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Ausgabe:

1897 Nr. 26

Spalte:

688-689

Autor/Hrsg.:

Schede Melissus, Paul

Titel/Untertitel:

Psalmenübersetzung (1572). Hrsg. von Max Herm. Jellinek 1897

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 26.

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dem Verf. vorliegender Ueberfetzung der von ihm , als
geiftlichen Coadjutor des Bifchofs von Merfeburg, gehaltenen
Synodalreden bedauern auch wir, dafs er noch
keine feiner würdige Biographie gefunden. Freilich hat
vor Jahren die Gedächtnifsfeier feines Todes einige Arbeiten
über ihn gezeitigt. H. C. Claufs (Zwickau, 1853)
hat fein Leben befchrieben und W. Schubert hat die
Narratio de vita Georgii Princ. Anhalt, von Camerarius
überfetzt und mit Anmerkungen verfehen (Zerbft, 1854).
Aber inzwifchen ift im IV. Bande der Mittheilungen des
Vereins f. Anhalt. Gefchichte und in den Melanchthoniana
von C. Kraufe (Zerbft, 1885) fo viel neues Material zu
Tage gefördert, dafs die Verarbeitung zu einer den gegenwärtigen
Anforderungen entfprechenden Biographie
wohl am Platze wäre. Stier's Arbeit, die in der gefchicht-
lichen Einleitung auch ein kurzes Lebensbild Georg's
enthält, will die Aufmerkfamkeit auf ihn lenken.

So fehr man es auch begrüfsen kann, dafs bei der
Gelegenheit die in anfprechender Weife überfetzten Synodalreden
weiteren Kreifen bekannt werden, fo ift es
doch fehr die Frage, ob gerade fie wirklich das Recht
hatten, das Andenken des frommen Fürften zu erneuern.
Jedenfalls durften fie nicht unter obenftehendem Titel
publicirt werden, unter dem fie bei jedem den Schein
erwecken, als wären fie eigene Geiftesproducte Georgs
von Anhalt. Es entfpricht dem wirklichen Sachverhalt
fehr wenig, wenn Stier S. 4 feiner Einleitung bemerkt:
,Dafs Georg meift Entwürfe Melanchthon's zu Grunde
gelegt hat, ift ficher'. Nein, Melanchthon hat für Georg
die Reden überhaupt verfafst, und letzterer hat fie nur
gehalten. Nik. Müller's Ausführungen in den Beiträgen
zurReformationsgefchichte(Gotha, 1896. S. 116ff.) konnten
Stier, deffen Buch fchon 1895 erfchienen ift, freilich noch
nicht über diefe Thatfache belehren. Wenn er aber den
Abdruck der lateinifchen Originale der Reden in Corp.
Ref. XI, S. 692; 703; 750; 758; 775; 799; 793; 841; 848;
889; 903 verglich, fo fand er an drei Stellen Verweifungen
auf Briefe Melanchthons, die diefer afs Begleitfchreiben
der von ihm verfafsten Reden an Georg gefchickt hat.
Vgl. C. R. VII, S. 416: Orationem mitto de dicto Pauli,
typus esto . . . S. 603: Hac nocte inter getnitus et vota
scripsi orationem de dicto, Pater sanctifica eos in veritate
. . . S. 675: Mitto concionem subito scriptum et brevem,
quae co7isolationem continet liuic tempori accomodatam.
Dixi de dicto, Nemo rapiet oves meas ex manibus meis.
Da redet Melanchthon von den bei Stier unter Nr. VIII,
X und XI abgedruckten Reden. Und wie diefe letzten,
fo hat Melanchthon, der ja die halbe Welt mit Reden
verforgte, zweifellos alle lateinifchen Synodalreden für
Georg gefchrieben. Deshalb find fie feiner Zeit auch
nur unter dem Titel: habitae a rev. et ill. principe
Georgio veröffentlicht.

Um Georg's Eigenart zu charakterifiren, wären alfo
wohl beffer wirklich von ihm flammende Schriften gewählt
. Dafs es folche giebt, läfst die Stelle in Melanchthon
's Gedächtnifsrede C. R. XII, S. 77 vermuthen: Ex-
stant ipsius scripta, quae et eruditionem ipsius et confessio-
nem ostendunt. Wahrfcheinlich sind damit Georg's deutfche
Predigten (zuerft 1555, zuletzt 1741 gedruckt) gemeint,
für die Melanchthon dann vielleicht nur ,Entwürfe* ihm
geliefert hat (vgl. Nie. Müller a. a. O. S. 119). Es wäre
gewifs eine lohnende Arbeit, diefe deutfehen Predigten
und Schriften Georg's von Anhalt einmal auf ihren wirklichen
Verfaffer hin zu unterfuchen und neu herauszugeben
.

Zum Schlufs noch die Bemerkungen, dafs wir von
den Synodalreden aus Müller's Zufammenftellungen noch
einige Sonderdrucke kennen lernen (s. a. a. O. S. 130 unter
1546 Nr. 8, S. 133 unter 1548 Nr. 5 und S. 137 unter 1550
Nr. 4), dafs bei Stier S. 3 Z. 7 v. u. ein Hörender Druckfehler
zu verbeffern ift (ftatt 1530 ift 1539 zu lefen) und
dafs S. 8 einige Daten falfch aufgelöft find (ftatt 2. Juni
1545 mufs es heifsen: X. Juni; ftatt 27. October —bezw.

