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Ausgabe:

1897 Nr. 16

Spalte:

436-437

Autor/Hrsg.:

Humboldt, Alexander von

Titel/Untertitel:

Jugendbriefe an Wilhelm Gabriel Wegener 1897

Rezensent:

Eck, Samuel

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 16.

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jenige der Reformationszeit in dem Satz: , Tkey were not
the highest models of the füll joyousness of the Christian
life and the sense of liberty in bondage of faith, found
in Chrisfs Service, such as the first period of the Reformation
produccd''. Fritfchel hat jeden diefer fcharfpoin-
tirten Ausdrücke abgefchwächt und im Ganzen das genaue
Gegentheil gefagt: ,Sie waren die beften Beifpiele
für die Freuden des chriftlichen Lebens und für das
Bewufstfein der Freiheit in den Banden Chrifti, die
fie im Dienfte Chrifti gefunden, fo wie wir fie auch im
Zeitalter der Reformation finden'. (S. 188).

Doch der Verf. will ja keine blofse Ueberfetzung
bieten. Er hat feine Vorlage durch Auslaffungen, Zu-
fätze, in der Anordnung des Stoffes wiederholt geändert,
feiten mitGlück. Die Ueberfchriften und Capiteleintheilun-
gen flammen faft durchgängig von ihm. Aber die Zer-
theilung des Stoffes in ganz kleine Abfchnitte von oft
kaum 2—3 Seiten ift ganzgefchmacklos. In der Gefchichte
der Salzburger zerreifst eine Ueberfchrift ein durch
1 Y2 Seiten fortlaufendes Citat aus Bancroft's Gefch.d. V.St.
InderDarftellungvonMühlenberg'sBeziehungenzu anderen
kirchlichen Gemeinfchaften befpricht der Verkauf 8 Seiten
unter 2 das ,Verhältnifs zu den Bifchöflichen' unter 3 ,Vereinigungsgedanken
' mit denfelben; unter 4 ,bifchöfliche
Ordination', als ob nicht das Alles aufs engfte zufammen-
gehörte. Zum Verdienft rechnet er es fich an, dafs er Alles
auf die Holländer, Schweden, füdlichc Lutheraner Bezügliche
je an einem Ort zufammengeflellt d. h. aber aus
dem gefchichtlichen Zufammenhang herausgeriffen hat.
Daraus folgt dann z. B., dafs Mühlenberg's Wirkfamkeit
S. 78 ff. bei den Schweden 118 f. bei den Salzburgern
vorausgefetzt werden mufs, umgekehrt, dafs Wrangel's
Bedeutung doch erft I70ff. verftändlich wird. Kleine
Auslaffungen find oft fehr wenig angebracht. S. 15 liegt
gerade die Pointe des Citats in den übergangenen Worten
: ,to abstain from the erroneous and highly pernicious
Calvinistic Religion. S. 50 ift zu den ,Befchlüffen des
Concils' zu ergänzen ,von Upfala' S. 120 fallen Jacobs'
Ausführungen über die K. O. der Salzburger fort und
doch bilden diefelben ein wichtiges Glied in einer Kette
von Nachweifungen über die Abhängigkeit der Kirchen-
verfaffung der Amer. Lutheraner, fpeciell bezüglich der
Laien-Aelteften, von den K. 00. der Londoner und
Amfterdamer Lutheraner, alfo wenigftens mittelbar von
reformirten Einflüffen. (Jacobs S. 15). Auch in der bis
zu einem magern Gerippe abgekürzten Einleitung find
die betreffenden Ausführungen von Jacobs kaum wiederzufinden
. (Aber f. S. 6. 98. 168. 174. 176.). S. 125 fehlen
die gerade für deutfehe Lefer intereffanten Worte: The
Governor of Pennsylvania wrote a few years later: The
Germans imported all the religious zvhinisies of their
country and I believe have subdivided since their arrival
here1 [Govern. Thomas to the bishop of Exeter, Perry,
Papers rel. to the hist. of the Ch. of Pennsylv. 256.). —
Die Zufätze des Verf.'s beftehen zumeift in längeren Anführungen
aus Gräbner's Gefch. d. luth. K. in Am. (1892),
die nur etwas weitläufiger daffelbe fagen, wie Jacobs.
Nur einmal, foviel ich fehe, giebt der Verf. Eigenes, S. 35—39
wird ein Brief von Juftus Falckner (geft. 1723) mitge-
theilt, der fich in einem Sammelband der Roftocker
Univcrfitätsbibliothek findet.

Alles in Allem kann ich nur mein Bedauern aus-
fprechen, dafs die treffliche Arbeit von Jacobs (f. Th. L. Z.
1895, S. 188.) einen fo wenig competenten Ueberfetzer
gefunden hat. Das auszufprechen nötigt fowohl die Widmung
an einen deutfehen Profeffor (D. Seeberg) als das
ziemlich hochtrabende Vorwort. Wollen die Lutheraner
Nord-Amerikas uns mit unferm Staatskirchenthum über
die nächflen Aufgaben des Lutherthums belehren, fo
müffen wir bitten, das in einer Weife zu thun, die untrer
alten Vorliebe für wiffenfehaftliche Gründlichkeit und
unfern zunehmenden Anforderungen an literarifchen Ge-
fchmack entfpricht. Hoffentlich gefällt es dem Verf., den |

zweiten Theil feiner Arbeit vor der Veröffentlichung
einer gründlichen Revifion zu unterziehen.

