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Ausgabe:

1897 Nr. 23

Spalte:

605-609

Autor/Hrsg.:

Nestle, Eberhard

Titel/Untertitel:

Philologica sacra. Bemerkungen über die Urgestalt der Evangelien und Apostelgeschichte 1897

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 23.

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dafs die lateinifchen Texte fowie die Marginalien der I einmal fein Füllhorn intereffanter Beobachtungen und
Philoxeniana auf Codex D felber zurückgehen (S. 4, 12 . Combinationen über uns ausgefchüttet hat. Kein Mit-
A. 1); aber daneben wird nicht nur für die Schreibfehler arbeiter auf neuteftamentlichem Gebiete, aber auch kein
in D die etwas fchillernde Gröfse ,der Abfchreiber (plur.) Altteftamentler, Kirchenhiftoriker u. s. f. wird an der
in D', d. h. ,der letzte Schreiber von D oder feine nächften , kleinen Publication vorübergehen können, für alle fällt
Vorgänger' (S. 5. 12) verantwortlich gemacht (vgl. auch etwas ab. Er wird fich auch die Mühe nicht verdriefsen
S. 35), fondern unumwunden anerkannt, dafs die Mehr- laffen dürfen, fie ganz durchzufuchen, denn ein Index
zahl der bedeutenderen Varianten fehr alt fein, ja bis in fehlt, und in buntem Durcheinander drängen fich Notizen
das 2. Jahrhundert zurückreichen müffen (S. 5. 105. 110). aller Art.

Ref. darf fich der Uebereinftimmung mit Weifs auch in Das Leitmotiv, das lofe genug das Ganze zufammen-

dem Punkte erfreuen, dafs in diefem D-Texte keine ein- hält, ift die ja jetzt immer beliebter werdende Thefe,
heitliche Bearbeitung zu erblicken ift, wennfchon er fich t dafs nicht nur die Varianten in Handfchriften, wie SB
die Begründung hierfür nicht in allem anzueignen ver- einer-, D andrerfeits, fondern auch die Abweichungen un-
mag. Vor allem ift hier das Verhältnifs von D zu feinen ferer Synoptiker von einander Ueberfetzungsvarianten
Verwandten doch meift zu fehr zu ungunften der letzte- I gemeinfamer femitifcher Vorlagen feien. Was Codex D
ren beurtheilt: Dafs nicht nur der Gigas librorum saec. betrifft, um den Neftle fich thatfächlich durch feine ge-
XIII (S. 6. A. 1), der Palimpseft von Fleury saec. VII naue Collation in feinem Novi Testamente graeci supple-
(S. 6. A. 2), fondern auch die Peschitta (S. 10) Incor- ! mentum, Lipsiae, Tauchnitz 1896, ein fehr grofses Ver-
reetheiten, welche durch Nachläffigkeit der Schreiber in dienft erworben hat, fo ift unbedingt zuzugeben die übri-
D entftanden find, glätten, ift fchwer zu verftehen: hier gens jetzt faft allgemein anerkannte Forderung gröfserer
hat unbedingt Blafs recht, wenn er den Text von D als 1 Berückfichtigung: Gewifs hat D vielfach, auch allein, die
Mifchtext beurtheilt. Giebt doch Weifs felbft S. 12 die urfprüngliche Lesart; aber fo wie Neftle feine Entfchei-
Entftehung vieler Varianten durch Contamination eines i düngen in vielen Fällen apodiktifch als Poftulate jeder
gloffirten Textes zu. Warum foll gleiches nicht auch von gefunden Kritik für jede neue Ausgabe hinftellt, fo weit find
den auf S. 6 — 11 befprochenen Fällen und auch bei vielen < wir nun doch noch nicht. Neftle nimmt z. B. S. 14 Tifchen-
der unter III befprochenen Varianten gelten. dorfs Vermuthung auf, Joh. habe ftets ftatt 'TcxaQicoxrjq:

Ein wichtiges Mittel, die Vorläufer von D zu be- 0 axo KctQvmx gefchrieben (6,71 x Ferrargruppe, 12,4
ftimmen, hat Weifs fich — darin übrigens durch Blafs 13,2.26 14,22 D), jene Namensform fei aus Syn. einge-
beftimmt — entgehen laffen: d, die lateinifche Ueber- drungen. Aber ift dies o dxo KaQvcöxov nicht nur eine
fetzung- Hätten wir diefe in einem befonderen Codex, etwa auf Origenes zurückgehende gelehrte Gloffe? Leider

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wie viel Aufhebens

Zeugen des 6. Jah

hat neben D zu flehen, citirt man lieber den Gegas [saec. daväxov Lag. - 209 is. 21815. Hier. (ibid. 947) bringt

XIII) Neftle hat leider nur D collationirt. Es fehlt — auch noch mit Iffachar zufammen; ebenfo in Matth. 1. I zu
nach Harris — noch gänzlich eine genaue Unterfuchung 1 10,4 (Vall.3 VII 57 c): vel a vico in quo ortus est, darnach

des Verhältniffes von D und d. Beide gehören eng zu- auch Euchen. Lugd. ed. Wotke I, 144, s. Ruht das auf

fammen, der Urtext von d ift wohl urfprünglich aus einer der LA. in Joh. oder umgekehrt?

