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Ausgabe:

1897 Nr. 1

Spalte:

26-27

Titel/Untertitel:

Evangelischer Katechismus. Hrsg. von der Bezirkssynode Wiesbaden 1897

Rezensent:

Bornemann, Joh.

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. I.

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liegenden Principien um fo leichter und ficherer gefunden
werden könnten, dafs aber von den Autoritätsmethodikern
die Principien der gefammten Ethik nicht gefunden
find oder man fie von den Philofophen entlehnt
hat. S. 97 wird gefagt, dafs die principielle oder allgemeingültige
Wahrheit erft durch Vergleichung der
Schrift mit Schrift und durch Berichtigung der Sache
in natura, alfo durch wiffenfchaftliche Forfchung ermittelt
werden mufs. S. 196* lefen wir, dafs das Chriftentum
der einflufsreichfte Faktor zur Förderung der rationellen
Forfchungsmethode gewefen ift; S. 18 und 194, dafs die
jetzige Vollendung der principiellen Ethik auf dem
Boden des Chriftentums zu Stande gekommen ift, weil
die Ethiker an den praktifchen Weifungen des Neuen
Teftaments ein Correktiv (vgl. S. 98) hatten, woran fie
die auf rationellem Wege gefundenen Principien prüfen
konnten. Endlich fchreibt Dörpfeld S. 230/1, gefetzt,
dafs ohne das Chriftentum die rationelle Forfchung nicht
zum Ziele hätte kommen können, warum follte fie es
nicht können, nachdem es da ift? ,Es kommt ja nur
darauf an, dafs ein Einziger da ift, der die wahren Kennzeichen
des Sittlichen fehen kann. Hat er fie gefehen,
fo kann er fie auch anderen weifen; und mehr als weifen
ift nicht nöthig, denn für das Beweiben, für die Evidenz,
hat hier der Schöpfer felber im Voraus geforgt.'

Nach diefen Stellen mag man urtheilen, ob Dörpfeld
das Verhältnifs der rationellen Ethik zur biblifchen
Offenbarung klar gemacht und ob er die Aufgabe der
Theologen für die Ethik widerfpruchslos beftimmt hat.
Was theologifche Ethik ift, fcheint er nicht gewufst zu
haben, ebenfowenig, dafs die Theologie ihre apologetifche
Aufgabe nicht verfäumt, auf ethifchem Boden mit den
der Kirche Entfremdeten Fühlung zu fuchen. Sie bildet
fich freilich nicht ein, dafs die Ethik an wiffenfchaftlicher
Evidenz hinter der Mathematik nicht zurückfteht (vgl.
S. 250). Weil die Theologie nicht die Handvoll Her-
bartifcher Mufterideen als Panacee verfchluckt, räfonnirt
Dörnfeld auf fie, wie man das von den Herbartianern
gewöhnt ift. Sie kann es ablehnen, feine Ausführungen
als eigenartigen BufsruP, wie der Herausgeber fagt, zu
würdigen.

Oder nöthigt fie der übrige Inhalt des Buches, fich
dem Bakel bufsfertig zu beugen? Es behandelt nämlich
zweitens das falfche Dogma von der moralifchen Pflicht
des Glaubens. Hier machen ,die geheimen Feffeln der
Theologie' den Lefer grufelig. Er bekommt natürlich
Servet zu riechen und die antikalviniftifchen Scharteken
des fiebzehnten Jahrhunderts fliegen ihm an den Kopf.
Ein billiger SpukI Dann mufs er feichte kirchenpolitifche
Partien durchwaten, bis endlich die Frage auftaucht, wie
es heutzutage in der proteftantifchen Kirche mit jenem
Dogma fteht. Die Antwort lautet, dafs es darin noch
immer factifch herrfche, teils als anerkannter Grundfatz,
teils in feinen nicht erkannten Nachwirkungen. Dörpfeld
beruft fich auf folgende Facta: die Zweifler fcheuen fich
in noch kirchlichen Kreifen, ihre Bedenken laut werden
zu laffen; die konfervativen Theologen gebrauchen noch
die Formel vom Gefangennehmen der Vernunft unter
den Gehorfam des Glaubens; andere Theologen reden
wenigftens noch vom ,kindljch glauben' und handeln
practifch fo wie diejenigen, welche jenes Dogma grund-
fätzlich noch fefthalten. Sie dulden nämlich eine grofse
Lücke in den Lehreinrichtungen der Kirche. Es fehlt
neben den Predigten und Bibelftunden an ftreng lehrhaften
Vorträgen in geordnetem Lehrgange, worin die
Sitten- und Glaubenslehre fortgefetzt rationell begründet
wird. Dörpfeld's Forderung diefer Lehrkurfe erklärt fich
aus feinem mafslofen Intellektualismus, den er in einer
Unterfuchung der pfychologifchen Natur des religiöfen
Glaubens vertritt. Zu ihr hat der Herausgeber am
Schlufs des Buchs eine prophylaktifche Anmerkung gemacht
, worin er fagt, es wäre zur angemeffenen Klar-
ftellung aller der grofsen hier in Betracht kommenden

Fragen nicht eine Anmerkung, fondern eine befondere
Abhandlung notwendig. Das findet auch der Recenfent
und bricht ab.

