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Ausgabe:

1897

Spalte:

48-50

Autor/Hrsg.:

Kayser, Karl (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte. 1. Jahrg 1897

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologiche Literaturzeitung. 1897. Nr. 2.

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einem eigenhändigen Exemplar des Pamphilus gemacht
find. Die Uebereinftimmungen von H. und X"7 erfchienen
mir als ficherftes Indicium für die Eruierung der Lesarten
des Cod. Pamphilus. Auch die neuen Fragmente
beftätigen nur meine Vermuthung. H. zeigt auch in diefen
Fragmenten den Charakter eines Mifchtextes, der zwi-
fchen den älteren (tfABC) und jüngeren Zeugen
(KLP) des neuen Teftamentes fleht. In den meiden
Fällen geht er mit der älteren Gruppe; es kann nun
aber kein Zufall fein, dafs in den, foweit ich zähle, rieben
Fällen, in welchen H mit der jüngeren Textclaffe geht,
jedesmal Xc ihm zur Seite tritt. Befonders mache ich
auf die Lesart Col. i24 nad-^aaiv -- /aov aufmerkfam,
in welcher Xc H. Euth. cod. arm. aeth. zufammentreffen;
für die Verwandtfchaft von H. und der Minuscel 73 hebe
ich die Lesarten Gal. 5,0 (pQoveixs, Heb. I32I ) twv al-
wvwv D«r- H 31. 37. 73. 80 hervor. Dafs H in diefen
Fragmenten dreimal auf Seiten' von st gegen mc fleht,
beweift allerdings, wie ich fchon früher hervorgehoben,
dafs weder mc noch H. reine Vertreter des Textes des
Pamphilus find. Aber der Weg, den ich in meinen Studien
zur Wiederentdeckung des Cod. Pamphili wies,
fcheint mir defshalb doch gangbar zu fein.

Conybeare hat nun im Anfchlufs an meine Studien
geglaubt, in feiner Unterfuchung der armenifchen Ueberfetzung
einen dritten Hauptzeugen für den Text des
Pamphilus gewinnen zu können. Auch in armenifchen
Codices der Paulusbriefe findet fich, wie fchon oben
angedeutet, die Schlufsnote, welche auf eine Correktur
nach dem Text des Pamphilus hindeutet. C. hat in
feiner Abhandlung daraufhin das Verwandtfchaftsver-
hältnifs von H. stc und arm. unterfucht und ift zu dem
Refultat gelangt, dafs zwifchen diefen Zeugen in der
That eine textliche Verwandtfchaft vorliege, und dafs
in der armenifchen Ueberfetzung fogar der relativ befte
Zeuge für die Lesarten des Codex Pamphili zu erblicken
fei.

Rob. führt nun Conybeare gegenüber aus, dafs die
armenifche Ueberfetzung zunächft aus der fyrifchen
Ueberfetzung flamme und fpäterhin im fünften Jahrhundert
unter der Leitung von Mesrob nach ,befferen'
griechifchen Codices corrigirt fei. Nach diefer ihrer
Gefchichte fei die armenifche Ueberfetzung zu beur-
theilen. Es ift Rob. nun allerdings auch durchaus gelungen
, Spuren der älteften fyrifchen Ueberfetzung (alfo
auch des western texi) in den Evangelien nachzuweifen.
Für die paulinifchen Briefe wird die Unterfuchung natürlich
fchwieriger, da wir hier von einer älteften fyrifchen
Ueberfetzung nicht viel mehr als die Gewifsheit ihrer
Exiftenz haben. Dennoch meint Rob., breche der Nachweis
Conybeare's durch die Beobachtung vollkommen zu-
fammen, dafs in den meiden Fällen an der Berührung
der armenifchen Ueberfetzung mit H. &r die fyrifche
Ueberfetzung participire. — Hier fcheint mir nun in
der That das Urtheil R.'s recht voreilig zu fein. Denn
es bleibt auf Grund diefes Thatbeftandes noch ein
andrer Schlufs möglich.

Wie wenn nun die fyrifche Ueberfetzung auch in
ihrer älteren Stufe felbft fchon abhängig von dem Cod.
Pamphili wäre, wenn jene intereffante Schlufsbemerkung
der armenifchen Ueberfetzung aus einem fyrifchen Archetypus
flammte? Es ift doch auch von vornherein wahr-
fcheinlich, dafs die Syrer die Vermittler zwifchen Cae-
farea und Armenien waren. Auch in der älteften fyrifchen
Evangeliumüberfetzung zeigen fich zahlreiche Spuren
offenbar origeniftifcher Textbeeinfluffung. So wird m. E.
das Problem, das Conybeare aufgedeckt hat, durch R.'s
Unterfuchung erweitert; aber es wäre fehr zu bedauern,
wenn es durch jenes vorfchnelle Urtheil R.'s gänzlich
bei Seite gelegt würde.

