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Ausgabe:

1897

Spalte:

83-85

Autor/Hrsg.:

Petri, E.

Titel/Untertitel:

D. Ludwig Adolf Petri, Pastor zu St. Crucis in Hannover. Ein Lebensbild 1897

Rezensent:

Eck, Samuel

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 3.

,84

Dommerne (Verflucher) in Jütland berichtet wird, entbehrt
leider jeder Zeitangabe: ,in einer Verfammlung
entftand ein Streit' — wann und wo, erfahren wir nicht.
Ebenfo fehlt dem Bericht über Grunnet's Freigemeinde
die genauere Datirung. Nur der Bericht über die ,Born-
holmer' S. 148—170 bringt reichlichere und genauere
Angaben.

Referent hatte das Buch mit der Hoffnung auf reichliche
Belehrung zur Hand genommen; er mufs leider
fagen, dafs diefe Hoffnung nur zu einem geringen Theil
erfüllt ift. Theils find die Studien des Verfaffers nicht
tief und gleichmäfsig genug, um ausreichend und aus
dem Vollen heraus Andere orientiren zu können, theils
fehlt ihm Klarheit und Durchbildung des theologifchen
Urtheils. Was foll es z. B. heifsen, dafs S. 5 bei Mar-
tenfen unleugbare Abweichungen von der lutherifchen
Kirchenlehre anerkannt, diefelben aber im Satz vorher
als ,fcheinbare Heterodoxien' bezeichnet werden? Bald
werden die lutherifchen Bekenntniffe als norma doctrinae
gehandhabt, und dann wird wieder der Vorwurf gegen
W. Beck und feine Leute, dafs fie den Sacramenten von
den Wirkungen des Worts unterfchiedene Gnadenwirkungen
beilegten, damit erledigt: das fei zwar nicht
correct lutherifch, — aber Martenfen, Thomafius u. A.
theilten ja diefe Äuffaffung (S. 59)! Die Tübinger Theologen
Baur und Beck führt er auf als E. Baur und F. Beck;
die ,Amfel'fche' Satisfactionslehre ift gewifs nur Druckfehler
. Aber was denkt fich der Verfaffer unter einer
,Perfonalunion'? So nennt er das freie vereinsmäfsige
Zufammenwirken von Geiftlichen und Laien (S. 65 u. 66);
den Gegenfatz dazu eine ,kirchliche Organifation'. Vor
einer folchen mufs er aber einen gewaltigen Refpekt
haben, der doch fonft unter Paftoren fehr im Abnehmen
begriffen ift; denn es ift ihm faft ein Wunder, dafs ein
Verein über ein Menfchenalter hat beftehen und fich ausbreiten
können, ,defien Theilnehmer keine eigentlich
kirchliche Organifation verbindet, deren Geittliche und
Laien nur durch eine Perfonalunion vereinigt find' (S. 66).
Eine eigenthümliche Probe feiner Theologie erhalten wir
S. 74, wo er die Trias notitia, assensus, fiducia mit Erkennen
, Fühlen und Wollen in Parallele fetzt.

Breslau. G. Kawerau.

Petri, Superint. Paft. prim. F., D. Ludwig Adolf Petri, weil.
Patt, zu St. Crucis in Hannover. Ein Lebensbild, auf
Grund feines fchriftlichen Nachlaffes und nach den
Mittheilgn. feiner Freunde dargeftellt. 2. Bd. Hannover,
H. Feefche, 1896. (XI, 340 S. gr. 8.) M. 4 —; geb. M. 5—

Der 1. Band diefes Lebensbildes erfchien 1888; s.
Th. L. Z. 1889, S. 398. Diefer 2. reicht vom Jahre
1848 bis zu Petris Tode im Jahre 1873. Er fchildert in
einem erften Kapitel (S, 1—244) unter der Ueberfchrift
„Kämpfen und Bauen" den Paftor an der Kreuzkirche
in Hannover auf der Höhe feiner Wirkfamkeit. Ich kann
leider nicht fagen, dafs der Eindruck ein erfreulicher ift.
Das Revolutionsjahr hat in Petri und feinen Gefinnungs-
genoffen nichts von dem geweckt, was Uhlhorn (Liebes-
thätigkeit III, 364) als den durch Wichern vermittelten
Segen desfelben achtet. Statt einer „unmittelbaren Berührung
mit dem Volk und feinen Bedürfniffen" zeigt
fich ein ängftliches Zurückziehen auf den Kreis derer,
mit denen man fich im engften Bekenntnifsglauben
einig weifs. Seperationsgedanken wurden hin und her
erwogen, zwar für den Augenblick zurückgeftellt, aber
für eine nahe oder ferne Zukunft als der einzige Ausweg
feftgehalten (S. 6. 9. 13. 58. 60. 66. 95). Die Pfingft-
conferenz, vom Anfang an confeffionell befchränkt, foll
nun vollends „nur aus Gleichgefinnten beftehen, nicht,
wie die bisherige, aus allerlei Zufammenlaufenden" (S. Ii).
In dem neugegründeten „Zeitblatt", das Petri bis 1855
redigirt, fchliefst man fich mit Abficht von den Göttingern

