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Ausgabe:

1897 Nr. 3

Spalte:

76-78

Titel/Untertitel:

Geschichte der altchristlichen Litteratur zu Eusebius 1897

Rezensent:

Harnack, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 3.

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löyog, vöcüq Ccov, occgl;, — aliiu Xgtoxov, xiy.va cpioxog,
n agymv xov aiiiivog xovxov, ev oagxi yivEolrai, teoij akri-
frivi], iiioelv, ynouog, o v.vgiog avev rov naxgbg ovdev
tnoirptv, rpvioiitvog luv. (Die Berührung von ad Philad.
VII , mit Joh. 3, s fcheint mir auf Zufall zu beruhen.) —
Aber es ift gerade in der neueften zufammenhängenden
Unterfuchung bereits mit Recht darauf hingewiefen, dafs
wir vielleicht eine johanneifche Schulfprache fchon vor
dem Johannesevangelium anzunehmen haben; auch meine
Studien an der Apokalypse haben mich zu demfelben
Schlufs geführt. — Aufserdem ift Echtheit und Zeit der
Ignatianen doch noch immer nicht ganz gefichert.

Eine enge Beziehung findet Refch zwifchen den
euchariftifchen Gebeten in der Didache und dem vierten
Evangelium. Unftreitig zeigen fich auch hier Anklänge
und Verwandtschaft in der Sprache. Doch führt uns
diefe Beobachtung allerdings auf einen andern Schlufs.
Meines Erachtens find die euchariftifchen Gebete der
Didache in ihrem Kern jüdifch. Die Gebete gipfeln in
dem echt jüdifchen Hauptgedanken, dafs Gott feine
fattkrjoict fammeln möge von den vier Enden der Welt.
Mit dem äyiog äiutehig Aaßiö xov iiaidog oov war wahrscheinlich
urfprünglich nach jüdifcherSymbolik (Schöttgen,
Jefus, der wahre Meffias, 252. 270) der Meffias refp. das
meffianifche Reich gemeint, deffen man beim gemeinsamen
Trinken (proleptifch) gedachte. In der Didache
ift hier eine künftliche Umdeutung auf das Abendmahl
vorgenommen. — Das aber führt uns nun zu folgender
Frageftellung. Wäre es nicht denkbar, dafs im Johannesevangelium
zum guten Theil die Sprache des gebildeten
hellenifchen Judenthums vorläge, und dafs fich von hier
aus die Berührungen mit der Didache erklärten? Diefem
Gedanken- und Sprach-Kreis würden dann die Wendungen
und Formeln: Cy.or], yvwoig, yviogiLsiv, yvwoig
y.ai 7110x1g y.ai ddavaola etc. zuzurechnen fein. Hierher
gehörten dann auch die Wendungen aus dem Gebet im
I Clemens: tig xb yivwoxtiv an xbv /.ibvov vipioxov, —
yvwxwoctv diiavxa xä e'&vrj bxi ob ei D-ebg povog [y.ai
'lnjoobg Xgioxbg 6 naig oov] y.ai ijiieig labg oov y.ai 7igoßaxa
xx]g voLir]g oov, die Refch als fpecififch johanneifch citirt,
ebenfo wie die Parallele Joh. 17. 3 aixij dt eOciv 7] aio'ivioq
Clor), Iva y ivwov.ovo iv oe xbv iibvov ctXrj tr ivbv ■d'S.Sv,

Werthvoll find die Ausführungen R.'s über das Ver-
hältnifs Juftin's zum Johannesevangelium. Dafs Juftin das
vierte Evangelium ebenfo wie die der Synoptiker benutzt
hat, fcheint mir jetzt vollkommen gefichert zu
fein. Namentlich liegt Apol. I 61 S. 94 A. eine unzweifelhafte
Beziehung auf Joh. 3. ,f vor. Auch, dafs Juftin
das vierte Evangelium zu den drioiivv^iovevitaia rechnet,
fcheint mir im Widerfpruch mit meinen früheren Ausführungen
im höchften Grade wahrfcheinlich zu fein
(vgl. die Ausführungen R.'s zu Joh. 1. I8 und 6. (i9), —
nicht nur aus literarifchen, fondern aus canongefchicht-
lichen Gründen, auf die näher einzugehen hier nicht der
Ort ift. Ebenfo hat R. die Beweife dafür vollftändig
gefammelt, dafs das Johannesevangelium fchon in der
Grundlage der pfeudoklementinifchen Schriften benutzt
ift. Auch in dem, was R. über die Stellung der Mon-
taniften und Aloger zum vierten Evangelium ausführt,
fcheint er mir das Richtige getroffen zu haben, dagegen
nicht in feinen Ausführungen über das Petrusevangelium.

Es bleibt aber auch nach der erneuten Durcharbeitung
der Zeugniffe durch R. das Refultat beliehen, dafs das
Johannesevangelium noch in den beiden erften Decennien
des zweiten Jahrhunderts keine Bezeugung aufweifen kann,
dann aber bald (fchon in der Zeit Juftin's) als anerkannte
Schrift neben den Synoptikern als viertes Evangelium allgemeine
und die Synoptiker überragende Geltung gewann.

