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Ausgabe:

1897 Nr. 2

Spalte:

38-41

Autor/Hrsg.:

Gesenius, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Hebräische Grammatik, völlig umgearb. von E. Kautzsch. 26., vielfach verb. u. verm. Aufl 1897

Rezensent:

Philippi, Fr.

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 2.

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es, wie gering die Unterfchiede der Faffung zwifchen den
älteften und jüngften Zeiten erfcheinen.

Schon zwei Jahrtaufende v. Chr. begegnet uns hier
ein fertiges Recht und ein höchft ausgebildetes fchrift-
liches Verfahren für einen weiten Umkreis rechtlicher
und gefchäftlicher Vorgänge, felbfl von ganz geringer
Bedeutung. In der Genauigkeit der Kataftrirung der
Grundflücke, in der Vorherficht aller möglichen Fälle, der
Sicherung und Bezeugung gemahnen uns diefe Urkunden
unmittelbar an notarielle Schriftftücke vom heutigen Tage.
Ein Beifpiel für die Stücke, aus denen eine ausgeführte
Urkunde befteht, fei die erfte aus der Zeit der erften
b tbylonifchen Dynaftie (König Sumu-abim, bald nach
2400 v. Chr/ von S. 11 aufgeführt, die Bekundung des
Kaufes eines Grundftücks. Wir finden da 1. Flächeninhalt,
2. Lage durch Angabe der Nachbarbefitzer, 3. Verkäufer,
4. Käufer, 5. Preis, 6. anfcheinend eine fymbolifche Handlung
für den Vollzug des Gefchäftes, 7. Unabänderlichkeit
, 8. Anrufung beftimmter Götter zur Bekräftigung,
9. Namen der Zeugen, 10. des Schreibers, 11. das Jahr.
Von diefen Stücken findet fich am feltenften Nr. 6 (noch
einmal auf S. 11 und auf S. 9). Die Anrufung der Götter
findet fich noch S. 5, 7 (2 mal), 9 II (nicht I), 13 (2 mal),
15 (2 mal), 17, 21 (neben dem König), 23, 27 u. 33 (2 mal
neben dem König). Der König Hammurabi allein S. 25.
Von da an, noch in der erften babyl. Dynaftie, fchwindet
auch diefe religiöfe Weihe des Gefchäftes auf Nimmerwiederkehr
. Um die Manigfaltigkeit des Inhalts zu kennzeichnen
, führe ich nur aus der Zeit der erften babyl. Dyn.
(bis S. 49) an: Ehefcheidung mit Auslieferung des Be-
fitzes des Weibes, Zahlung eines Scheidegeldes und der
Befugnis der Wiedervermählung; Erbteilung mit genauer
Anführung der Grundftückparcellen und ihrer Bebauung
, des Inventars an Hausrat, Vorräthen, Geld, Sklaven;
civilrechtliche Klage und Beweisführung; Grund-
ftücktaufch; Die Ernte als Termin eines Darlehens
fammt Zins; Quittung zu Liquidirung eines Compagnie-
gefchäfts; Haijsmiethe; N aturallieferung, für die zu
einem beftimmten Termin Sklaven zu liefern find, im
Nichtlieferungsfalle baares Geld; Kauf auf Termin zum
Marktpreife; Schenkung eines Sklaven fammt Nachkommen
; Taglöhnermiete mit Conventionalftrafc und
Bürgfchaft. Für biblifche Verhältnifse haben befondern
Wert die Urkunden zum perfönlichen Rechte, von Ehe-,
Familien-, Sklavenverhältniffen. Hier fei erwähnt, dafs der
Brautkauf nur einmal (S. 187) vorkommt, und auch dort
nur in der verfchämten Form einer .freiwilligen Gabe'
an die Mutter, dagegen erhält die Tochter Mitgift S. 229,
235, 253 (vgl. auch die 3 Gefetze S. 323), und fo fcheint
diefer fehr fortgefchrittene Brauch die Regel zu fein.
Merkwürdig ift S. 187 noch die Ausmachung eines Reugeldes
und der freien Entlaffung im Falle der Hinzunahme
einer zweiten Frau. S. 213 gibt fich ein Vater bei feiner
Tochter in Leibgedinge unter Verfchreibung feines Be-
fitzes auf den Todesfall. Man fieht, dafs es nichts Neues
unter der Sonne gibt. — Ein befonderes religionsge-
fchichtliches Intereffe beanfpruchen die Grenzfteine S. 56ff.
Zweimal führt der Stein einen Namen (S. 57, 75); man
denke an die Masseben. Mit fchweren Flüchen wird die
Verletzung des Steines bedroht und dabei faft regel-
mäfsig (S. 59, 63, 71, 77, 81) auch der Kniff abgewehrt,
dafs man einen /Thoren, Tauben, Blinden u. f. w.' dazu mifs-
brauchte. Man denke an die germanifche Sage von Loge
Hödur und dem Miftelzweig. — Wie bereits erwähnt, ift die
Form fchon in der älteften Zeit fehr reich ausgebildet
und verändert fich, von gewiffen Vereinfachungen abge-
fehen, in 2' ., Jahrtaufenden nur wenig. Ein hervortretender
Formunterlchied ift den affyrifchen Urkunden eigen. Sie
beginnen ftatt mit der Nennung des Objectes mit dem
Siegel oder meiftens dem Nagelzeichen (Abdruck des
Fingernagels) der Parteien oder Comparenten.

