Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1897 Nr. 3

Spalte:

80-81

Autor/Hrsg.:

Combe, Ernest

Titel/Untertitel:

Antoine Court et ses sermons 1897

Rezensent:

Schott, Theodor

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

79

Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 3.

80

betäubenden Lärm und Streit der religiöfen und politifchen
Parteien, hie und da klingt eine feine Ironie über Lob-
preifung von Prinzeffinen, über Verherrlichung der guten
alten Zeit durch; die Kulturgefchichte zieht reichen Gewinn
aus Text und Anmerkungen, noch gröfseren die
Reformationsgefchichte Italiens, aber in erfter Linie ift
das Buch vollfländig Biographie. Noch fehlt ja eine
gute, dem gegenwärtigen Stande der Forfchung ent-
fprechende Gefchichte der Reformation in Italien, aber
fo intereffant der Stoff auch ift, die Schwierigkeit der
Arbeit kennt jeder, der nur ein wenig fich in diefem
Gebiete bewegt hat. Der Verfaffer des vorliegenden
Buches fcheint dies auch gefühlt zu haben; er gibt wohl
abfichtlich keine zufammenfaffende Schilderung des religiöfen
Zuftandes von Italien, als Renata als Herzogin in
Ferrara einzog, ebenfo wenig von dem Einflufs, welchen fie
während ihres 30 jährigen Aufenthaltes auf die Gefammt-
bewegung ausübte. Bei den politifch fo tief zerriffenen
Zuftänden der Halbinfel, bei dem kurzen Frühling, welchen
die Reformation in Italien genofs, welcher mit der Zer-
ftörung auch von unzähligen Dokumenten endete, find
die Fäden der Verbindung oft fehr fchwer nachzuweifen,
vielleicht gar nicht mehr zu finden z. B. die Verbindung
mit dem neapolitanifchen Kreife von Valdes. Zukünftigen
Gefchichtsfchreibern ift hier noch ein fchönes Feld
der Thätigkeit eröffnet, die Gegenwart aber freut fich
eines jeden neuen Baufteines zu diefem Werke und als
folchen begrüfsen wir auch das Buch Rodocanachis. —
In zwei ziemlich gleiche Hälften zerfällt das Buch nach
dem Aufenthalt feiner Heldin in Italien und in Frankreich
. Die intereffantere, gewifs aber auch fchwierigere
für die Darflellung bilden die italienifchen Jahre. Allerdings
hat Bart. Fontana in feinem fehr bemerkenswerthen
Werke: Renata diFranciaduchessa diFerrara 1. 2. Roma,
1889 — 93 diefe Zeit fchon in hervorragender Weife
behandelt, auch eine Fülle neuer Dokumente aufgefpürt
und verwendet, (z. B. Breven der Päpfte an Renata, den
Herzog und Cardinal von Ferrara, Franz L, Karl V.,
Margaretha von Navarra, Michelangelo, Erasmus, Reg.
Pole u. and.) J. Bonnets Studien find dadurch fo ziemlich
auf die Seite gedrängt worden, Rodocanachi hat
aber in feinem Buche noch felbftändig genug gearbeitet.
Einen höchft fchwierigen Pölten hatte die 18 jährige
franzöfifche Königstochter, als fie vielfach umworben
und verfagt endlich dem Erbherzog Herkules von Ferrara
angetraut wurde (1528), um diefen Hof im franzöfifchen
Intereffe zu erhalten. Bis zum Jahre 1560, wo fie wieder
in ihre geliebte Heimat als Wittwe zurückkehrte; hat fie
diefer dornenvollen Aufgabe ihre befte Kraft gewidmet,
fie ift — und Radocanachi hebt es mit befriedigtem
Nationalfinn hervor — auch in Italien Franzöfin geblieben;
von den ungezählten Wohlthaten, welche fie mit beinahe
allzufreigebiger Hand über alle möglichen Leute ausftreute,
fiel ein übermäfsiger Prozentfatz ihren Landsleuten zu und
wenn fie dafür von denfelben mit vollftem Rechte hoch-
gepriefen wurde, fo kam fie doch dadurch oft genug in
fchiefe Lage. Und eine ähnlich fchwierige Stellung
wurde ihr in religiöfer Hinficht; den Lehren der Reformation
nicht abgeneigt, kam fie an einen ganz katholifchen
Hof, deffen Suzerän der Papft war, und als trotzdem ihre
Hinneigung zur neuen Lehre durch den Einflufs von
Marot und Calvin zunahm, war damit der Anlafs zu den
fchwerften Konflikten im Haufe und im eigenen Herzen
gegeben. Die gefchichtlichen Probleme werden dadurch
zu pfychologifchen und gewiffenhaft hat der Verfaffer
fich in diefelben vertieft. Renata, um die fich beide
Confeffionen fehr ernfthaft bemühten, erfcheint in dem
neuen Lichte, welches in diefem Buche auf fie fällt, als
eine ziemlich komplexe Natur, die zu gleicher Zeit mit
Calvin im Briefwechfel fteht und bei Paul III. grofse
Gunft geniefst; jeder religiöfe Flüchtling wird von ihr
unterftützt, aber auch zu jeder Zeit fchöpfen Mönche
und Bruderfchaften aus ihrer Kaffe; Olympia Morata nennt

