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Ausgabe:

1897 Nr. 16

Spalte:

439-443

Autor/Hrsg.:

Koch, Emil

Titel/Untertitel:

Die Psychologie in der Religionswissenschaft. Grundlegung 1897

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 16.

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treten die Aufgaben und Schwierigkeiten der Militär-
feelforge hervor. Was aber der ganzen Darfteilung ihren
befonderen Werth verleiht, ift die grofse Perfonalkennt-
nifs des Verf., die ihn befähigt eine ganze Anzahl trefflicher
Charakterbilder, namentlich aus der rheinifchen
Kirche der 50er Jahre (Rofshof, Thielen, Lohmann, Grofs,
Göbel — fie begegnen übrigens faft alle, und zwar in
übereinftimmender Beurtheilung, auch bei Beyfchlag)
feiner eigenen Lebensbeschreibung einzuverleiben. Er
hat namentlich in diefer Beziehung das Verfprechen der
Vorrede, fich felbft hinter den auf fein Leben einwirkenden
Perfonen und Verhältniffen möglichft zurücktreten zu
laffen, durchaus gehalten.

Rumpenheim. S. Eck.

Koch, Dr. Emil, Die Psychologie in der Religionswissenschaft.

Grundlegung. Freiburg i/B., J. C. B. Mohr, 1896.
(146 S. gr. 8.) M. 2.80

Die principielle Tragweite des in diefem Buche behandelten
Themas, das wohl zu den bedeutfamften Fragen [
der Gegenwart auf dem Grenzgebiet zwifchen Philofophie
und Theologie gehört und auch die Theologie mit der
einen neuen Auffchwung nehmenden Pfychologie als
Grundlage der Geifteswiffenfchaften in Berührung bringen
will, mag eine etwas ausführlichere Befprechung desfelben
rechtfertigen. Verfuche einer Beantwortung diefer Frage
liegen auch fonft vor. Vorbrodt hat zuerft in einer
Schrift, die er felbft als programmatisch bezeichnet:
,Pfychologie in Theologie und Kirche?' (1893) die Forderung
einer umfaffenden Verwerthung der Pfychologie
für die Theologie gestellt und diefes Programm mit
feiner ,Pfychologie des Glaubens' (Göttingen 1895) felbft
auszuführen begonnen. Von früheren Arbeiten hat besonders
Reifchle's ,Frage nach dem Wefen der Religion'
(Freiburg 1889) von der methodologifchen Seite, von
neueften O. Ritfehl, ,Ueber Werthurteile' (Freiburg 1895)
durch die Behandlung eines auf der Grenzfeheide beider
Wiffenfchaften liegenden Gegenstandes Beiträge zu diefem
Thema geliefert. Mit allen diefen Autoren fetzt fich der
Verfaffer — wie im Voraus getagt werden darf: nicht ohne
Glück — auseinander. Mit Vorbrodt kommt er in der
energifchen Betonung der grundlegenden Bedeutung der
Pfychologie für die Religionswiffenfchaft überein, ift jedoch
deffen verdienstvoller aber mit Citaten überladener i
und der straffen Einheitlichkeit vielfach ermangelnder
Arbeit in der Weite des Blicks und in der Schärfe der
Beweisführung entfehieden überlegen.