ab (S. 16. 19. vgl. L 109). In der Kirchenverfaffungs-
frage ift man, mit etlichen leichten Verbeugungen gegen
den Zeitgeift, fynodalen und presbyterialen Einrichtungen
abhold, aber zugleich von Mifstrauen gegen das Staatskirchenthum
erfüllt. Denn die Paftoren find die prae-
cipua membra ecclesiae, ihnen gebührt daher das Regiment,
eine bifchöfliche Verfaffung ift das Ideal und die Synoden
find fchon um deswillen zu beanftanden, weil fie dem
Laienelement die gleiche Bedeutung wie dem paftoralen
vindiciren (S. 7. 39. 46. 55. 65. 68. 71.). Am ärgften aber
fträubt man fich gegen die Anerkennung deffen, was
Wichern unter dem Namen der Innern Miffion ins Leben
ruft. Allein die breite Vertheidigung, die den Angriffen
des Zeitblatts auf die Innere Miffion auf S. 117—138 zu theil
wird, hält in keiner Weife der brieflichen Erklärung von
Petris ehemaligem Collaborator Freytag ftand: „Als Hannover
Grofsftadt wurde und er (Petri), auf die Kanzel
und feine Stube und fein Betkämmerlein befchränkt, die
Zuftände der wachfenden Entkirchlichung durch die Augen
feines Colloborators fehen mufste. und diefer ihm immer
wieder rückhaltslos fagte und klagte, dafs die Kirche
fich beffer aufmachen müffe, den Schaaren der Gott-
und Kirchenlofen nachzugehen ... da kam Petri auch
dahin, und das möchte wohl als ein Wendepunkt zu
bezeichnen fein, einen eignen Geiftlichen, und zwar
einen ordinirten, im Dienfte eines Vereins mit der Aufgabe
betrauen zu wollen, ohne Rückficht auf die
parochialen Schranken in dem grofsen entkirch-
lichten Haufen der Stadt, die Leute in Verfammlungen
und fonft mit Gottes Wort bedienen zu follen — nicht
von Amtswegen, fondern von der Liebe wegen" (S. 137).
D. h. Petri hat, als er gegen die Innere Miffion zu Felde zog,
die Zuftände einfach nicht gekannt, die jene nothwendig
machten. Und das ift fehr begreiflich, wenn der Verf.
des Lebensbildes recht hat, von einer „Blödigkeit und
Sprödigkeit (Petris) der entkirchlichen Menge gegenüber"
zu fprechen, die es ihm „phyfifch und psychifch" unmöglich
machte, „direkt mit dem fog. niederen Volk in Verbindung
zu treten". (I, S. 208 ff.) Mag nun das eben
Petris Charisma gewefen fein, auf die Höhergebildeten
zu wirken (1 S. 66. 156. 198. 212), so mufste der Verf.
der dies Charisma für ihn in Anfpruch nimmt, Wichern
gegenüber einfach feine, Petris, Incompetenz erklären.
Die Erörterungen über die Volksfchule, die gleichfalls 1848
zeitigt, find nur geeignet das zu beftätigen. (II, S. 80 ff.)

Aber „die Kirche"! Auch Uhlhorn (Liebesthätigkeit III,
358 ff.) hat bekanntlich die confeffionelle Oppofition gegen
Wichern in Schutz genommen, fofern durch fie erft der
Gedanke an die Kirche mehr in den Mittelpunkt gerückt
worden fei, wenn er auch von einer doctrinären Ueber-
fpannung des Kirchenbegriffs fpricht. Und „die Kirche"
ift ja freilich das Leitwort für Petris öffentliche Wirkfamkeit
. Im Namen der Kirche wird die Arbeit an der
Heidenmiffion in Gemeinfchaft mit Reformirten und
Unirten abgelehnt (I, 306 ff.). Der Kirche zu Ehren wird
der Guftav-Adolf-Verein nur mit halben Herzen unter-
ftützt und ihm entgegen der lutherifche Gotteskaften gegründet
. Wenn der von Petri verfafste Aufruf zu feiner
Gründung die Abficht einer Oppofition oder Demon-
ftration ablehnt, fo mag Rades Recenfion des auf S. 141
citirten Werkes von Funke über die luth. Gottesk. zeigen,
was daraus geworden ift (Th. L. Z. 1884, 512). Diefelbe
Kirche lehnt a limine jeden Zufammenfchlufs mit
Andersgefinnten zu gemeinfamem Rathen im Sturmjahr
1848 ab, und bekämpft dann in heftigfter Weife Wichern
und fein Werk.

Wie ift diefe Kirche derbewufsten Engherzigkeit ent-
ftanden? Petri war nicht nur der anerkannte Leiter der
gleichgerichteten Hannoverfchen Geiftlichkeit, er war zugleich
der vielgefuchte Vertrauensmann der Mecklenburger
, Bayern, Sachfen, am wenigften der Schleuer.
Alle Fäden des confeffionellen Lutherthums laufen im
Kreuz-Pfarrhaus zufammen. Beziehungen zu Berlin weift