Eine befondere Befprechung erfordern noch die Ausführungen
R.'s über das muratorifche Fragment. Hier
wird berichtet, dafs Johannes ex ,decipolis' cohortan-
tibus condescipulis et episcopis fein Evangelium ge-
fchrieben habe. Refch, dem darin Recht zu geben ift,

dafs er die Nachricht des Muratorifchen Fragments über
Johannes für fehr werthvoll hält, nimmt an der gewöhnlichen
Correctur discipidis aus decipolis Anftofs, einmal
weil unmittelbar nachher condescipidis flehe, dann weil
Andreas in demfelben Zufammenhang ex apostolis genannt
wird, und fchlägt die ganz unglückliche Ver-
befferung ex decapoli vor (vgl. R.'s bereits oben kritifirte
Annahme von der Abfaffung des Evangeliencanons im
Oftjordanland). Aber R. hat nicht gefehen, dafs einige
Zeilen weiter die Verftümmelung decipulis für discipidis
fich findet. Wenn aber Johannes ex discipulis, Andreas
dagegen ex apostolis nach dem Muratorifchen Canon fein
foll, fo liegt darin gar keine Schwierigkeit, fondern nur
ein neuer Beweis der von mir aufgeftellten Thefe (s. den
Commentar zur Apokalypfe, Einleitung III), dafs der
kleinafiatifche Johannes der Zeuge des vierten Evangeliums
nicht der Apoftel Johannes ift. Ich bin R. zu
Dank verpflichtet, dafs er mich auf diefe von mir über-
fehene Stelle aufmerkfam gemacht hat.

Nicht beachtet ift dagegen von R., obwohl er grofsen
Werth auf das Zeugnifs des Muratorifchen Canons legt,
dafs dasfelbe den Gedanken doch eben fehr nahe legt,
dafs das vierte Evangelium nicht von dem ,Zeugen
Johannes' felbft flammt, fondern aus dem Kreis feiner
Schüler hervorgegangen ift, und auch noch deutlich
zeigt, wie das vierte Evangelium von vornherein mit
einem gewiffen kritifchen Mifstrauen zu kämpfen hatte.

Was endlich die Gefammtauffaffung des Johannesevangeliums
betrifft, fo können wir davon abfehen, dafs
R. unbedingt an der Echtheit des Evangeliums fefthält.
Ein neuer Verfuch, die diefer Auffaffung entgegen-
ftehenden Schwierigkeiten zu löfen, liegt bei ihm nicht
vor. Nur eines fei noch hervorgehoben. Refch nimmt
wie fall alle übrigen Forfcher auf apologetifcher wie
kritifcher Seite an, dafs das Johannesevangelium zum
Zweck der Ergänzung der Synoptiker refp. des Matthäusevangeliums
gefchrieben fei, und führt diefe Hypothefe
noch weiter aus. Es ift gewifs etwas Richtiges an diefem
Gefichtspunct. Aber gewifs ift auch, dafs derfelbe zum
Verftändnifs der Eigenthümlichkeit des vierten Evangeliums
durchaus nicht ausreicht. — Der vierte Evangelift
fchreibt fein Evangelium durchaus nicht allein in der
Abficht der Ergänzung, fondern vielmehr von einer ganz
andern Auffaffung des Verlaufs des Lebens Jefu aus.
Dafs die Berichte der Synoptiker und des Johannesevangeliums
faft ohne fich zu fchneiden parallel neben
einander herlaufen, ift vielmehr daraus zu erklären, dafs
das Johannesevangelium jerufalemifche, die Synoptiker
galiläifche Tradition bringen.

Nicht ohne ein Gefühl des Bedauerns fchliefse ich
die Befprechung des umfangreichen Werkes vorläufig ab.
Eine Riefenarbeit ift an ein Phantom verfchwendet, eine
leere Phantafie, die, wo man näher zugreift, fich fofort
auflöft. Aber freilich, wie jede rechtfchaffene Arbeit
bringt fie auch ihren Nutzen. Im Einzelnen danken wir
R. Anregungen der mannigfachften Art. Und auch Diejenigen
, die das von R. beigebrachte Material mit andern
Augen anfehen als er felbft und unter andern Gefichts-
puncten ordnen, werden ihm für die Herbeifchaffung
deffelben ftets dankbar fein.

Göttingen. W. Bouffet.

Harnack, Adolf. Geschichte der altchristlichen Litteratur
bis Eusebius. 2. Thl. Die Chronologie. 1. Bd. A. u.
d. T.: Die Chronologie der altchriftlichen Litteratur
bis Eufebius. 1. Bd. Die Chronologie der Litteratur
bis Irenäus, nebft einleitenden Unterfuchungen. Leipzig,
Hinrichs, 1897. (XVI, 732 S. gr. 8.) M. 25.— ;

geb. M. 28. —

Dem erften Theil in zwei Bänden, der i. J. 1893 er-
fchienen und von mir in diefer Zeitung 1893 Nr. 22