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Ausgabe:

1897

Spalte:

81-83

Autor/Hrsg.:

Jessen, E. A. F.

Titel/Untertitel:

Die Hauptströmungen des religiösen Lebens der Jetztzeit in Dänemark 1897

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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Theologiche Literaturzeitung. 1897. Nr. 3.

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tinnnen u. f. w. Da wäre nun fehr erwünfcht, von den
bedeutendften Predigern der Wüfte wie C. Court,
P. Rabaut und feinem Sohne, Vincent u. and. Proben
ihrer homiletifchen Thätigkeit zu befitzen, fie wären für
Redner und Zeit gleich charakteriftifch. Aber was damals
gedruckt wurde, ift als fliegendes Blatt beinahe bis
auf die letzten Spuren verfchwunden; es war auch zu
gefährlich, folche verbotene Dinge aufzubewahren; nur
ganz wenige und kleine Proben jener fegens- und erfolgreichen
Thätigkeit find bis jetzt veröffentlicht. Combe
hat das Verdienft, einige neue hinzugefügt zu haben.
Allerdings find diefe Predigten, von welchen die erfte
nach alten Druckreifen, die vier andern aus den Papieren
Courts wiedergegeben find, nicht in Frankreich
felbft, fondern in der Schweiz z. B. in Laufanne,
von A. Court gehalten worden, fie geben uns daher
nicht den vollen Einblick in die „Wüften-Predigten", aber
fie geben uns doch immer einen fchätzenswerthen Begriff
von der Predigtweife Courts, feiner Exgefe, Dispofition, der
praktifchen Anwendung, und wir freuen uns, auch hierin
den frommen, eifrigen Chriften zu finden, der einfach
und klar, bibelfeft und von Herzen glaubend, ohne auf
Spekulationen fich einzulaffen, das Wort Gottes verkündet
, ftreng logifch verfährt, die Nutzanwendungen
treffend zieht, feine Beifpiele aus der Bibel- und Kirchen-
gefchichte nimmt und ohne glänzende Deklamation ftets
lebendig und ergreifend fpricht. Intereffant ift die erfte,
Courts Probepredigt, über das Recht und die Pflicht der
gottesdienftlichen Verfammlungen, wo Court entfchiedene
Stellung nimmt zu einer damals vielumftrittenen Frage
und das Recht der Proteftanten zu diefen verfehmten
Predigtverfammlungen mit allen Gründen der Schrift
vertheidigt, zugleich aber auch damit allen böfen Gerüchten
, welche über feine Glaubensgenoffen ausgefprengt
wurden, entgegentritt. — Die Lebensbefchreibung von
Court, welche Combe den Predigten voranftellt, ift frifch
und lebendig gefchrieben und giebt einige fonft nicht
bekannte Züge und Worte des trefflichen Mannes. —
Der Geburtstag von A. Court ift nach Bullet. 1885, p. 321.
der 27., nicht 17. März.

Stuttgart. Theodor Schott.

Jessen, Paff. E. A. F., Die Hauptströmungen des religiösen
Lebens der Jetztzeit in Dänemark. Gütersloh, C. Bertelsmann
, 1895. (VIII, 176 S. gr. 8.) M. 2.-

Der Verfaffer ift zwar nach S. 16 Student in Kopenhagen
gewefen, ift aber Deutfcher und fchöpft auch feine
Kenntnifs der dänifchen kirchlichen Richtungen nur aus
dänifcher und deutfcher Literatur, die er S. VIII aufführt.
Demgemäfs ift er über Manches ausreichend, über Anderes
aber auch wenig orientirt und mufs bei manchen doch
für den Lefer wichtigen Punkten erklären: ,das ift mir
unbekannt'. Auf recht Wichtiges — übrigens längft Bekanntes
— ift er erft während des Druckes durch Briefe
aus Dänemark aufmerkfam geworden und theilt es uns
als ,Nachtrag' mit. Die Mittheilungen über die dänifchen
Mifflonsgefellfchaften, die er fo auf S. 76 nachträgt, find
übrigens viel dürftiger, als die Angaben, die z. B. in
Gundert, Die evang. Miffion, Calw 1894, zu finden find.
Seinem Stile nach zu urtheilen, möchte man faft bezweifeln
, dafs er Deutfcher ift: fo fehlerhaft ift er; da
er Deutfcher ift, wird man wohl von grofser Nachläffigkeit
in Bezug auf die Form reden müffen. Der Titel des
Buches trifft infofern mit dem Inhalt nicht genau überein,
als nur von den Richtungen und Strömungen innerhalb
der evang. luth. Kirche und von evangelifchen Secten
gehandelt wird, die katholifche Propaganda, über die
man gern Näheres erführe, nur gerade geftreift, aber nicht
irgendwie genauer behandelt wird (S. 8). Er theilt die
mannigfaltigen Erfcheinungen des religiöfen Lebens in
einer logifch recht anfechtbaren Partition ein in 1) die

pofitiv-chriftliche Strömung, 2) die Härefie und 3) das
Sectenthum.

