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Ausgabe:

1897 Nr. 20

Spalte:

536-538

Autor/Hrsg.:

Gilbert, George Holley

Titel/Untertitel:

The student‘s life of Jesus 1897

Rezensent:

Baldensperger, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 20.

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Dafs der Verf. meine Neu-Bearbeitung des Lukas-Com-
mentars bei Meyer nicht kennt, kann ich ihm nicht übel
nehmen, bitte aber bei einer zweiten Auflage fie zu be-
rückfichtigen. Da ich eine Menge von Dingen, die auch
in diefem Commentar wieder erfcheinen, dort bereits
bekämpft und durch neue Anfchauungen zu erfetzen geflieht
habe, müfste ich mich zu fehr wiederholen, wenn
ich hier meinen Gegenfatz überall zur Sprache bringen
wollte. — Unerlaubt dürftig ift die Behandlung der
Herrenworte 735. 8ioff. 1022fr. und vor allem der Abendmahlsworte
. Gerade wenn man den kürzeren Lk.-Txt
vorzuziehen geneigt ift, war man doppelt verpflichtet,
diefem eine eingehende Erläuterung zu widmen. Im
Ganzen ift zu bedauern, dafs die Erläuterung nicht darauf
ausgeht, dem Lefer durch Darbietung des wichtigeren
exegetifchen Materials ein eigenes Urtheil zu ermöglichen
und ihn zum Selbftdenken zu erziehen, fondern
meift nur des Verf.'s eigne Meinung mittheilt. Wer bei
uns die Folgen diefes Syftems an den Studenten beobachtet
hat, wird feine Bedenklichkeit zu würdigen
wiffen.

In textkritischer Beziehung lehrt uns diefer Commentar
, dafs die Recenfion von Weftcott und Hort in
England bereits faft kanonifch zu werden beginnt. Nur
an wenigen Stellen weicht PI. von ihnen ab. Die Mittheilung
des Varianten-Materials ift zu fporadifch. Auch
in Fällen, wo der Exeget an der richtigen LA. nicht
zweifelt, müffen intereffante und charakteriftifche Varianten
mitgetheilt werden. Fast tendenziös erfcheint das
Verfahren zu 25, wo überhaupt nicht gefagt ift, dafs die
Itala-Codd. a b c ff 2 nur yvvaiv.i ohne e.uviqazeviievrj vorausfetzen
. Dies führt auf die kritifche Behandlung des
Evangeliums. Sehr zu bedauern ift, dafs dem Verf.
Hillmann's undUfener'sArbeiten zur Kindheits-Gefchichte
nicht wenigftens einer ausführlichen Erörterung werth er-
fchienen find. Er wäre zu einer Würdigung wohl prädis-
ponirt gewefen, da er den aramäifchen und judenchrift-
lichen Charakter der Kindheitsgefchichte vollauf anerkennt
. Auch fonft vertritt er die Abhängigkeit des Lk.
von noch anderen Quellen aufser Mk. (Fl. bezweifelt mit
Recht, dafs Lk. unfern Mk. gekannt habe) und Logia.
Eine Kenntnifs des Mtth. lehnt er ab, für das Sondergut
neben der Kindheitsgefchichte nimmt er eine Quelle
an, deren ,Fbjonitismus' er mit dem üblichen Kraftaufwand
beftreitet, obwohl doch längft das Wort fchon nur
eine facon de parier geworden ift, womit wir ausdrücken
wollen, dafs diefe Quelle für die Armen ein befonderes
Intereffe habe. Dafs die Erklärung felber fo wenig Rückficht
nimmt auf das fynoptifche Problem, erklärt fleh
daraus, dafs noch ein befonderer Commentar über die
Synopsis von Sanday erfcheinen foll. — Der fchwächfte
Punkt ift die Stellung zu den gefchichtlich-kritifchen
Problemen. Trotz mehrfacher unbefangner Aeufserungen
bleibt hier Alles beim Alten. Bei widerftreitenden Berichten
haben immer Beide recht, Doubletten-Reden
find zweimal gehalten worden u. dgl. Von diefer Seite
erwartet man ja auch nicht Viel. Die Einleitung hat
ihren Hauptvorzug an der fachlichen und fprachlichen
Charakteriftik des Lk. Die Verfafferfragen können nicht
befriedigend beantwortet werden, wo die Ap.-G. nur nebenher
mit herangezogen wird. Nur eine Unterfuchung
welche in jedem Augenblick beide Schriften überblickt,
kann hier Licht fchaffen. Dafs der Reifegenoffe des Paulus
das Buch gefchrieben habe, wird mit grofser Sicherheit
behauptet. Diese These, die ich felbft noch in einer mir
unbegreiflichen Verirrung im Lukas-Commentar vertreten
habe, erfcheint mir heute angefichts der Ap.-G. vollkommen
unmöglich. Die Unabhängigkeit des Lk. von
Josephus wird als über allen Zweifel erhaben hingeftellt.
Ich geftehe, dafs auf diesem Punkte für mich einft-
weilen nichts erledigt ift, dafs mir aber alle Wahrscheinlichkeit
für die entgegengefetzte Thefe zu fprechen
fcheint.