fie une tete legere, weil fie in harter Verfolgung fich zur
Meffe und Beichte bequemte und Calvin mufs in ihr
wiederum die werthvollfte Stütze der Reformation in
Italien anerkennen. Nicht jedermann wird dies Urtheil
gefallen, aber es wird doch richtig fein, fo weit der Ge-
fchichtsfchreiber überhaupt das Wefen einer Perfönlich-
keit klar legen und der Gegenwart nahe bringen kann.
Die kurzen Charakteriftiken, welche Rodocanachi von
den wichtigften Perfonen gibt, find überhaupt treffend,
fie entfchädigen auch für ausführlichere Befchreibungen
von Feftlichkeiten, die allerdings als nothwendiges Beiwerk
zum Leben einer Fürftin gehören. Intereffant und auffallend
zugleich ift die geringe Sorge für die Pflege von
Kunft und Wiffenfchaft, welche der Verfaffer ihr zu-
fchreibt; in fferrara habe fie kaum einige Maler befchäf-
tigt. Dafs der Verfaffer über den Aufenthalt Calvins in
Ferrara ein gewiffes Dunkel fchweben läfst, und ebenfo
bei der fog. Abfchwörung der Herzogin ein nonliquet
zugefteht, ift nur zu billigen; dagegen haben wir ungern
vermifst, dafs die Verhandlungen des Herzogs mit den
deutfchen Fürften befonders mit Moriz von Sachfen
nicht erwähnt find (vgl. Beck, Johann Friedrich der
Mittlere und Druffel in den Münchener Sitzungsberichten
1878. Philofophifch-hiftorifche Claffe.)

Klarer und einfacher liegt Renatas Leben in Frankreich
(1560—75) vor uns; wohl war fie auch dort „eine
Lilie mitten unter Dornen", denn fie trat immer mehr
als offene Anhängerin der Reformation auf, und ihr
Schwiegerfohn, der Herzog von Guife, war der bitterfte
Feind der Hugenotten! Aber fie fchuf fich eine gewiffe
Vermittlerrolle und wufste diefelbe vortrefflich durchzuführen
, und gern folgt man dem Verfaffer, wie er ihr
Witwenleben in Montargis in hübfcher Ausführlichkeit
fchildert, wie fie klug und ftandhaft alle die verfchiedenen
Anftürme zurückweift, welche auf fie als Befchützerin
ihrer Glaubensgenoffen gemacht werden, wie fie fich
aber auch weigerte, die ftrenge Disciplin einzuführen,
welche ihre reformirten Geiftlichen von ihr verlangen.
Die ganze Gefchichte Frankreichs mit ihren aufregenden
und entfetzlichen Scenen in jenen 15 Jahren fpiegelt fich
in dem Leben der alternden Fürflin, und gut weifs der
Verfaffer den Faden feftzuhalten und ihren Antheil hervorzuheben
; auch da, wo Familienereigniffe, wie die Ermordung
des Herzogs von Guife, auf fie drücken, ift fein
Urtheil gerecht. Dankenswerth ift auch die Wiedergabe
ihres Teftamentes, in deffen Bekenntnifs die dogmatilch
angelegte Natur der Herzogin deutlicher hervortritt, als
fonft irgendwo. — Auf einige kleine Verfehen möchten
wir noch aufmerkfam machen: In der Stammtafel der
Familie Valois mufs ftatt Louis IX. flehen Louis XI.;
p. 103 Anm. 2. ft. Taffanus — Toffanus; p. 233 Simler
p. Sember; p. 515 Anm. I Kervyn de Lettenhove ftatt Kerovn
de Litterhove; p. 562 Kampfchulte ftatt Kampffchulte. —
Die Ausftattung des Buches ift zu loben.

Stuttgart. Theodor Schott.

Combe, Prof. Erneft, Antoine Court et ses sermons. Laufanne
, G. Bridel & Cie, 1896. (160 S. 8.)

Eine kleine aber dankenswerthe Schrift! Mit der
Aufhebung des Ediktes von Nantes (1685) war die
glänzende Kette evangelifcher franzöfifcher Prediger
auf einmal abgeriffen, die Fremde beherbergte zwar noch
grofse Namen (Saurin, Basnage u. and.) das eigene Land
aber nicht mehr; erft in diefem Jahrhundert ift in Monod,
Berfier u. a. die franzöfifche Canzelberedtfamkeit wieder
herrlich erblüht. Und doch war in den trüben Zeiten der
Kirche der Wüfte die Predigt das gewaltige Mittel, die „Neubekehrten
" bei ihrem evangelifchen Glauben zu erhalten
oder fie zu demfelben zurückzuführen; die furchtbaren
Strafen, welche die predigenden Geiftlichen und ihre
Zuhörer trafen, find ebenfo ftarke Beweife dafür, wie die
merkwürdige Erfcheinung predigender Frauen, Prophe-