Unter 1) fafst er zusammen die volkskirchliche
Richtung (Martenfen, Madfen, Nieifen, Scharling), die
Alt-Grundtvigianer (Grundtvig, Hammerich, Paludan-
Müller u. A.) und den kirchlichen Verein der innern
Miffion (W. Beck). Seine Sympathien gehören hier vor
allem der volkskirchlichen Partei, die er gegen die Vorwürfe
der Grundtvigianer vertheidigt und deren Profefforen
er auch ein günftiges Zeugnifs ausftellt — nicht ohne
allerlei Seitenhiebe auf die böfen ,Schriftgelehrten' in
Deutfchland. Bei Befprechung der Grundtvigianer gibt
er eine längere Inhaltsreproduction von Paludan-Müller's
Skriften og Overleveringen (S. 28—43); fein Urtheil aber
fchwankt zwifchen Tadel und Anerkennung. Er dankt
diefer Bewegung für die Werthfehätzung, die fie dem
Apoftolicum wieder verfchafft habe, findet aber doch
eine bedenkliche Ueberfchätzung der Sacramente und
eine Unterfchätzung der heiligen Schrift bei ihnen, dazu
einen gefährlichenOptimismus, der den dänifchen Nationaldünkel
herbeigerufen und dadurch Politik und Religion
in bedenkliche Mifchung gebracht habe. Den Beftrebungen
des kirchlichen Vereins für innere Miflion unter ihrem
volksthümlich begabten Organifator und Erweckungs-
prediger Wilh. Beck fleht er im Ganzen freundlich gegenüber
, nimmt den Verein auf S. 58 energifch gegen den
Vorwurf, Grundtvigianifchen und methodiftifchen Ein-
flüffen ausgefetzt zu fein, in Schutz; aber doch mufs er
S. 60 und 62 felber einräumen, dafs er .viele methodiftifche
Elemente in fich aufgenommen'; in feiner forcirten
Bufspredigt bis hin zur Einrichtung von Bufsbänken fo-
wie in der auf gefteigerte Gefühlserregung bahrten
völligen Heilsgewifsheit liegen ja auch unzweifelhaft
methodiftifche Einflüffe vor, die natürlich bei den betheiligten
Laienpredigern viel ftärker zu Tage treten, als
bei den theologifch gebildeten Führern. Als einen .Anhang
' zu diefen ,pofitiv-chriftlichen' Richtungen behandelt
er S. Kierkegaard, meift nach Bärthold. Unter der Auf-
fchrift ,Härefie der Jetztzeit in Dänemark' kommen der
,Neu-Rationalismus' und der ,Neu-Grundtvigianismus' zur
Darftellung, denen der Philofoph Höffding und der Lite-
raturhiftoriker Brandes angefchloffen werden. Hier zeigt
fich die mangelhafte theologifche Ausrüflung des Ver-
faffers; wenn man fieht, wie er bei Vergleichung unferer
deutfehen Verhältniffe Proteflantenverein und Ritfchlianer,
dann wieder Paulus, Baur, Straufs und Wellhaufen, und
wieder Straufs und Hartmann in einem Athem nennt, fo
wird man zu einem folchen Führer durch die ,Härefieen'
in Dänemark nur fehr geringes Zutrauen haben. Er
fchildert uns z. B. Leute, die nur ein weltförmiges Chriften-
thum wollen, nicht einmal ficher wiffen, ob es eine andere
Welt gibt, politifch fich mit dem extremen Liberalismus
verbunden und für confeffionslofe Schulen agitiren, und
fagt von ihnen: rwefentlich identifch mit den Ritfchlianern
des linken Flügels'. Nicht nur feine Kenntnifs der betreffenden
dänifchen Literatur ift hier unzureichend,
fondern auch das theologifche Unterfcheidungsvermögen.
Nach den Enttäufchungen, die mir diefer Abfchnitt bereitet
hatte, begann ich den 3. Theil, der die Secten in
Dänemark behandeln will, mit befferen Hoffnungen zu
lefen. Aber was finden wir hier? Er gibt uns allgemeine,
längft bekannte Daten über die Gefchichte der Quäker,
der Herrnhuter, der Baptiften u. f. w. überhaupt, fchreibt
einiges über ihre Begründer, ihre Lehre und Organifation
zufammen, aber über ihre Thätigkeit in Dänemark
weifs er felber faft gar nichts, und das allein begehrt
man doch hier zu erfahren: Quäker 2 Seiten, darunter
ein Satz von 2 Zeilen über ihr Vorkommen in Dänemark
; Brüdergemeinde 4 Seiten, darunter ein Satz von
4 Zeilen über ihre Exiftenz in Dänemark; Heilsarmee
4 Seiten und keine Zeile über Dänemark! u. f. f. Freilich
erhalten wir einige Nachrichten über fpeeififeh dänifche
Secten und Separationen; was aber hier S. 133 über die