Bei der grofsen Accurateffe der vorliegenden Arbeit
ift merkwürdig zu conftatiren, dafs der Verf. mit der
griech. Accentuation auf einem sehr gefpannten Fufs zu
flehen fcheint. Es finden fich hier die unglaublichften Ver-
ftöfse in grofser Fülle.

Indeffen diefer, wie andere Mängel (z. B. die oft
höchft naiven Erörterungen von Leben-Jefu-Fragen)
konnten mir die Freude an dem fchönen und gelehrten
Buche nicht verderben. Ich hoffe, dafs auch Andere
aus ihm lernen werden.

Marburg. Johannes Weifs.

Gilbert, Prof. George Holley, Ph. D., D. D., The student's
life of Jesus. Chicago, Chicago Theological Seminary,
1896. (412 S. gr. 8.)

Den Kreifen, für die es zunächft gefchrieben ift, mag
dies Buch Dienfte leiften. Auch den Theologieftudiren-
den unter uns kann es zur rafchen Einführung in die
Fragen des Lebens Jesu empfohlen werden, unter der
Vorausfetzung, dafs fie fich über die Tragweite diefer
Einführung nicht täufchen. Sie führt nur bis auf die
Schwelle, von wo aus ein tieferes Eindringen in die jetzt
fchwebenden, wichtigen Streitfragen erft anhebt.

Mit einer durchaus klaren Darftellung verbindet der
Verf. den anderen Vorzug, feinen Ausführungen über
Geburt, Taufe, Verfuchung u. s. w. jedesmal einen über die
in den Texten verzeichneten Thatfachen {the Data) orien-
tirenden Abfchnitt voranzufchicken. Das Hauptgewicht
des Werkes fällt auf den Rahmen, auf die Aeufserlich-
keiten des Lebens Jefu. Die Zeit- und Ortsumftände,
I das Archäologifche flehen im Vordergrunde des Intereffes:
dies Leben Jefu trägt gewiffermafsen einen exoterifchen
Charakter. In der Vorrede bemerkt der Verf. felbft, dafs
er eine ausführlichere Darfteilung der Lehre Jefu als eine
befondere Aufgabe betrachte, die er aus dem vorliegenden
Werke ausfeheidet.

Was die Herftellung des äufseren Rahmens feines
Lebens Jefu betrifft, fo glaubt der Verf. wie fchon Mancher
vor ihm, denfelben aus einer Mifchung von johan-
neifchem und fynoptifchen Holze verfertigen zu können,
unbefchadet der Einheitlichkeit des Ganzen. Die Aecht-
heit des 4. Evangeliums fteht ihm nämlich aufser Zweifel.
Sie wird mit den gewöhnlichen Argumenten geftützt.
Was man fchon taufendmal gelefen, bekommt man auch
hier wieder zu lefen. Es mag fein, wie G. will, dafs die
Anficht Jülicher's, welcher in dem 4. Evangelium nur
eine philofophifche Fiction mit religiöfer Tendenz fleht,
fich als völlig unzulänglich erweift, vielleicht dafs auch
die Auffaffung von Holtzmann noch nicht das Wefen
der Sache trifft (cf. p. 73), aber mit feiner Behauptung,
dafs die Präexiftenzausfagen im 4. Evangelium nur ganz
nebenfächliche Bedeutung haben, flöfst der Verf. felbft
kein fonderliches Vertrauen zu feiner kritifchen Einficht
in die Eigenart diefes Werkes ein. Es fehlt ganz die Er-
kenntnifs, dafs daffelbe, wie man auch über feinen ge-
fchichtlichen Werth im Uebrigen denken mag, doch
in erfter Linie kein Gefchichtswerk ift, fondern andere
Zwecke verfolgt. Damit hätten für unferen Verf. gar
manche von ihm als auffällig bezeichneten Erfchei-
nungen (wie z. B. dafs in den 8 Monaten der erften jüdi-
fchen Wirkfamkeit Jefu nur vereinzelte Wunder vorkommen
, während die galiläifche Periode eine Fülle darbietet
, p. 180) ihre Erledigung gefunden.

Ein ,Leichtes' fcheint es G., das fynoptifche Material
in den johanneifchen Rahmen einzugliedern. Das Leben
Jefu bekommt das Ausfehen einer längeren Wirkfamkeit
in Judäa, welche durch mehrere Reifen nach Galiläa unterbrochen
wird. Stöfst die Harmonifirung auf Schwierigkeiten
, ftellt fich heraus, dafs den Synoptikern eine ganze
joh. Periode fehlt (vgl. p. 158), fo hilft man fich mit
der Annahme, dafs Jene eben keine perfönliche Kennt-