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Ausgabe:

1897 Nr. 24

Spalte:

638-642

Autor/Hrsg.:

Ecke, Gustav

Titel/Untertitel:

Die theologische Schule Albrecht Ritschls und die evangelische Kirche der Gegenwart. I. Bd 1897

Rezensent:

Eck, Samuel

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 24.

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deshalb nicht der Tagespreffe preisgegeben werden ! auf welche der Menfch nur abzuwarten habe, ob fie unter
follen, zu fammeln'. Sie follen ,zu Jahrgängen geordnet, I dem äufseren Gebrauche der Gnadenmittel in ihm wirk-
im übrigen jedoch in zwanglofer Reihe' erfcheinen. Durch ! fam werden; die Auffaffung der Heiligung nicht als einer
das Richtzeichen ,chriftliche Theologie' foll bezeichnet totalen Erneuerung des Menfchen, fondern als einer Verfein
, dafs den Herausgebern ,dies als der fundamentale | leihung von begrenzten Kräften zu theilweifer Tilgung
Unterfchied zwifchen den theologifchen Gedankenreihen des Böfen und theilweifer Erweckung des Guten und
gilt, ob fie den uns zum Heiland gegebenen Sohn die Beziehung der Heiligung wefentlich auf die Regelung
Gottes verneinen oder nicht'. Sie wollen ,keines- | der Sinnlichkeit; die Befchränkung des chriftlichen Er-
wegs in der Kirche Undankbarkeit gegen die oft werth- 1 kenntnifsintereffes wefentlich auf die Verföhnungsgnade;
vollen Beiträge pflanzen, die zum Verftändnifs der biblifchen j die Unfähigkeit neben dem Glauben die Liebe zu Gott
und kirchlichen Gefchichte von anderer Seite fort und ! zu rechter Geltung zu bringen; die negative Faffung der
fort erarbeitet werden'. Sie wollen aber diefe Hefte J Freiheit als einer Freiheit von der Herrfchaft des Gefetzes
erfcheinen laffen in der Ueberz«ugung, dafs es unheilvoll und der Sünde, nicht aber als eines fpontanen, produc-
wäre, ,wenn die Kirche zwar einerfeits ihren Theologen . tiven Vermögens im Menfchen; auch die Vorftellung von
für mancherlei hiftorifche Aufklärung zu danken hätte, I der den Menfchen in Paffivität verfetzenden Infpiration;
gleichzeitig aber von ihnen in ihrer Exiftenzberechtigung, und endlich die Vorftellung von der Paffivität der menfch-
nämlich in ihrem auf Chriftus gegründeten Glaubens- | liehen Natur Chrifti, deren Bedeutung eigentlich nur in
ftand, nur beftritten und verwirrt, und nicht auch befeftigt | der Leidensfähigkeit gefucht wird.

und gefördert würde'. Wie die Grundidee des Verf.'s richtig ift, fo ift auch

Ich habe mich über diefe Formulirungen, foweit fie I die Ausführung derfelben fein und lehrreich. Mit vollem
die theologifche Richtung der Hefte kennzeichnen follen, j Verftändnifs für die pofitiven Gedanken und Tendenzen
gewundert. Denn ich vermuthe, dafs die Herausgeber der alten Dogmatiker verbindet der Verf. eine freimüthige,
eigentlich etwas Specielleres meinen, als was fie fagen: ! gerechte Kritik ihrer Mängel und eröffnet dabei die Perein
fpecielles Verftändnifs des Bekenntniffes zu Chrifto als fpective auf eine werthvolle Weiterbildung ihres Gedern
Heilande und Sohne Gottes und eine fpecielle Art der dankenkreifes. Wenn die weiteren Hefte der ,Beiträge'
Begründung des Glaubensftandes auf Chriftum. Aber es ift ; ebenfo gute Arbeiten bringen, wird es ihnen an dankbaren
freilich fchwer, diefe fpecielle Auffaffung fo zu formuliren, Lefern gewifs nicht fehlen.

dafs nicht das Befchränkte, Unzureichende, Beengende der jena H H Wendt

Formel in's Auge fpringt. Ich weifs es zu würdigen,
dafs die Herausgeber fich und ihre Mitarbeiter nicht gern
von vornherein durch eine folche fpeciellere Formulirung
binden und beengen wollten. Aber fie follten fich dann
auch nicht den Schein geben, als wären fie und ihre
Freunde die alleinigen Förderer des auf Chriftus gegründeten
Glaubensftandes, während alle Anderen ihn beftritten
und verwirrten. Sie wiffen es ja ganz gut, dafs

Ecke, Past. Gust, Die theologische Schule Albrecht Ritschis
und die evangelische Kirche der Gegenwart. I. Band:
Die theologische Schule Albrecht Ritschis. Berlin
Reuther & Reichard, 1897. (XII, 318 S. gr. 8.) M. 5.—

