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Ausgabe:

1897 Nr. 14

Spalte:

393-395

Autor/Hrsg.:

Beyschlag, Willibald

Titel/Untertitel:

Aus meinem Leben. Erster Theil. Erinnerungen und Erfahrungen der jüngeren Jahre 1897

Rezensent:

Eck, Samuel

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393 Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 14.

394

Alfred Holder, deren Text die ältefte, wenige Jahre
nach Baeda's Tode gefchriebene Handfchrift (Cambridge
Kk 5, 16, von Bifchof Moore der Univerfitätsbibliothek
vermacht, bei Plummer mit M bezeichnet) zu Grunde
lag. Neues Material aus den Handfchriften hatte Holder
nicht verwerthet, vermuthlich weil er fich mit Recht bei
M als der ,mafsgebenden' Handfchrift beruhigen zu
können glaubte. Plummer hat nun das Material von
Neuem durchgeprüft und aufser den vier älteften Handfchriften
. von denen eine {Natnur, Bibliotheque de la Ville
2 saec. VIII) fich als werthlos erwies, viele fpätere (man
zählt im Ganzen etwa 140) collationirt. Als Refultat ergab
fich, dafs zwar M nach wie vor in erfter Linie zur
Herftellung des Textes heranzuziehen ift, dafs aber daneben
zwei andere Handfchriften des 8. Jahrhunderts:
Tiber. A. XIV zu Cotton (= B) und vor Allem Tiber.
C. II ebenda (= C) nicht vernachläffigt werden dürfen.
Cod. C ift ein von M unabhängiges Manuikript, das eine
zweite, noch auf Baeda zurückgehende Ausgabe der
Kirchengefchichte repräfentirt: fchlofs Baeda feine Arbeit
731 ab und endigt mit diefem Datum auch die den
Schlufs des Werkes bildende chronologifche Ueberficht
in M, fo find in C die Annalen für 733 und 734 hinzugefügt
, und gewiffe, freilich unbedeutende Spuren im
Text weisen darauf hin, dafs es fich in C wirklich um
eine fpätere Recenfion handelt.

Wir überladen Sachverftändigeren die Prüfung von
Plummer's Aufftellungen über die Gruppirung der einzelnen
Handfchriften und und heben als Verdienfte feiner
Ausgabe hervor: einmal die grofse Sorgfalt, mit der im
Texte durch fchrägliegende Typen die Stellen kenntlich
gemacht werden, an denen Baeda älteres Quellenmaterial
reproducirt. Auch wer fich in diefem Material nicht
felbftändig umgefehen hat, ift nunmehr in den Stand gefetzt
. Baeda's Eigenthum von den vielen compilatori-
fchen Notizen zu unterfcheiden, die fich durch fein ganzes
Werk, befonders aber die erften Bücher hindurchziehen.
Ein weiteres Verdienft ift der eingehende fachliche, durchaus
auf felbftändige Studien gegründete Commentar und
endlich der treffWche Index nominum locorum rerunt. Fügen
wir hinzu, dafs die Einleitung über Baeda's Leben und
Schriften durch den reichen Quellenapparat, der ihr beigegeben
ift, felbltändigen Werth gewinnt und dafs die
beiden Bände fich in ungemein gefälligem Gewände prä-
fentiren. fo glauben wir uns zu dem Urtheil berechtigt,
dafs Plummer's Ausgabe in jeder Beziehung warme Empfehlung
verdient. Der Kirchengefchichte ift noch die
Historia Abbatuni und die Epistola ad Ecgberctum in
kritifcher Recenfion beigegeben.

Giefsen. G.Krüger.

Beyschlag, Willib., Aus meinem Leben. Erinnerungen und
Erfahrungen der jüngeren Jahre. Halle, Strien, 1896.
(VIII, 559 S. gr. 8.) M. 7.50

Diese Selbstbiographie des bejahrten aber noch
jugendfrifchen Theologen (geb. 5. Sept. 1823) reicht zu-
nächft bis zu feiner Berufung in das Karlsruher Hof-
prcdigeramt, 1856. Sie behandelt alfo einen Zeitraum
feines Lebens, der ihm bereits mehrfach zum Gegen-
Itand der Darfteilung geworden ift. Wie die Lebens-
befchreibungen feines Bruders Franz und feines Lehrers
K. J. Nitzfeh wird auch dies Buch auf einen weiten und
dankbaren Leferkreis rechnen dürfen. Die Darfteilung
verläuft in einer fehr gefchickten Verkettung perfönlicher
Erlebnifse und allgemein-kirchlicher bez. vaterländifcher
Lreignifse. Deutlich wird das Hineinwachsen des Frankfurter
Candidaten in diefen weiteren Lebensrahmen zur
Anfchauung gebracht. So erhält man eine Reihe von
Beiträgen zur Kirchengefchichte der vierziger und fünfziger
Jahre. Das Sturmjahr 1848, in Frankfurt erlebt,

die unglückliche Kirchen- und Staatspolitik Friedrich j Denn als ,Gefetz der proteftantifchen Kirchengefchichte'