Rumpenheim. S. Eck.

Humboldt's, Alexander v., Jugendbriefe an Wilhelm Gabriel
Wegener, herausgegeben von Albert Leitzmann.
Leipzig, G. J. Göfchen, 1896. (IX, 126 S. 8.) M. 2.50

Die fechzehn hier mitgetheilten Jugendbriefe AI. v.
Humboldt's find in der Zeit vom 8. Mai 1788 bis 23. September
1790 gefchrieben. Sie find von Julius Löwenberg
in der .monumentalen' Bruhns'fchen Biographie des
grofsen Gelehrten (Bd. I, S.63—102 und 286—289) bereits
ausgebeutet und z. Th. im Wortlaut veröffentlicht. Immerhin
ift es dankenswerth, dafs fie nun vollftändig vorliegen,
und zu bedauern nur, dafs der Herausgeber nicht für
gut befunden hat, auch alles übrige, nicht fehr umfängliche
Briefmaterial aus der gleichen Zeit mit dem Gebotenen
zu vereinigen. Für den Leferkreis diefes Blattes
bieten die Briefe mancherlei Intereffantes. Der Adreffat
derfelben ift ein Theologe — ftud. in Frankfurt a./O.,
wo ihn Humboldt 1787 kennen lernte; dann Feldprediger
in Berlin, Oberpfarrer in Züllichau, 1)1837. Eine fchwär-
merifche Freundfchaft verbindet Humboldt mit ihm, um
fo fchwärmerifcher, als manchen Andeutungen zufolge
(S. 64. 75; vgl. Bruhns-Löwenberg I, S. 20. 49. 182) das
Gefühlsleben des Knaben im Elternhaufe ziemlich leer
ausgegangen zu fein fcheint. Ganz allgemeine Bildungsideale
beherrfchen den brieflichen Gedankenaustaufch.
Naturwiffenfchaftliche Intereffen flehen Wegener offenbar
fern. Hingegen geht Humboldt ausführlich auf
theologifche Fragen, kirchliche Ereigniffe und Perfonen
ein. Eigentlich religiöfe Stimmungen und Motive findet
man kaum. Man kann wohl auch beobachten, dafs es,
trotz der Berührung mit den Berliner Kreifen der
Henriette Herz und Mendelfohn's, weniger die neuen
I (Goethe'fchen) Ideale als die der älteren Aufklärung find,
die die Stichworte abgeben (vgl. S. 55 den fpöttifchen
Bericht über . K. Ph. Moritz, der in Berlin Goethe'fche
Naturanfchauungen vorträgt). Nimmt man hinzu, dafs es
die Jahre der Wöllner'fchen Edicte find, fo begreift fich,
dafs gelegentlich fchon der Ton der fpäteren Briefe an
Varnhagen anklingt. Der geiftliche Stand, ,wenn er
gleich im Ganzen eine Plage der Menfchheit gewefen
ift, hat doch die höchfte Beförderung menfehlicher Glück-
feligkeit zum Zweck'. Je mehr Du Aberglauben, Ver-
ftellung, Scheinheiligkeit und wie die geiftlichen Tugenden
alle heifsen, durch deine Mitbrüder predigen hörft,
defto gröfserer Reiz für Dich, gegen fie anzuflehen'.
,Eine Predigt fcheint mir überhaupt eine unglückliche
Idee zu fein. Die befte ift wie ein Kleid aus Blenheim (-ham?)
Street, das allen Käufern paffen foll und darum allen
unbequem ift'. Dazu allerhand Einzelzüge und kecke
Urtheile über Zöllner in Berlin, Löffler in Frankfurt und
Gotha, Michaelis, Eichhorn, Spittler in Göttingen, Jeru-
falem in Wolffenbüttel. ,In Jena werden publica in den
Ferien über die Unmöglichkeit der Wunder gelefen',
womit Humboldt fehr einverftanden ift, da er felbft Wunder
auf vierfache Weife widerlegen zu können fich anheifchig
macht. Endlich fei noch der hübfehe Bericht über einen
Befuch in der ,neuen Colonie von Herrnhutern Gnadau'
erwähnt: ,So grofs auch meine Erwartungen davon
waren, fo fand ich fie doch übertroffen. Die Bauart der
Häufer, ihre Reinlichkeit, die Sorge für ihre Erhaltung,
die Armenpflege, die Induftrie der Einwohner, alles, die
ganze Einrichtung der Colonie ift ein Ideal eines kleinen,
wohlgeordneten Staats. Göttingen, eine Univerfität i. e.
Vernunfthaus (wo die Vernunft zu holen ift, füllte fie
billig wohnen), wo vielleicht 6mal Phyfik gelefen wird,
hat felbft auf feiner Bibliothek gar keinen Abieiter
(Blitzableiter vgl. Biographie I, 47.) — und Gnadau, eine
Colonie abergläubifcher Schwärmer hat deren 5, obgleich