S. 20: 21. October — 1545 und 25. October 1546 beidemal
: 22. October und ftatt 3. Juni 1550: 2. Juni).

Efchershaufen (Brfchw.) Ferdinand Cohrs.

Judas Nazarei, Vom alten und neuen Gott, Glauben und
Lehre. (1521.) Mit Abhandlung und Kommentar hrsg.
von Ed. Kück. [Flugfchriften aus der Reformations-
zeit. XII.] (Neudrucke deutfeher Literaturwerke des
XVI. und XVII. Jahrh., Nr. 142 und 143.) Halle, Niemeyer
, 1896. (XIV, 134 S. 8.) M. 1.20

Schede Melissus, Paul, Psalmenübersetzung (1572). Hrsg.
von Max Herrn. Jellinek. (Neudrucke deutfeher
Literaturwerke des XVI. und XVII. Jahrh., Nr. 144
bis 148.) Halle, Niemeyer, 1896. (IV, CLX, 203 S. 8.)

M. 3.-

Den erfteren der beiden mir vorliegenden, in der
bekannten Niemeyer'fchen Sammlung erfchienenen Neudrucke
, Judas Nazarei, Vom alten und neuen Gott, Glauben
und Lehre (1521)' habe ich mit befonderem Intereffe be-
grüfst. Ich hatte mich mit der aufserordentlich anziehenden
Schrift fchon längere Zeit befchäftigt, fand aber,
durch andere Arbeiten in Anfpruch genommen, nicht die
Zeit, fie felbft eingehender zu unterfuchen und herauszugeben
und veranlafste deshalb meinen Vetter, Oberlehrer
Dr. Kück in Roflock, die Herausgabe zu übernehmen
, die er in muftergültiger Weife befolgt hat.

Die Schrift ift befonders dadurch intereffant, dafs
Nazarei zum Beweis feiner Thefe, dafs die Evangelifchen
den wahren ,alten Gott1, die Papillen einen falfchen
,neuen Gott' hätten, die Gefchichte fprechen läfst. So
ift fein Buch gleichzeitig ein Denkmal der Gefchichts-
fchreibung im 16. Jahrhundert, dadurch ausgezeichnet,
dafs es fich zu einem wirklichen, in jener Zeit der
Chroniken äufserft feltenen Pragmatismus erhebt.

Ohne erklärende Anmerkungen ift das Buch fchwer
zu lefen. Schon mannigfache hiftorifche Fehler, die der
Verf. feinen Quellen nachfehreibt, machen einen Com-
mentar nöthig. Kück hat ihn im dritten Theil der dem
Buche in höchft dankenswerther Weife angehängten Abhandlung
geliefert und hat durch ihn eine mühelofe Lektüre
der Flugfchrift ermöglicht. Im zweiten Theil diefes
Anhangs unterfucht er die vom Verf. benutzten Quellen
und weift den Einflufs des Buches nach, das felbft Luther
bei fpäteren hiftorifchen Arbeiten fcheint zur Hand genommen
zu haben. Von ganz befonderer Wichtigkeit
aber ift der erfte Theil der beigegebenen Abhandlung:
Kück löft in ihm die viel umftrittene Verfafferfrage un-
feres Buches, das man dem Baseler Profeffor der Median
Osw. Berus, dem katholifch gebliebenen dänifchen
Carmelitermönch Paulus Eliä, Juftus Jonas, ja Luther felbft,
und auch dem St. Galler Reformator und Gefchichts-
fchreiber Joachim Vadianus zugefchrieben hat. In feiner
Befprechung von Schmitt, P. Heliä (Theol. L.-Z. 1894,
32off.) war D. Kawerau für letztere bei Weller im zweiten
Suppl. fich findende — wie Kück (S. 72) nachweift, durch
Wiedemann (Gefch. d. Ref. . . . i. Lande unt. d. Enns. I)
colportirte, aber wahrfcheinlich fchon ältere — Hypo-
thefe eingetreten. Kück erhebt fie zur Gewifsheit und
hat damit zugleich das Pfeudonym erklärt, das über dem
unfere Schrift abfchliefsenden Gedicht fich findet, und
dem wir auch im ,Wolfsgefang' begegnen (abgedruckt
bei Schade, O. Satiren und Pasquille. III, S. 1—36).

Ich freue mich, mittheilen zu können, dafs neben
letzterem noch eine andere Flugfchrift Vadian's (Weller
4028), von Kück herausgegeben, in der vorliegenden
Sammlung demnächft erfcheinen wird. —

Der von Max Hermann Jellinek beforgte Neudruck
der ,Pfalmenüberfetzung des Paul Schede Meliffus (1572)'
ift zunächft wegen ihrer Bedeutung für die Gefchichte
der deutfehen Orthographie veranftaltet, über die Jellinek