Zum zweiten Male innerhalb weniger Jahre erfcheint
auch diefe Anderen dem gleichen Ziele nachtrachten, i hier ein Verfuch zufammenfaffender Darftellung und Be-
Jefum Chriftum zur rechten Grundlage des chriftlichen urtheilung der Schule Albrecht Ritfchl's. Erfreulicher
Glaubens zu machen. Nur ift die befondere Weife, in ; Weife hat das jüngere Buch mit feinem älteren Vorgänger,
der fie dies thun zu follen meinen, eine andere, als welche ! der nur einmal citirt wird (S. 294), kaum den Namen ge-
den Herausgebern die gewohnte ift und die richtige ' mein. Sein Verf. giebt fich durchgängig als Vertreter des
fcheint. modernen Pietismus. Von dem Gegenfatz Ritfchl's gegen

Die Abhandlung diefes erften Heftes bezieht fich ! den letzteren geht feine Unterfuchung aus, und wo uns
nicht auf jene Grundfrage, auf die Bedeutung Jefu Chrifti 1 in feiner Darfteilung ein Wir begegnet, da hat man das
für den chriftlichen Glaubensftand, fondern auf das Wefen | Recht, darin eine Selbftbezeichnung diefer freilich fehr
diefes Glaubensftandes, fpeciell auf die active Seite des- I weitfehichtigen Erfcheinung moderner evangelifcher Fröm-
felben. Unter dem ,Dienft des Chriften' verfteht der Verf. j migkeit zu fehen. Er ficht in diefem modernen Pietis-
Alles, was der Chrift im Gnadenflande feinerfeits Gott mus ein Salz für die Gemeinden, ein Bollwerk gegen die
zu geben hat, ,alle Verwerthung der empfangenen Gnade Mächte der Zerftörung. Der Grundftock ihres religiöfen
zu neuer Frucht'. Die Grundidee des Verf.'s ift nun, Bekenntniffes ift derjenige der lebendigen Glieder der
dafs in der altproteftantifchen Dogmatik auf lutherifchem chriftlichen Gemeinde aller confeffionellen Richtungen,
wie auf reformirtem Boden diefe active Seite zu kurz Demgegenüber vertritt Ritfehl individuelles Chriftenthum
gekommen fei gegenüber der paffiven. Die alte Dogma- . mit all feinen Schranken und Irrungen. Dafs er es ver-
tik befchränke fich darauf, den Menfchen Gott gegenüber j mieden hat, Fühlung mit dem Glaubensleben der Ge-
als Empfänger darzuftellen und die beruhigende Seite 1 fammtgemeinde zu nehmen, bildet den tiefften Schaden
des Glaubens an die göttliche Gnade hervorzukehren, i feiner Theologie. Aber nur in vereinzelten Fällen wird
Sie hebe nicht in gehöriger Weife auch die bewegende, 1 fo ftatt beftimmter, wenn auch noch fo augedehnter und
das Streben des Menfchen erregende Seite der göttlichen zugleich innerlich rühriger Kreife kurzweg ,die Gemeinde',
Gnadenwirkfamkeit hervor. Der Verf. geht die verfchiede- | ein umgekehrtes pars pro Mo, als Ritfchl's und feiner
nen Punkte durch, an denen fich diefer Mangel zeigt: Schüler Gegner hingeftellt. Da auch innerhalb der
die Ablehnung der Miffionspflicht im Vertrauen darauf, | Mauern Irrungen und Fehler anerkannt werden, fo foll

dafs Gott einftmals fchon für die Predigt des Evangeliums
unter allen Völkern geforgt habe; die Befchränkung der
kirchlichen Lehraufgabe auf die polemifche Vertheidigung
des gewonnenen Glaubensftandes und die Ueberlaffung
der fittlichen Zucht an das Strafamt der ftaatlichen Obrigkeit
; die Zuweifung der Predigtaufgabe der Kirche blofs
an das Paftorenamt, und die Befchränkung der Aufgabe

mit diefer gelegentlichen Selbftbezeichnung doch keine
praescriptio hacretici ausgefprochen werden. Vielmehr
das volle Recht Ritfchl's innerhalb der Gemeinde ift die,
nicht immer blofs verfchwiegene Vorausfetzung für die
ganze Art, wie der Streit hier geführt wird. Es ift —
allerdings, wie fich zeigen wird, in fehr beftimmten Grenzen
— ein Streit unter Brüdern. Was aber die bisherige

der Gemeindeglieder auf das paffive Hören des Worts; j Führung deffelben anlangt, fo leugnet der Verf. nicht,
die Auffaffung der Bekehrung blofs als eines Sieges Gottes dafs auf beiden Seiten Worte gefallen find, die fich nur
über das Widerftreben der Menfchen durch Verleihung wie der Ausdruck unverföhnlicher Gegnerfchaft wollen
des Glaubens und die Auffaffung diefer Gnadenwirkfam- ! deuten laffen. Allein er bürdet die Schuld daran eben
keit Gottes als einer Verleihung von Kräften, mit Bezug gleichmäfsig beiden Gegnern auf. Und foweit insbefondere