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Ausgabe:

1897 Nr. 1

Spalte:

22

Autor/Hrsg.:

Baur, August

Titel/Untertitel:

Die Weltanschauung des Christentums. 2. Aufl 1897

Rezensent:

Ritschl, Otto

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 1.

22

wefens vollzogene Hellenifirung des Gedankens Jefu vorliegt
; auch was über das vierte Evangelium geboten
wird, fcheint mir im Verhältnifs zu anderen Partien etwas
dürftig. Immerhin werden die künftigen Bearbeiter an
diefer nach vielen Seiten hin anregenden Schrift nicht
vorbeigehen dürfen.

2) Die Schrift von Holtzheuer ift der zunächft in der
Evangelifchen Kirchenzeitung (1896, Nr. 21—27) zum Abdruck
gebrachte, bei der Ofterconferenz d. J. in Gnadau
gehaltene, aber an einer Anzahl von Stellen noch erweiterte
Vortrag. ,Die Abficht bei der Behandlung des
Gegenftandes war und ilt die, namentlich Geiftlichen, fo-
fern fie nicht in der Lage find, die in Betracht kommende
Literatur (ich felbft zugänglich zu machen, einige
Orientirung über den gegenwärtigen Stand der Sache
und zwar vom pofitiven Standpunkte aus, zu verfchaffen.'
Ein beträchtlicher Theil des Vortrags ift der Prüfung der
Anflehten Harnack's (S. 2—14), Spitta's (14—23), Jülicher's
(23—25), Haupt's (25—34), gewidmet; die Schlufsfeiten
befchäftigen fich mit Grafe's, Schulzen's und Hoffmann's
Hypothefen (S. 68—73). Obgleich der Verf. fich in
biblifch-theologifche und exegetifche Erörterungen ein-
läfst, fo ift doch fein Intereffe nicht ein hiftorifches,
fondern ein dogmatifch.es; er arbeitet im Dienfte des
modernen, d. h. nicht reformatorifchen in den Bekennt-
niffen bezeugten, fondern theofophifch angekränkelten,
mit der fchwarmgeifterifchen Myftik verwandten Lutherthums
. ,Eine völligere Form der Affimilation von Stoffen
gibt es für das leibliche Leben nicht, als Effen und
Trinken. Und eine völligere Form der Affimilirung
gibt es auch für das geiftliche Leben nicht, als eine
folche, bei welcher die Seele die reichen Güter des Haufes
Gottes und namentlich die fonderlichen Gaben, die der
Tifch des Herrn bietet, in fich hinein ifst und trinkt.
Dies ift die Verwandlung Chrifti in die Chriften, bei
welcher fie, wenn in tieffter Demuth, mit einem in
Sprüngen gehenden Herzen fagen können: Ich lebe, doch
nun nicht ich, Chriftus lebt in mir. . . . Die Natur, wie
fie aus der Schöpferhand Gottes hervorgegangen ift,
fpricht ihr Wort, und zwar ein bedeutfames Wort, beim
Abendmahl mit. Organifche Schöpfungsprodukte, von
Erde genommen, find Brod und Wein, beftimmt, dem
Menfchen, der auch von Erde genommen ift, dazu zu
dienen, dafs er fortgefetzt von Erde genommen werde.
Was fie von der Erde haben, ift in ihnen als organifches
Gebilde verwandelt in eine höhere Art irdifchen Däferns
, und dennoch bleibt in ihnen das Erdig-Elementare
. . . Einft wird es zu einer vollkommenen Vermählung
von Geift und Natur kommen. Dafs diefe vollkommene
Vermählung bevorfteht, dafür enthält das von
dem Herrn im Zufammenhang mit feinem zum erften
Abendmahl der Gemeinde Jefu Chrifti gewordenen letzten
Mahle gefprochene Wort vom Gewächs des Weinftocks
prophetifche Zeugnifs- und Zeugungskraft.' Solche
Redensarten nennt man in gewiffen Kreifen .tiefer graben.'
Wer fich dagegen unterwindet, in nüchterner, gewiffen-
hafter Arbeit, die urfprüngliche Abficht des das letzte
Mahl mit feinen Jüngern feiernden Herrn feftzuftellen
und auf Grund diefer hiftorifchen Unterfuchung, unfere
Abendmahlsfeier nach der Handlung und dem Worte
Chrifti felbft zu geftalten fucht, der ift ein Rationahft.
Es ift nur fchade, dafs unfere Reformatoren gleichfalls
unter das Verdammungsurteil der .Gläubigen' fallen:
,Iam missa, quanto vicinior et sivülior primae ommum
mtssae, quam Christus in coena fecit, tanto christianior',
fagt bekanntlich Luther. Und Melanchthon: ,/dem ef-
feettts est verbi et ritus, sicut praeclarc dictum est ab
Augustino, sacramentum esse verbum visibile, quia ritus
oculis aeeipitur, et est quasi pictura verbi, idem signi-
ficans, quod verbum. Quare idem est utriusque effectus.'
Die Decke liegt eben für gewiffe Leute auch auf der
Lefung der Schriften Luthers.' Warum hat doch Ritfehl

diefe im Jahre 1874 niedergefchriebenen Worte aus feinen
zwei folgenden Auflagen geftrichen?