Vorlage von D genoffen, aber beide haben eine felbft- Unter den Erklärungen fynoptifcher Differenzen
Händige, nicht nur durch Schreibfehler,fondern auch durch finden fich viele fchon früher von Neftle oder anderen
gegenfeitige Anpaffungen (dies giebt als eine Möglich- bekannt gemachte. Manches darunter leuchtet fehr ein,
keit auch Weifs S. 13 A. 1 zu) und Einbringung von um nicht zu fagen, befticht. Wir müffen es uns verLesarten
ganz anderer Texte entftellte Entwickelung durch- fagen, auf das Einzelne einzugehen, — auch fchon darum,
gemacht. Wer diefe uns richtig vorzuführen verftünde, weil wir Neftle und feinen Gewährsmännern gegenüber
würde fich ein grofses Verdienft erwerben. Die Uni- zu fprachlichen Urteilen uns völlig incompetent fühlen,
verfitätspreffe von Cambridge will uns mit einer photo- Um fo mehr drängt es uns, ein principielles Be-
lithographifchen Neuausgabe des Codex Bezae befchenken. denken, auf welches fchon Holtzmann in feiner An-
Hoffentlich regt diefe zu folchen Unterfuchungen auf's zeige der editio minor von Blafs, Nr. 13, Sp. 352 d. Bl.
Neue an. I leife hingedeutet hat, einmal fcharf zum Ausdruck
Schliefslich noch einen Beweis für die Unverftänd- zu bringen. Aufser Refch, deffen Evangelientheorie hin-
lichkeit des Blafs'fchen Apparates, der auch Weifs zum länglich von den verfchiedenften Seiten kritifirt worden
Opfer gefallen ift: 72» findet fich die LA, welche Weifs ift, hat in. W. keiner derer, die auf dem neuen Wege des
für urfprünglich zu halten nicht abgeneigt wäre, weder Rückganges auf femitifche Originale die Löfung des
bei D, noch bei E, fondern nur bei Blafs auf Grund fynoptifchen Problemes zu erreichen hoffen, uns ein klares
einer Verbindung beider: D hat eqpvyddevöe McovOrjq in Bild von dem Werdegang der Evangelienlitteratur nach
intranfitiver Bedeutung = e<pvyev, erft E — müfste Weifs diefen Principien zu zeichnen unternommen. Was A.
nach feiner ganzen Anficht von dem Verhältnifs ^beider Meyer a. a. O. S. 63—72 ausführt, ift fehr richtig, aber
Zeugen fagen — hat dies mifsverftanden, icpvyaösvötv noch keine Erfüllung diefer unerläfflichen Forderung
tranfitiv gefafst und icpvydöevöev de MoEoTiv gefchrieben,
jen;| von Dobfchütz.

------------- ---------&.

Neftle S. 43 erklärt ausdrücklich fich diefer Aufgabe
ledig! Er weifs fich auf .fichererem Wege zum Ziele'. Aber
ohne ein gefchichtlich greifbares Bild von der Entftehung
unferer Evangelienfchriften haben alle diefe feine Einzelbeobachtungen
, mögen fie an fich werthvoll fein oder
Nestle Fberh Philologica Sacra. Bemerkungen u nicht, gar keine Bedeutung, wenigftens für den, der ge-

Ur"'eftalt der Evangelien und Apoftelgefchichte. Berlin, krnt hat) fejn niftorjfches Urtheil an dem gefchichtlich
_ & , „ D. L,„_j TXf/; fco S er. 8.) M. 1.60 Vorftellbaren zu orientiren.

Reuther & Richard, 1090. 09 . % / _ ; ^ .ft ^ uberhaupt auf dag fynoptifche Problem

Dies Heft ift entftanden als Kepw« aui . ^ ^ gekommen? Nicht die Differenzen im einzelnen, fondern
Buch Jefu Mutterfprache' (»I1^™"?^ hatre über die frappirende Uebereinftimmung dreier Relationen bis
Bl. Jahrg. 1896, Sp. 447)- Ub We „ f" 'mnfi„dHch zu in die feinden fprachlichen Details hinein forderte, fobald
Meyers ihn betreffende Aeufeerung*4b '"^^^ man überhaupt an unfere Evangelien die Maafsftäbe
fein und in fo fcharfem lone zu "P»c,r » Art fitterarhiftorifcher Betrachtung heranbrachte, gebieterifch

geftellt bleiben — die ganze l.agaramu ^ ^ ^ Erklärung. Diefe hat man in der Annahme der

feines Schreibens berührt nicht^"^"f"^ A jars wjeder Abhängigkeit unferer griechifchen Evangelien