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Ausgabe:

1897

Spalte:

593-595

Autor/Hrsg.:

Dessoir, Max

Titel/Untertitel:

Geschichte der neueren deutschen Psychologie. 2., völlig umgearb. Aufl 1897

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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Theologifchc Literaturzeitung. 1897. Nr. 22.

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tung nicht ausgeführt); 14) Ingolftadt 1472; 15) Trier
1473; l6) Tübingen 1477; 17) Mainz 1477; 18) Wittenberg
1502; 19) Breslau 1505; 20) Frankfurt a. 0. 1506. —

Kiel. F. Nitz fcb.

Dessoir, Max, Geschichte der neueren deutschen Psychologie.

2. völlig umgearb.-Aufl. r. Halbbd. Berlin, C. Duncker,

1897- (356 S. gr. 8.) M. 8.-

Das vorliegende Werk, deffen erfter Halbband (der
L Band i(t 1894 erfchienen) bereits in zweiter Auflage vorliegt
, hat neben den andern Büchern über Gefchichte der fchen beiden waltet kein urfächlicher, fondern nur ein

Die in die Monadenlehre eingebettete Leibniz'fche Pfy-
chologie wird von Chriftian Wolff unter Abfchwächung
der erfteren neu geordnet und eingetheilt. Erzeigt lieh darin
fo recht als klaffificatorifches Talent: ,wie er die Landkarte
der Seele entwirft, Provinzen, Kreife, Bezirke anf ihr abdeckt
, dann alle Namen in ein fäuberlich geordnetes
Syftem zwängt — das ift gar wunderlich anzufehen'.
In Beziehung auf das Verhältnifs von Leib und Seele
nähert fleh feine Auffaffung der präftabilirten Harmonie
ungemein der modernen Lehre vom pfychophyfifchen
Parallelismus. ,Auf der einen Seite flehen die pfychi-
fchen, auf der andern die phyfifchen Thätigkeiten; zwi-

Pfychologie von F. A. Carus (1808—10), Harms (1878), i anderer, fchwer zu begreifender und daher von Wolff
Siebeck (1884—87, nur bis zu Thomas von Aquino) feine I auf Gott zurückgeführter Zufammenhang' (S. 78 f.). Die

durchaus felbftftändige Bedeutung. Es behandelt zum

übrigen Pfychologen diefer Periode werden unter den

erden Mal in diefer Ausführlichkeit die Gefchichte der Rubriken: die ältere Schule Wolffs (Bilfinger, Gottfched,

Pfychologie des vorigen Jahrhunderts und liefert, da die
Pfychologie vermöge ihres Gegendandes mit dem gefamm-
ten Geidesleben fleh berührt, intereffante Beiträge zur
Gefchichte der geidigen Strömungen in jener Periode.
Die zweite Auflage id neben anderen Erweiterungen

J. A. Unzer, Baumgarten, G. F. Meier), Gegner Wolff's
(Andreas Rüdiger, Chridian Aug. Crufius) und Eklektiker
abgehandelt.

,Eine neue Zeit begann innerhalb der neun Jahre,
die zwifchen dem Tode Wolff's (1754) und dem Abfchlufs

um eine werthvolle Einleitung vergröfsert, welche eine ! des fiebenjahrigen Krieges (1763) liegen. Während bis
Ueberficht über die Gefammtentwickelung der Pfychologie j dahin verhältnifsmäfsig wenige und felbddändige Philo-
bis zum 18. Jahrhundert giebt. Die eigenthümliche Stel- [ fophen die Träger der Bewegung waren, erwuchl'en jetzt
lung der Pfychologie in der griechifchen Philofophie und unferer Wiffenfchaft zahllofe Mitarbeiter, die der er-
ihreAbhängigkeitvon aufserpbilofophifchen Intereffen wird J fahrungsmäfsigen Durcharbeitung ihre Kraft widmeten,
in grofsen Zügen gezeichnet. Nach der grundlegenden Aus- ; vom Auslande eifrig lernten, dem Anflurm der Vernunftführung
des Verfiim Eingang, deren Gefichtspunkte in fei- kritik nicht lange widerftanden und mit dem Ende des
nem ganzen Werk häufig wiederkehren, haben drei Gebiete Jahrhunderts felber ihr Ende fanden' (S. 114 f.). Dem
desNachfmnens entfeheidend darauf eingewirkt: ,praktifche [ Streben, der Erfahrungsfeelenlehre den Herrfcherlitz im
Menfchenkenntnifs, religiös-moralifche" Beftrebungen und | Reich der Wiffenfchaften anzuwehen, dienten die aus-
naturwiffenfchaftliche Forfchungen'. ,So bildeten fleh drei j ländifchen Einflüffe nicht minder, als die geiftig-gefell-
Züge, die bei aller Verflechtung doch deutlich unterfcheid- fchaftlichen Bewegungen in Deutfchland. In dem zweiten
bar bleiben: Seelenkunlt, Seelentheologie und Seelenphy- j Hauptabfchnitt (,die Entwicklung der deutfehen Erfah-
lik. Die erfte Hellt die Seele unter praktifch-künftlerifche j rungsfeelenlehre von 1750—1800') ift dementfprechend
Gefichtspunkte, die zweite betont ihren Zufammenhang j ,der Einflufs Englands' vorangeftellt, doch warnt der Verf.
mit dem Ueberlinnlichen, die dritte betrachtet fie als einen j vor einer Ueberfchätzung diefer Einflüffe des Auslands.
Theil des Naturganzen; oder, anders gewendet, die eine , Die Grundzüge diefer Entwickelung feien auch ohne Rückwill
den inneren Menfchen nacherleben laffen, die andere j greifen auf England verftändlich und man könne fogar
ihn emporheben, die letzte ihn eingliedern' (S. 1 f.). Da im Einzelnen nicht immer ausmachen, ob z. B. eine cm-
der grundlegende Begriff des Bewufstfeins in der griechi- piriltifche Richtung mehr auf den Pietismus oder auf
fchen Philosophie noch fehlt und unter den Begriff Pfyche Locke zurückgehe. Kennzeichnend für diefe ältefte
die Lebenserfcheinungen fchlechtweg fallen, fo war für Gruppe der englifchen Pfychologie ift die Ablehnung