Freilich, ehe man hier weiter kommen kann, wird
man erft fchrittweife vorwärts gehen müffen. Es müffen
in umfangreichfter Weife die Euthalianifchen Hand-

fchriften gefammelt und verglichen werden. Es müffen
Minusceln gefucht werden, die mit H. Paul, eine mög-
lichft enge Verwandtfchaft zeigen, und ein möglichft au-
thentifcher Text der cäfareenfifchen Euthaliusausgabe
hergeftellt werden, es mufs die Gefchichte der fyrifchen
und cäfareenfifchen Textüberlieferung genauer erforfcht
werden. Aber das Ziel diefer Unterfuchungen wird die
Herftellung des Codex Pamphili und ein genauerer Einblick
in die textkritifche Arbeit der origeniftifchen
Schule bleiben. Und die Entfcheidung über das ab-
fprechende Urtheil, das R. über meine Bemühungen in
diefer Richtung fällt, kann ich fehr ruhig der weiteren
Arbeit auf diefem Gebiet überlaffen. Meinerfeits bin ich
dem Verf. dankbar für mannigfache Belehrung und
Förderung.

Göttingen. W. Bouffet.

Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchen-
Geschichte, unter Mitwirkung von DD. Abt G. Uhlhorn
und Prof. Paul Tfchackert hrsg. von Superint. Karl
Kayfer. 1. Jahrg. Braunfchweig, Limbach, 1896.
(III, 280 S. gr. 8.) M. 4.50

Das vorliegende Buch ift die erfte kräftige Lebens-
äufserung der am II. Juni 1895 gegründeten Gefellfchaft
für niederfächfifche Kirchengefchichte, welche bis jetzt
nahe an 350 Mitglieder zählt. Tfchackert eröffnet die
Reihe mit der fchönen Arbeit über die Epochen der
niederfächfifchen Kirchengefchichte. Mit glücklicher Hand
ift hier eine der Grundfragen für jede Provinzialkirchen-
gefchichte in den Vordergrund gerückt. Für das Mittelalter
fchliefst er fich mit Uhlhorn an die von Rettberg
aufgeftellte Epochentheilung an. Eintheilungsprincip ift
die Gründung und Entwicklung der niederfächfifchen
Bisthümer, woraus fich drei Perioden ergeben: 1. die
Gründungszeit bis 918, 2. die Zeit des Strebens nach
Landeshoheit bis 1235, 3. die Zeit der Landeshoheit bis
1529. Man wird hier fragen dürfen, ob für die niederfächfifche
Kirche die Stellung der Bifchöfe als Landesherren
fo wefentlich fich bemerkbar machte, dafs fie das
unterfcheidende Merkmal der beiden letzten Perioden
des Mittelalters bilden darf. Ob das ihre Gefchichte
rechtfertigt, kann nur eine genauere Kenntnifs entfcheiden.
Aber für die Kirchengefchichte Süddeutfchlands wäre
diefes Eintheilungsprincip unannehmbar. Für Schwaben
war das zwei Drittel des Landes umfaffende Bisthum
Konftanz als Landesfürftenthum, ebenfo Speier und
Worms, viel zu unbedeutend, um fich irgendwie bemerklich
zu machen. Defshalb mufste z. B. in der Württem-
bergifchen Kirchengefchichte als Eintheilungsprincip die
Stellung von Staat und Kirche im Allgemeinen angenommen
und mit 1304 die Zeit des Zerfalls begonnen
werden. Für die Neuzeit geht Tfchackert mit Uhlhorn
Hand in Hand, wenn er 1. 1527—1555, 2. 1555—1648,
und dann felbftftändig 3. 1648—1814, 4. 1814 bis zur
Gegenwart als die Zeit der Vorherrschaft des Subjec-
tivismus und die Zeit der Erneuerung des kirchlichen
Lebens unterfcheidet. Die Studie ift reich an weiten
Ausblicken und Characteriftiken. Das zweite Stück bildet
ein fchöner Vortrag eines Juriften, des Prof. Dr. Merkel,
über Herzog Julius von Braunfchweig und Lüneburg.
Den Schwaben erinnert diefer Sohn einer fchwäbifchen
Fürftentochter unwillkürlich an den trefflichen Herzog
Chriftoph von Wirtemberg, feine Geiftesart und feine
Regententhätigkeit. Der alte Heinz von Wolfenbüttel
mufs doch nicht ganz unrecht gehabt haben, als er den
Sohn anfuhr: ,Du bift kein Herzog von Braunfchweig,
denn Du fchlägft in die Wirtemberger Art' Der Brief-
wechfel des Herzogs Julius mit diefem feinem älteren,
im Elend gereiften Vetter dürfte den fördernden Einflufs
des letzteren genügend beweifen. Die zweideutige Stellung
, welche Julius zur römifchen Kirche bei der Er-