Die ersten beiden Kapitel befchäftigen fich hauptfächlich
mit den Einwänden, welche gegen eine Religions-
pfychologie erhoben werden. Den Grund, warum die
Pfychologie in der bisherigen Religionswiffenfchaft noch
nicht angewandt worden ift, findet der Verf. — in den etwas
gefuchten Ausdruck gegen feine ausgefprochene Abficht
einen Vorwurf hineinlegend — in der ,Knechtung der
Religionswiffenfchaft durch eine ethifche Metaphyfik'.
Die Anhänger der alten überlieferten Formen der Religion
stellten die Widergöttlichkeit der Seele, die vorausgefetzten
Welten des Guten und Böfen anftatt der Be-
wufstfeinserfcheinungen felbft in den Vordergrund. Der
Verf. gefteht jedoch zu, dafs in den letzten Jahren
Theologen häufig auf die Bedeutung der Pfychologie
geftofsen feien. Aber ihr Werth fei zu gering ange-
fchlagen worden. Man habe die Verwendung der Pfychologie
nur für das Verftändnifs der religiöfen Vorgänge
nach ihrer formalen Seite gelten laffen wollen. Er
geht dabei insbefondere näher ein auf Reifchle's Be-
fchränkung der Aufgaben der Pfychologie auf 1. die
möglichft deutliche Bezeichnung der verfchiedenen Arten
des feiner felbflbewufsten Ich unter Abfehen von dem
qualitativ verfchiedenen Vorftellungsinhalt und von jedem
inhaltlich bestimmten Zweckgedanken, alfo nur in Beziehung
auf Gegenstände überhaupt oder nach ihrer
formalen Seite, 2. die Verdeutlichung ihrer Beziehungen
zwifchen diefen Lebensbethätigungen und 3. die Ün-
terfuchung der Einheit des Ichbewufstfeins. (S. 12 ff.)
Wenn der Verf. aus dem gefchichtlich mit diefer Un-
terfcheidung von Stoff und Form eng zufammenhän-
genden Gegenfatz von Sinnlichkeit und Verstand auch
hier eine ,Knechtung' der pfychologifchen Untersuchung
durch eine metaphyfifche Anficht vom Zustandekommen
der Erfahrung konftruirt, fo hat er damit die Meinung
feines Gegners wohl nicht getroffen. Dagegen kann
Ref. nicht umhin, dem weiteren Nachweis des Verf. in
Betreff der Unnahbarkeit diefer Abgrenzung der Pfychologie
gegen die Religionswiffenfchatt nach dem Schema:
Stoff und Form zuzustimmen, wenn er fagt: ,die Gefetze
treten zwar in ,formaler' Geflalt, in Gestalt einer abgezogenen
Formel auf. Aber fie find ja nur entstanden aus
der Betrachtung einer ganz concreten, individualifirten
Hewufstfeinserfahrung. Das Gefetz ,exiftirt' auch gar nicht
anders als in Beziehung auf die concreten Erfahrungen'.
,Man identificirt gern das Allgemeine, welches vom
Gefetz angestrebt wird, mit dem Formalen; man identificirt
gern das von mehreren Erfcheinungen abftrahirte
mit dem vom .Inhalt' abftrahirten' (S. 15 f. 17). Die
letztere Bemerkung ift m. E. für die Bestimmung des
Verhältniffes der Pfychologie zur Religionswiffenfchaft,
wie auch zu den übrigen Geifteswiffenfchaften, ausfchlag-
gebend. Thatfächlich gegeben find nur die einzelnen
Bewufstfeinserfcheinungen, darunter die im Sprachgebrauch
als religiös, als christlich bezeichneten, die als
folche eine ungezwungene Scheidung zwifchen Form
und Inhalt nicht zulaffen. Ihre Verarbeitung führt, wie
alles wiffenfehaftliche Denken, zu allgemeinen Begriffen
und Gefetzen, deren allgemeinste — jedoch in steter
Fühlung mit der Einzelerfcheinung — die Pfychologie
feftzuftellen fucht.

Einen weiteren Vorwurf, welcher der Religionspfycho-
logie gemacht wird: dafs fie in den Abgrund des Sub-
jectivismus hineinführe, weift der Verf. mit einer Ausführung
darüber zurück, dafs fich darin die in der ,reinen
Erfahrung' fich nicht findende metaphyfifche Voraus-
fetzung eines Gegenfatzes zwifchen Subjectivcm und Ob-
jectivem, zwifchen Immanentem und Tranfcendentem ver-
rathe. Mit diefem Gegenfatz — fagt er mit einem etwas
mifslungenen Bilde — ,(tecken wir in einer Sackgaffe,
aus der wir mit heiler Haut nicht mehr herauskönnen'
(S. 20). Nicht viel glücklicher ift die damit zufammen-
hängende Polemik gegen Natorp, der wegen einiger
Sätze feiner .Religion innerhalb der Grenzen der Humanität
' (1894) als .Subjectivift' und .Objectivationstheoretiker'
aufgeführt wird (S. 29) und doch als folcher nicht gelten
foll (S. 30 unten. Vgl. auch Natorp's Erwiderung in der
Befprechung des vorliegenden Buches Archiv für fylt.
Philof. III, 2IOf.).

Eine Grundlage für die pofitive Bestimmung der
Aufgaben der Religionspfychologie wird unter Leugnung
eines befonderen ,Ichbewufstfeins' im Gegenfatz
zu feinem Object durch eine Begriffsbestimmung der
Pfychologie gewonnen, wonach diefe nur nach dem
.Etwas' und der ,Art und Weife feines Bewufstfeins' zu
fragen hat (S. 52). Dem entfprechend wird als erste Aufgabe
der Religionspfychologie bezeichnet: ,die Sammlung
aller Etwas, die jemals das Prädikat religiös erhalten
haben, unter den pfychologifchen Gefichtspunkt'
(S. 45 f.). Dazu kommt als zweite Aufgabe die Untersuchung
der ,Zufammengefetztheit' der pfychologifchen Erfahrung
z. B. der Complicationen von Vorstellung und Gefühlen
, wie fie in reichem Maafse bei Buddhismus, Muham-
medanismus, Mystik jeder Art fich finden, oder derjenigen
von Vorstellungen, Gefühlen und Wollungen, wie fie in
der christlichen Religion etwas Gewöhnliches feien. Als
concretes Beifpiel hierfür wird erwähnt: ,Der Entfchlufs,
demüthig zu werden im Hinblick auf den leidenden