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Ausgabe:

1897 Nr. 18

Spalte:

488-491

Autor/Hrsg.:

Milchsack , Gustav (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Historia D. Johannis Fausti des Zauberers 1897

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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487

Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 18.

488

Den gröfsten Raum der Arbeit nehmen aber die ße- :
fprechung und Reproduktion der Schriften Herborn's ein,
welche nach der S. V. gegebenen Aufzählung fich auf
20 gedruckte Werke, meift polemifchen Inhalts, belaufen,
hinfichtlich derer die Nachwelt, auch die eigenen Glaubens-
genoffen Herborn's, fo undankbar war, lie in völlige Ver-
geffenheit gerathen zu laffen, obgleich fie, den Epithetis
zufolge, mit denen fie Schmitt fchmückt, zu den ausge-
zeichnetften Werken jener Epoche gehört haben. Da ift
— wenn wir uns nur auf S. 66—76 befchränken — die
Anordnung des'Stoffes fehr einfach und überfichtlich, die
Schlufsrede markig, die Schrift im Ganzen eine herrliche,
von hohem Redefchwung, eine reichhaltige und geiftreiche
Schrift, welche Herborn's gründlicher theologifcher Bildung,
feiner Belefenheit, feinem fcharfen Denken, feinem aufrichtigen
Streben nach Tugend und Frömmigkeit, feinem
Seeleneifer, endlich auch feiner Gewandtheit in Handhabung
der lateinifchen Sprache rühmliches Zeugnifs giebt, in ge- j
wählter claffifcher Sprache, trefflich fchildernd, und endlich
auch noch die ketzerifcheSchriftauslegung tüchtig geifselnd.
Wahrlich, viel auf einmal! würde jener fagen. Ref. will
zugeben, dafs Herborn, wie dies auch Krafft fchon hervorgehoben
hat, als Polemiker unermüdlich ift; aber bezüglich
des Inhalts feiner Schriften, die Ref. allerdings
nur aus den mitgetheilten Proben kennt, mufs er leider
bekennen, dafs fein Urtheil von dem des Verf. fehr diver-
girt. Als Polemiker zeigt Herborn wenig eigene Gedanken,
die meiften feiner Argumente würden fich wohl bei
andern katholifchen Polemikern jener Zeit aus früheren
Schriften nachweifen laffen. Herborn producirt nicht, er
reproducirt nur. In diefer Beziehung fteht er hinter einem
Eck, felbft hinter einem Cochläus weit zurück. AlsExeget
und in der Anwendung der hl. Schrift leiftet er aber Ungeheuerliches
; wir bitten in diefer Hinficht zu vergleichen,
wie S. 79 die Stellen Matth. 16,24 und Luc. 10,35 ver"
wendet werden; oder wie das Faden (d. h. bei ihm die
Enthaltung von Fleifch) von ihm biblifch begründet wird
mit dem Beifpiel Chrifb, von dem wir nur einmal, nämlich
beim letzten Abendmahl lefen, dafs er Fleifch, oft
aber, dafs er Fifche gegeffen (S. 81); oder wie unter die
ATI. Perfonen, welche Keufchheit gehalten (d. h. wie aus
dem Context klar hervorgeht: in Ehelofigkeit gelebt haben),
Jofeph, Rebekka, Sufanna gerechnet werden. Noch eine
lange Reihe ähnlicher Beifpiele könnten aufgeführt werden.

Auf die einzelnen Schriften Herborn's fpeciell einzugehen
, verbietet uns der Raum. Auch die gerühmtefte
Confutatio können wir davon nicht ausnehmen, da auch
über fie fchliefslich kein anderes Urtheil gefällt werden
kann, als das über feine Schriften im Allgemeinen gegebene
. Nur mit Einer Schrift glauben wir uns zum
Schlufs noch kurz befaffen zu follen, weil fie ihre befon-
deren Erlebniffe hatte, die Schmitt gröfstentheils unbekannt
geblieben find. Es ift diefs die einzige Predigt-
fammlung, die von Herborn erhalten ift: Enarrationes
Evangeliorum per sacrum quadragesimae tempus occurren-
tiiim .... Excusum Antverpiae in officina Michaelis Hillenii
anno 1533. (S. 143). Darin zieht Herborn u. a. auch gegen
die Colloquia des Erasmus los, ,denn in diefen ,vertrauten
Gefprächen' hat Erasmus, ein Menfch, der auch fonft die
ausgelaffenfte Feder führt, nicht fowohl gottlofe, als vielmehr
falfche und offenbare Lügen gegen gewiffe religiöfe
Orden der Kirche ausgeheckt, um zu fchweigen von
feiner Herunterfetzung der kirchlichen Ceremonien. Alles
das kann ein verftändiger Lefer felbft auf feine Wahrheit
prüfen.' (S. 145). Die andern Erasmus angreifenden Stellen
hat Schmitt nicht mitgetheilt. Dafs Erasmus, der fich
durch folche Angriffe aufs fchwerfte gekränkt fand, fich
durch eine wegwerfende Kritik ,rächte' (?) in einem Brief
an Joh. Choler (vom 19. Febr.) 1534, hat Schmitt S. 150
aus Rommel beigebracht; die Briefe des Erasmus felbft
einzufehen, fcheint der Verf. nicht der Mühe werth geachtet
zu haben! Dafs aber Erasmus den Herborn einen
argen Lügner {fortiter mentiens) heifst, qui nihil habet ;