fie, was wir Pfychologie nennen, kurz gefagt: Biologie
Wohl begründet ift daher auch die Vermeidung der Bezeichnung
Materialismus, da der hierbei vorausgefetzte
Gegenfatz zwifchen Seele und Leib überhaupt noch fehlt.
Die erfte chriftliche Pfychologie, die als Syftem innerhalb
der lateinifchen Kirche auftrat, wird Tertullian zu-
gefchrieben.

Die beiden Hauptabfchnitte des Buches enthalten

1. die Begründung der deutfehen Pfychologie S. 33—115,

2. die Entwicklung der deutfehen Erfahrungsfeelenlehre
von 1750—1800 (mit Ausnahme Kant's) S. 116—356.
Aus der erdrückenden Fülle von Namen und Anflehten
laffen fleh nur einige charakteriftifche Züge hervorheben.
An die Spitze tritt als Begründer der deutfehen Pfychologie
Leibniz, der in feiner Monadenlehre alles ver-
geiftigend die Seele zum Princip der Weltanficht machte.
Das Verhältnifs von Leib und Seele wird auf Grund der
präftabilirten Harmonie erklärt. Sie find .nicht künlllich
an einander gepafst, fondern ein einziger Prozefs in doppelter
oder gar vielfacher Spiegelung; fie gleichen zwei
aufs vollkommenfte gearbeiteten Uhren, die gleichmäfsig
gehen, ohne dafs die eine die andere reguliere'. Tho-
mafius behandelt die Pfychologie in einer nicht fchul-
mäfsigen, nicht pedantifchen Weife und fucht diefelbe für
die Erkenntnifs des Individuums praktifch fruchtbar zu
machen. Er fucht das Verhältnifs der menfehlichen Eigen-
fchaften inZahlen auszudrücken und fchreibt z.B. Mazarin
ungefähr 60Grad Ehrgeiz, 50 Grad Wolluft, 20 oder 30 Grad

einer fchöpferifchen Seelenkraft, insbefondere mit Hilfe
der durch Hartley begründeten Affociationstheorie,
durch deren Uebertreibung Hume ,den Seelenzufam-
menhang als ein Verhältnifs von Vorftellungen darzu-
ftellen und das Ich auszufchalten vermochte'. Von der
im zweiten Abfchnitt gegebenen Zeichnung des ,kultur-
gefchichtlichen Hintergrundes' intcreffirt namentlich die
Einbürgerung der deutfehen Sprache anftatt des Lateinifchen
auch in den Lehrbüchern der Pfychologie, wobei
unter vielfacher Umpragung der wiffenfehaftlichen Ausdrücke
,das Bewufstfein für Genauigkeit und Schönheit
zunimmt' (S. 139).

Die einzelnen Pfychologen diefer Periode werden
nun in folgenden Abfchnitten befprochen: 3. die Schul-
pfychologie, 4. die naturwiffenfehaftliche Pfychologie, 5.
die Popularpfychologie, 6. die analytifche Pfychologie. Als
Vertreter der rationalen Schulpfychologie, deren Intereffe
hauptfächlich dem Begriff und den höheren Kräften der
Seele zugewandt ift, begegnen uns Männer wie Reimarus
der Verfaffer der Wolffenbüttler Fragmente und der
Theolog Reinhard (Ueberficht über das Seelenleben im
erften Bande feines Syftems der chriftlichen Moral und
kleinere pfychologifche Verbuche von 1782 und 1786).
Die empirifche Schulpfychologie, welche fich ,mit den
Thatfachen im antimaterialiftifchen Sinn und zu wiffenfehaftlichen
Zwecken' (beides im Gegenfatz zu den Po-
pularpfychologen) befchäftigt, war namentlich an der
Berliner Akademie vertreten, fo durch den Vielfchreiber

raifonable Liebe und etwa 5 oder 10 Grad Geldgeiz zu. ! Formey und den Aefthetiker Sulzer. In dem Abfchnitt