche einen neuen wertvollen Beitrag zur Verbreitung
und Verteidigung der Beftrebungen und Gefichtspunkte
der neueren deutfehen Theologie unter den Proteftanten
franzöfifcher Zunge, bei denen das kirchliche Leben im
Allgemeinen noch wefentlich durch den Gegenfatz der
fpekulativ-kritifchen und der biblifch-confervativen Theologie
beherrfcht wird. Zu diefer Aufgabe befähigt ihn
ebenfowohl die Gabe einfach klarer Darfteilung wie die
umfaffende Kenntnifs der theologifchen Litteratur beider
Sprachen in befonderer Weife. Auch für den deutfehen
Lefer wird es von Bedeutung fein, fich durch die in dem
Buche enthaltenen reichen literarifchen Nachweife vor
einer einfeitigen Beurteilung der im franzöfifchen Prote-
ftantismus geleifteten religiöfen Arbeit warnen zu laffen.
Vor allem möchte ich auf die eingehende Würdigung des
bei uns viel zu wenig gekannten Vinet, und auf die
Verwerthung der theologifchen Leiftungen von Sabatier,
L. Monod, Bovon, Scherer, H. Bois u. A. hinweifen.

L. verweift aus der Einleitung in die Dogmatik die
Lehrftücke, die man fo oft fyftemlos in den „Prole-
J gomena" zufammengeftellt findet, während fie doch der
j Apologetik angehören oder erft im Syfteme der Dogmatik
| felbrt mit Erfolg behandelt werden können. Er fchildert
i) die überkommene Vorftellung vom Dogma
I {enseignement autoritaire, croyance obligatoire consacree