Wilhelms IV., für den Beyschlag den .Romantiker auf
dem Thron' aeeeptirt, die Nöthe der Union, die Ueber-
griffe Roms werden in anziehend und fcharf gezeichneten
Bildern vorgeführt. Von fpeciellem Intereffe ift die
Darftellung der Entftehung des ,Kirchentags' aus der
Frankfurter Sandhofsconferenz. Beyfchlag hatte Jahrelang
während feiner Frankfurter Candidatur ,das zweifelhafte
Vergnügen, ihr Schriftführer zu fein' (S. 210) und
kann daher als betheiligter Augenzeuge über die ent-
fcheidenden Zufammenkünfte vom 3. Mai und 21. Juni
1848 berichten (S. 304 fr.). Eben darum wäre hier vielleicht
noch etwas gröfsere Genauigkeit am Platz gewefen.
Von Bethmann-Hollweg's ,Vorfchlag einer evangelifchen
Kirchenverfammlung im laufenden Jahre 1848' war fchon
,Ende April' (Oldenberg, Wichern II, 39) als Manuskript
veröffentlicht und wurde am 10. Mai einer Bonner Con-
ferenz vorgelegt (Darmstädter Allg. K. Z. 1848, S 909).
Die Sandhofsconferenz ftand allerdings fchon früher in
Beziehungen zu Bonn, aber diefe waren keineswegs
durchaus freundlicher Art (s. S. 265, Beyfchlag, Nitzfeh
S. 300). Wie alfo find die ftrenger confeffionell gerichteten
Frankfurter zur Aufnahme der Vorfchläge gekommen
, die von den Bonner Unionsmännern ausgingen?
Da Beyfchlag weiterhin zu klagen hat, dafs .confeffionelle
Eingriffe' den Verlauf der Sache ftörten, fo wäre ein
Einblick in diefe Vorverhandlungen nicht ganz unwichtig.
Jene confeffionellen Eingriffe beziehen fich formell auf
die Faffung der Einlad ung zum Wittenberger Kirchentage
. Die Conferenz vom 21. Juni wollte diefe an alle
ergehen laffen, .welche auf dem Grunde des evangelifchen
Bekenntnifses flehen'. Das foll der Vorfitzende Ph.
Wackernagel willkürlich in die Worte ,der evangelifchen
Bekenntnifse' geändert haben. Diefe Form bieten allerdings
die Wittenberger Befchlüffe (Allg. K. Z. 1848,
S. 1332). Die Einladung aber bietet wenigftens a. a. 0.
S. 1126 ausdrücklich die erftere. Entweder alfo ift die
Einladung in doppelter Faffung ergangen oder Beyfchlags
Gedächtnifs täufcht fich.

Theologifch ift Beyfchlag von Nitzfeh ausgegangen
und bei Nitzfeh flehen geblieben. Er rügt an den
Kirchentagen, dafs die grofsen Träger der Vermittlungstheologie
auf denfelben nur als fromme, geiftvolle und
gelehrte Leute Anfehen genoffen, während ,ihre eigen-
thümliche Theologie hier keine Siege feierte'. ,So unterblieb
, was allein dem kirchlichen Auffchwung der Zeit
zu einer durchgreifenden und dauerhaften Einwirkung
auf das Volksganze hätte verhelfen können, eine gründliche
Reform unferer kirchlichen Lehrweife'(S. 518). Es
liegt nahe, diefen Mangel dahin auszulegen, dafs bei der
etwas eiligen Vermittlung zwifchen Wiffenfchaft und
Kirche die erftere zu kurz kam. Und es läfst fich nicht
leugnen, dafs Beyfchlag dies Erbe angetreten hat. Er
fchreibt feinem Bruder: ,Was wir auch anfallen mögen,
wir find beide mehr Leute der Bildung als der Gelehr-
famkeit. Die gelehrte Forfchung als folche ift unfre
eigenfte Sache nicht; nur fofern wir nicht oberflächlich
fein wollen, find wir eifrig an ihr theilzunehmen' (S. 365).
Dem entfpricht durchaus die Art, wie die Hegel'fche
Philofophie und die Tübinger Schule behandelt werden.
Beyfchlag ging nach Berlin, um an den Heerd der
philofophifchen Zeitbewegung zu kommen. Allein die
Vorlefungen der Epigonen waren ihm ungeniefsbar. Von
einer ernfteren Arbeit an Hegel's eigenen Werken vernimmt
man nichts. ,Ich konnte mich für die Kenntnifs
der Hegel'fchen Philofophie auf meinen Privatverkehr
mit Hegelianern verlaffen (S. 145). Ob das genügen
konnte, ift doch zweifelhaft. Jedenfalls hat er fich abge-
fehen von den Confequenzen, welche die Jüngeren zogen,
als das Wefentliche des Syftems nur feinen logifchen
Formalismus deutlich gemacht. Wie fehr ihn aber diefer
auch abfehrecken mochte, er hat fich ihm offenbar nicht
ganz zu entziehen vermocht, fo wenig wie Dorner u. A.