Von grofsem Werthe find die Refte alt- und neubaby-
lonifcher Gefetzgebung auf den beiden letzten Seiten.

Zunächft inhaltlich, fo gleich die beiden erften: ,Wenn
eine Frau fich wider ihren Mann vergeht und .nicht bift
du mein Mann' fagt, foll man fie in den Flufs werfen.'
| — ,Wenn ein Mann zu feiner Frau .nicht bift du meine
Frau' fagt, foll er eine halbe Mine Geld zahlen.' Dann
aber auch der Faffung nach; denn der Eingang der altbabylo-
nifchen ,Wenn ein Mann u. f. w.' entfpricht genau der
früheren hebräifchen Faffung bei E im Bundesbuche, der
der neubabylonifchen ,Ein Mann, der u. f. w.' der der
fpäteren bei P (vgl. meine Ausführungen ZATW 1891,
S. 213 f.).

Mögen diefe Andeutungen genügen, um den Wert
J des Gebotenen ahnen zu laffen. Eine allfeitige Durcharbeitung
würde zweifellos reichen Ertrag liefern; aber
wer will fie wagen, ehe die Deutung auf ficheren Füfsen
fteht? Dazu wird freilich der vorliegende kühne Vcrfuch
der gröfste Schritt fein, und wir fchulden E. Peifer grofsen
Dank, dafs er ihn gethan hat. Befondere Anerkennung
verdient übrigens auch die äufserft eingehende, metho-
difch gearbeitete Regiftratur des Inhalts auf S. XI—XX.

Strafsburg i/E. K. Budde.

Gesenius, Wilh., Hebräische Grammatik, völlig umgearb. von
Prof. E. Kautzfeh. 26. vielfach verb. u. verm. Aufl.
Schrifttafel und Fcsm. der Siloah-Infchrift beigefügt
v. J. Euting. Leipzig, F. C. W. Vogel, 1896. (XII,
558 S. gr. 8.) M. 6.— ; geb. M. 7.—

Der verdiente Bearbeiter von Gefenius' Grammatik
hat die vorliegende 26. Auflage des Buches wieder mit
einer Fülle von Abänderungen, Zufätzen und auch
Streichungen verfehen, über die er felbft in der Vorrede
p. VI einen ungefähren Ueberblick gibt. Daraus kann
man fchon erfehen, wie energifch er weitergearbeitet hat,
um das Buch auf feiner alten Höhe zu erhalten. Auch
die Ausflellungen, die Aug. Müller in der DL 1891
p. 157 f. und ich in diefer Z p. 417 h zu der 25. gemacht
haben, find zum Theil wenigftens berückfichtigt. Doch
vgl- S 26.S und DL P- IS9I SS Ioa Schlufs; 27d, 28a, 61 a

j und DL p. 160; aber richtig S63C; $ 24 und diefe Z
p. 417 h übrigens auch meinen demnächft in der ZDMG
erfcheinenden Auffatz.

Aber ich kann dem Verfaffer den Vorwurf nicht er-
fparen, der fich mehr oder weniger auch fchon auf die
früheren Auflagen erftreckt, dafs er entweder in feinen
Zufätzen und Abänderungen, foweit fie wenigftens von
irgend welcher Bedeutung find, meift auf einen beliebigen,
neueren Forfcher fich ftützt, und bei feiner Autorität fei
es mit fei es ohne Argumente, die diefe verwendet, beruhigt
, wobei er öfter die von dem Autor geltend gemachte
Argumentation nicht völlig überfieht, oder dafs
er einfach über Jemandes Anficht referirt, ohne weiter
fich um die Confequenzen derfelben zu kümmern, was
ich fchon an der vorigen Auflage gerügt habe. So mag
wohl auch die neue Auflage, als ,eine gewiffenhafte Verzeichnung
der neueren Arbeiten' Manchem willkommen
fein, aber den Charakter, ein unentbehrliches Handbuch'
zu fein, verliert fie immer mehr. Seine eigene pofitive
Meinung ift oft nicht ganz klar ausgefprochen. Er gibt
nicht immer, wie das doch bei dem alten Gefenius der
Fall war, einen klaren und beftimmten Ton an, und es
wird in der That im Ganzen das Buch immermehr, wie
mir ein befreundeter Forfcher fchrieb, ,eine Bibliographie

[ zum Ausfuchen für den Lefer'. Es fehlt doch etwas an

felbftftändiger Durchdringung des Stoffes.

Erfteres ift z. B. der Fall, wenn er die Verba y"y
(S67) oder die Verba Y'y (§72) jetzt ganz nach A.Müller,
Stade und Nöldeke darfteilt. Wenn auch ein Grund

| vorhanden gewefen fein mag, die Flexion der Verba y"y

! jetzt anders als früher aufzufaffen (vgl. meine Ree. von
Barth in Steinthal Z für Völkerpfych. u. Spchwfffchft
1890 p. 354, wo ich über die y"y handle, allerdings in anderer