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Baur, Dek. D. Aug., Die Weltanschauung des Christentums.

2. Aufl. Blaubeuren, Mangold, 1896. (VIII, 271 S. 8.)

M. 2. -

Das vorliegende Alexander Schweizer gewidmete
Buch ift zuerft 1880 erfchienen und nun in zweiter (Titel-)
Ausgabe wieder herausgegeben. Aufser der Einleitung
und dem Schlufs umfafst es folgende Capitel: 1) Der
allgemeine Begriff der Weltanfchauung; 2) Charakteriftik
und Beurtheilung der Einwürfe des modernen Zeitbewufst-
feins gegen die Religion und religiöfe Weltanfchauung;
3) Möglichkeit und Nothwendigkeit einer idealen, über-
finnlichen Weltanfchauung; 4) Die überfinnlich-ideale
Weltanfchauung nach ihrem Wefen und in ihrem Ueber-
gang zur religiöfen Weltanfchauung überhaupt; 5) Die
Weltanfchauung des Chriftenthums. Da diefe auf breiter
Grundlage beruhende Apologie der chriftlichen Weltanfchauung
bereits nach ihrem erften Erfcheinen in der
Th. L.-Z. eingehender gewürdigt worden ift, genügt es,
jetzt noch einmal auf die umfichtigen, befonnenen und
gehaltvollen Ausführungen des gelehrten Herrn Ver-
faffers nachdrücklich aufmerkfam zu machen.

Bonn. O. Ritfchl.

Balfour, Arth. James, Die Grundlagen des Glaubens. Einleitende
Bemerkungen zum Studium der Theologie.
Genehmigte Ueberfetzung und Geleitwort von Alb.
Rob. Koenig. Bielefeld, Velhagen & Klafing, 1896
(XXIV, 359 S. 8.) Geb. M. 5.-

Es verdient gröfste Bewunderung, dafs der mitten
in der grofsen Politik flehende, vielbefchäftigte englifche
Staatsmann feine Mufse der eindringenden Befchäftigung
mit den Grundlagen der philofophifchen und religiöfen
Weltanfchauung widmet und dafs er mit feinem lebhaften
Intereffe für diefes Problem den Freimuth verbindet, das
auf diefem Gebiete als richtig und wichtig Erkannte auch
fchriftftellerifch zu vertreten.

Das Werk foll „keine Apologetik im landläufigen
Sinne" fein (S. XIX) und ift das auch nicht. Die theo-
logifchen Lehrfätze werden nicht einzeln vorgenommen
und gegen Einwürfe vertheidigt. Wohl aber wird die
Berechtigung derjenigen Gefammtanfchauung, welche in
der Gegenwart die wichtigfte Gegnerin der chriftlichen
ift, geprüft und auf Grund diefer Kritik eine Erweifung
der Ueberlegenheit der chriftlich-religiöfen Gefammtanfchauung
erftrebt. Der Verf. betrachtet diefe Unterfuchung
der wiffenfehaftlichen Berechtigung der chriftlichen
Anfchauung im Ganzen, unter deren Vorausfetzung
dann erft die einzelnen chriftlichen Lehren zu entwickeln
find, als eine Arbeit, die nicht der Theologie felbst zugehört
, fondern zur Einleitung in ihr Studium dient.
,Der entfeheidende Kampf um die Theologie wird aufser-
halb ihrer eigenen Grenzen durchgefochten. Nicht über
rein religiöfen Streitigkeiten wird die Sache der Religion
verloren oder gewonnen. Die Urtheile, die wir uns über
ihre befonderen Probleme bilden, werden gewöhnlich
durch unfere allgemeine Weltanfchauung feftgeftellt.
Diefe Anlchauung wird aber — foweit Argumente lie
überhaupt beftimmen — von fo umfallenden Argumenten
beftimmt, dafs nur in den wenigften Fällen die Theologie
mehr Eigenthumsrecht auf fie beanfpruchen kann, als
die Philofophie der exaeten Wiffenfchaft oder die Ethik'
(S. XVIII f.).

Die gegnerifche Weltanfchauung, mit der fich der
Verf. zwar nicht ausfchliefslich, abervorzugsweife ausein-
anderfetzt,ift die empiriftifch-naturaliftifche,gemäfs welcher