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Ausgabe:

1897 Nr. 23

Spalte:

615-616

Autor/Hrsg.:

Flade, Paul

Titel/Untertitel:

Das Kirchspiel Frauenhain nebst den eingepfarrten Rittergütern und Dörfern von der ältesten Zeit bis zum Jahre 1895 1897

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Seite 1

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6i5 Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 23. 616

nand's Hofprediger Menrad N. ift noch das erfte Wort
zu fagen. Wie weit Enzinas Peter de Soto, dem fpäte-
ren Gegner von Joh. Brenz, in feiner überaus geringen
Taxirung des Mannes gerecht geworden, ift noch genauer
zu erforfchen. Die Schwaben haben den ,Afoten',
wie fie ihn im Spott nannten, fchlecht genug gemacht,
aber fein Angriff auf die Confeffio Wirtembergica fetzt
doch mehr geiftige Rüftung voraus, als man nach Enzinas
Schilderung von ihm erwartet. Aber eines wird
an ihm haften bleiben, die wahrhaft diabolifche Tücke,
mit der er Enzinas an die Schergen auslieferte, als diefer
vertrauensvoll mit ihm über fein von ihm in Melanch-
thon's Haus zu Wittenberg überfetztes fpanifches Neues
Teftament verhandelte. Auch unter den Hof leuten Karls V.
wird man Umfchau halten müffen, um feftzuftellen, wer
die beiden von Enzinas nicht mit Namen genannten
Männer find, die ihn im Gefängnifs befuchten und ihm die
intereffanteften Auffchlüffe gaben. Hier ift noch manches
zu thun. Schon 1881 hat Ref. das Lebensbild eines
Deutfchen, Georg von Wolmershaufen, eines ffrengen
Katholiken, veröffentlicht (W. Vierteljahrsheftc 4, 58—63)
den Karl V. an den Hof feiner Mutter verfetzte, aber
bis jetzt ift es nicht gelungen, aus fpanifchen Archiven
Näheres über fein Leben in Spanien zu erfahren. Auch
fonft finden fich eine Menge beachtenswerther Neuigkeiten
, fo das Gebahren des Erzbifchofs G. d'Avalos
von Compoftela, vor allem im Ulmer Münfter S. 139 ff.
Die Gefchichte des Bildhauers Rochus S. 173, der Neid
der Mönche in Burgos gegen die Auguffiner und deren
Rache S. 176, die Aeufserung des Fanatismus über den
Unterfchied von Süd- und Norddeutfchland S. 143.

Man mufs Ed. Böhmer noch befonders für feine Einleitung
und die Anmerkungen danken. Dem Gelehrten
hätte Böhmer einen Dienft gethan, wenn er in der Einleitung
die Nachweife aus dem Corp. Ref. und andern
Quellen des 16. Jahrhunderts gegeben hätte. Auch wäre
ein Auffchlufs über die Gründe, die zur Weglaffung einiger
Abfchnitte z. B. über Perfevald, Magdalena de la Cruz
etc. führten, erwünfcht gewefen. Die Ueberfetzung lieft
fich nicht uneben. Da und dort dürfte ein Ausdruck
wohl anders gewählt fein, z. B. S. 158 Z. 20 ftatt Hitze
eher Feuer. Die Form Gülden S. 151 Z. 1 v. u. S. 172
Z. 13 ift veraltet. Im Land des Guldenfufses heifst die
Mehrzahl Gulden. Am Schlufs giebt Frau Hedwig Böhmer
noch eine Ueberfetzung des Briefes des gefangenen
Enzinas an Melanchthon vom 8. Juli 1544, den A. Thenn
nach dem lat. Original in der Zeitfchrift für wiffenfchaftl.
Theologie 1889 Heft 3 veröffentlicht hat. Man darf dem
ganzen Buch eine grofse Verbreitung, aber auch eine
Verarbeitung in der Weife der ,fpanifchen Brüder' für
das Volk wünfchen.

Nabern. G. Boffert.

Fl ade, Pfr. Paul, Das Kirchspiel Frauenhain nebft den ein-
gepfarrten Rittergütern und Dörfern von der älteften
Zeit bis zum Jahre 1895. Ein Beitrag zur Gefchichte
des Röder-Elfterlandes. (VIII, 162 S. gr. 8.) Grofsen-
hain 1897, H. Starke. M. 3.—