Wer dies Buch lieft, wird bald verfucht, es fich dadurch
genufsreich zu machen, dafs er fich nur ergötzt
an dem reformatorifchen Selbftgefühl des Verfaffers
(vgl. z. B. S. 36), an feinem Meifterbewufstfein gegenüber
den Theologen, an feiner Verhimmelung Herbart's, an
feiner lächerlich breiten Schreibweife, der Vorliebe für
kindliche Beifpiele (vgl. z. B. S. 12. 176. 182. 205. 209) u. ä.
Nicht das de mortuis hält uns davon zurück — dies
Privileg hat verfcherzt, wer letztwillig verfügt, dafs die
Theologie nach feinem Tode von ihm vapulire—, fondern
einige gehaltreichere Darlegungen, auf die man ftöfst.
Aus feiner Unterfuchung der pfychologifchen Natur des
Glaubens kann man doch etwas lernen.

Leipzig. K. Thieme.

Evangelischer Katechismus. Herausgegeben von der Be-
zirksfynode Wiesbaden. Wiesbaden, Verlag des
Geiftlichen-Witwen- und Waifenfonds, o. J. (62 S. 8.)

Der Katechismus, den die Bezirksfynode Wiesbaden
für den Bezirk der ehemaligen Naffauifchen Landeskirche
herausgegeben hat, folgt den Unionskatechismen, die den
Heidelberger Katechismus mit mancherlei Abänderung
zu Grunde legen und zugleich Luther's Katechismus
vielfach benutzen.

Im I. Theile, von des Menfchen Sünde und Elend,
wird das Gefetz bereits eingehend behandelt, und zwar
grofsentheils an der Hand von Luther; im 2. Theile, von
des Menfchen Erlöfung, fallen die Sacramente aus und
treten in den 3. Theil, von dem neuen Leben des Er-
löften, über. Es ergeben fich fo die 6 Hauptftücke: das
Gefetz Gottes, die Sünde des Menfchen, der Glaube, die
Nachfolge Chrifti, die Gnadenmittel, das Gebet. Es
bleibt bei diefer Anordnung immer der bedenkliche
Uebelftand, dafs das I. und das 4. Hauptftück fich im
Wefentlichen decken, man mag es noch fo gefchickt
wenden. Es ift der eigentliche Unterfchied nur der Ge-
fichtspunkt, unter dem das Gefetz betrachtet wird, als
Mittel der Sündenerkenntnifs oder als Wegweiser zur
Nachfolge Chrifti. Die ausführliche Befprechung des Ge-
fetzes hier im 1. Hauptftück Hellt die Erkcnntnifs der
Sünde als Zweck des Gefetzes entfehieden in den Vordergrund
. Der Heidelberger Katechismus hatte doch
mit weifer Abficht die ausführliche Befprechung in den
3. Theil gefetzt. Der Lutherifche (teilt zwar das Gefetz
voran, allein gewifs nicht unter dem alleinigen Gefichts-
punkt, dafs es die Erkenntnifs der Sünde wirke, fondern
zugleich und ftärker unter dem, dafs es zeige, was wir
thun und laffen follen. Ich glaube nicht, dafs die Com-
bination, wie wir fie in den 6 Hauptftückcn haben, glücklich
ift. Es wird an dem beregten Punkte immer Wiederholungen
und leicht Verwirrungen geben. Jedenfalls
müfste auch beim 1. Hauptftück der pofitive Zweck des
Gefetzes klar und mit Nachdruck hervorgehoben fein.

Ein anderer Mangel fcheint mir der, dafs die Frage
des Heidelberger Katechismus, was ift wahrer Glaube,
nicht an ihren urfprünglichen Platz vor das Glaubensbekenntnis
geftellt ift, fondern hinter den 3. Artikel.
So bleibt die nicht zu unterfchätzende Gefahr, dafs der
wichtige und durchfchlagende Gedanke, Glauben bedeutet
vor Allem Vertrauen, gewiffermafsen im Anhang nachkommt
, da er doch die ganze Ausführung beherrfchen
sollte.

Die Fragen des Katechismus find fcharf und klar,
die Antworten deutlich und beftimmt. Der Abweichungen
vom Wortlaut des Heidelberger Katechismus find viele,
zum grofsen Theil dahin zielend, theologifche Schärfen
zu mildern. Die Hereinziehung von Stücken des Luthe-
rifchen Katechismus in diefen Unionskatechismus, z. B.