I praeter ineptam loquacitatem, quam tarnen ipsam hausisse
videtur ex meis Lucubrationibus; dafs er ihn befchuldigt,
nur defshalb fo aufgebracht zu fein, weil er in den Col-
loquien den Aberglauben Mancher lächerlich mache, die
meinten, vor Hölle und Fegfeuer ficher zu fein, wenn fie
fich in einer Franziskanerkutte begraben liefsen, mit welchem
Schwindel man der Welt lange imponirt habe; dafs
Erasmus gegen diefen libellus scurrae cujusdam indocti,
insulti, effrontis ac vecordis fogar klagend an den kaiferl.
Kanzler in Brabant, Johann Carandolet, Erzb. v. Palermo,
fich wandte; dafs Letzterer den Weiterdruck, und wenn
diefs Verbot zu fpät komme, den Verkauf des Werkes,
der freilich auch fchon begonnen hatte, unterfagte (daher
wohl auch die S. 143 erwähnte aufserordentliche Seltenheit
des Buches!) und der Drucker Hillenius in Strafe genommen
wurde, weil er ohne Erlaubnifs der Cenfurbe-
hörde furtim das Werk herausgegeben: diefe Umftände
find Schmitt entgangen. Die 6 Briefe aus der Zeit vom
23. Januar bis 22. April 1534, welche diefe Angelegenheit
behandeln, würde er freilich auch in den Epp.Erasm. nicht
gefunden haben, da fie zuerft in einem Briefwechfel veröffentlicht
worden find, der dem Verf. kaum bekannt geworden
fein dürfte, nämlich in: Oläh Miklös levelezese
v. Ipolyi Arnold, Budapest 1875. (T- 25. der Diplom, in
den Monum. Hungar. hist)

Etwas Befchränkung, befonders in der oft nur trocken-
fchematifchen Wiedergabe des Inhalts der Schriften, wäre
doch wohl am Platz gewefen, denn 184, dazu gröfstentheils
noch in Petitfchrift gedruckte Seiten fcheinen bei
der inferioren Bedeutung Herborn's etwas beaucoup de
bruit pour une omelette!

Oberrad. Enders.

HistoriaD. JohannisFausti desZauberers, nach der Wolfen-
bütteler handfchrift nebft dem nachweis eines teils
ihrer quellen hrsg. v. Biblioth. Guft. Milchfack. I. Theil.
[Ueberlieferungen zur Litteratur, Gefchichte und Kunft
hrsg. v. G. Milchfack und P. Zimmermann. 2,1] Wolfenbüttel
, J. Zwifsler 1892—97. (CCCXCIV, 124 S. gr. 8.)

M. 10.—

Solange unfre Litteraturhifloriker der Anficht waren,
dafs die ,HISTORIA von D. Johann Fauften', Frankfurt
a. M. 1587 (Neudr. Halle 1878) einfach das .Volksbuch'
fei, das die im Volke umlaufenden Sagen und Anekdoten
lediglich gefammelt und — recht ungefchickt — zu einer
Lebensgefchichte zufammengeftellt habe, hatte der Theologe
als folcher kein befonderes Intereffe an diefem für
die Litteraturgefchichte fo bedeutfam gewordenen Buche,
mochte man auch immerhin im Compilator einen evgl.
Theologen fehen und von einer ,proteftantifchen Tendenz'
des Autors reden; denn man verftand darunter nichts
anderes, als den unbewufsten Einfchlag proteftantifcher
Gedanken ohne jede beftimmte Abficht. Anders fteht
es, wenn diefe Grundanfchauung erfchüttert wird, wenn
fich das .Fauftbuch' nicht fowohl als eine Sammlung von
bereits umlaufenden Fauftanekdoten, fondern als eine
litterarifche Compofition erweifen follte, für die eine fchon
vorhandene Fauftlegende nur die äufsere Anknüpfung
geboten, deren Stoffe dagegen zum gröfseren Theile von
anderswoher entnommen und erft zu einer Faufthiftorie
geftempelt wurden. Dann erhebt fich nicht nur die Frage
nach den Quellen, mit und nach denen der Verf. arbeitete,
fondern auch die Frage nach feinem Standpunkte und
nach den Tendenzen feines Romans. War es nur das
Vergnügen am Fabuliren und nur die Speculation auf
das Verlangen des Publicums nach dem Graufigen und
Wunderbaren, oder verfolgte er beftimmte lehrhafte, vielleicht
gar kirchlich-polemifche Tendenzen? Ellinger (Zeit-
fchr. f. allg. Litt. Gefch. I) warf die Frage nach noch
andern fchriftlichen Quellen des Fauftbuchs auf. Andere
haben feitdem die Unterfuchungen in diefer Richtung