Eine fleifsige Arbeit, die fich über Hunderte von
Ortschroniken fchon durch die Sauberkeit des Drucks,
aber auch durch den Reichthum des Inhaltes und die
Tüchtigkeit der Forfchung erhebt. Für die Th. L. Z.
kommen nur die kirchengefchichtlichen Abfchnitte in
Betracht. Unfraglich bietet der Verfaffer den Männern
der Wiffenfchaft manchen brauchbaren Bauftein in den
Abfchnitten über kirchliches Leben und Gottesdienft,
kirchliche Verwaltung und Kirchenbau. Je mehr er fich der
Gegenwart nähert, um fo reichhaltiger ift fein Stoff und
um fo durchlichtiger find die Verhältniffe. Aber wenn die
Leiter der Organe für Provinzialkirchengefchichte es
fchmerzlich empfinden, dafs es ihnen an Arbeiten für

die mittelalterliche Gefchichte um fo mehr fehlt, je
weiter fie zurückgeht, weil jene entlegene Zeit ganz
andere Anforderungen an den Forfcher macht, fo zeigt
fich derfelbe Mangel auch hier. Die Gefchichte der Gründung
der Kirche ift recht'dürftig ausgefallen. Es ift
fchon bedauerlich, dafs der Verf. nicht den 3. Band von
Hauck's deutfcher Kirchengefchichte benützt hat. Fl.
hat ficher Recht, wenn er den Zug der Miffion von Wetten
nach Often, und zwar die Hallefche Salzftrafse entlang
gehen läfft (S. 15 f.). Aber damit ift doch wenig gefagt.
Man mufs erft ein möglichft vollftändiges Verzeichnifs der
Kirchenheiligen für Sachfen fchaffen. Der Hinweis S.
17 auf Martinskirchen genügt nicht. Dann müfste man
fie nach ihrem Alter oder ihrem Auftreten in der Kirchenprovinz
und ihrenBeziehungen zum Bisthum gruppiren und
fragen, woher ihre Verehrung kommt. Der heil. Donatus
in der Gegend von Magdeburg und Torgau dürfte z. B.
darauf hinweifen, dafs Mönche aus der Eifelgegend an
der Miffion unter den Wenden arbeiteten. Ganz unhaltbar
ift die Annahme, dafs die Schenkungen der deutfchen
Herrfcher an den Naumburger Stuhl im Gebiet des
Meifsner Bisthums die betreffenden Orte auch unter die
kirchliche Hoheit von Naumburg gebracht hätten (S. 16
35). Der Bifchof von Konftanz blieb der geiftliche Ober-
hirte auch für die Befitzungen des Bifchofs von Chur
innerhalb Schwabens. So war es ficher auch in Sachfen.
Die Kaifer konnten den kirchlichen Organismus und das
Kirchenrecht nicht von fich aus aufheben. Auf unhaltbarer
Grundlage ruht auch die Annahme, dafs ein entlegener
1 Ort, wie Kotzfchka erft im 16. Jahrh. zur Mutterkirche
Frauenhain ftatt zu dem nahen Elfterwerda gezogen
worden wäre. Das dazwifchen liegende felbftftändige
Pröfen beweift nichts, da es auch fonft vorkommt, dafs
ein reicher und felbftherrlicher Grundherr mitten aus
einem Kirchfpiel ein Stück losreifst und es mit Hilfe der
kirchlichen Obern felbftftändig macht. S. 114 die Oeff-
nung in der Kirchendecke mit dem Bild des h. Geiftes
weift auf den Brauch, an Pfingften eine Taube durch die
Oeffnung in die Kirche fliegen zu laffen, wie man ja auch
ein Chriftusbild am Himmelfahrtsfeft durch ein folches
Loch an einem Strick hinaufzog, z.B. in Klofter Schönthal.

Nabern. G. Boffert.

Thieme, Prof. Lic. Dr. Karl, Die sittliche Triebkraft des
Glaubens. Eine Unterfuchung zu Luther's Theologie.
Leipzig, Dörffling & Franke, 1895. (VIII, 318 S.
gr. 8.) M. 5.—

Die Anregung zu feiner Unterfuchung hat Th. durch
Herrmann's bekanntes Werk über den, Verkehr des Chriften
mit Gott, im Anfchlufs an Luther dargeftellt' erhalten.
H.'s Methode, ,die innern Vorgänge in klarer Rede zu

; entfalten, in denen das Leben des Glaubens fich zu fitt-
licher Thätigkeit ausbreitet', erfcheint ihm als richtig und

j für die Praxis werthvoll; dagegen hält er H.'s Auffaffung
von Luther der Nachprüfung für bedürftig und fein Werk

I gipfelt in der Tendenz, feftzuftellen, dafs fchon bei Luther
die von H. mifsdeutete richtige Löfung des Problems
zu finden fei. Die genuin lutherifche, der vollen Höhenlage
des reformatorifchen Glaubens entfprechende Mo-
tivirung der fittlichen Thätigkeit findet er in dem Gedanken
, dafs der Glaube mit feiner Seligkeit den unmittelbaren
Impuls, Freude um fich her zu verbreiten,

j in fich trägt, dafs er einen expanfiven Vergeltungstrieb
entfeffelt, der die empfangene Wohlthat an einen dritten
weiterzugeben fich bemüht. Darin befteht die necessitas
conseqtientiae seu immutabilitatis, durch welche der Glaube
in Nächftenliebe übergeht. — Man wird diefe Gedanken
fehr hoch ftellen können, ohne doch darin mit Th. die
Löfung des Problems zu finden. Wer, wie Th., es als
einen Mangel an Luther's Anfchauung bezeichnet, dafs
er das Sollbewufstfein für den Wiedergeborenen gänzlich
aufgehoben habe (S. 260ff.), wem es unbeftreitbar