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Ausgabe:

1897 Nr. 14

Spalte:

384-390

Autor/Hrsg.:

Bousset, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Offenbarung Johannis. neu bearb 1897

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 14.

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es, wenn der Verf., um zu beweifen, dafs nicht Johannes
die Synoptiker, fondern diefe ihn ergänzen wollen (S. 19
96 f. 122 f. 129 f.), die ,maafsgebende Stelle' (S. 101)
Luc. 1, 1—4 aufbietet (S. 59 f.), wo nicht blofs in aizöiixca
Hat vnrigezai zov Xnynv johanneifche Ausdrücke wiederkehren
(wegen Joh. 1, 1,14!), ja damit geradezu der
Verfaffer des johanneifchen Evangeliums angedeutet fein
foll, fondern vor Allem die nEnXriooqooiqLi&vct nQayiiaxa
vervollftändigte, d. h. vervollftändigend zu einem Andern,
hier dem johanneifchen Evangelium, hinzugefügten ,Er-
eigniffe und Thatfachen der evangelifchen Gefchichte fo-
wohl an fich, als als auch zugleich nach Seiten ihrer Be-
richterftattung' (S. 61) bedeuten, und zwar dies ,in einem
naheliegenden echt griechifchen Gebrauch des Paffivs
derartiger Verben der Fülle' (S. 65): eine Entdeckung,
deren Gewicht den Verf. fo fehr imponirt, dafs er fie
nachher noch fünfmal dem Lefer vorträgt (S. 98 99 III
122 130). Freilich hätte ihn jedes Wörterbuch über die
Unmöglichkeit /tXrjQorpQtlz einfach mit diarzXricovi', ngog-
avctTzXriQoiv unter Umftänden auch dvzavarrXriQnvv zu ver-
wechfeln, oder auch nur in den Stellen 2. Tim. 1,10 4,5
17 Rom. 15,19 mit ,ergänzen' zu überfetzen, belehren
können, von den grammatifchen, logifchen und hiftor-
ifchen Unmöglichkeiten, welche diefe Erklärung fchon für
den Schülerverftand mit fich führt, gar nicht zu reden.
Wer folches fertig bringt, kann dann freilich auch aus
ev ztu ßtßXi(i) zovztx) 20,31 auf das Nichtvorhandenfein
irgendwelcher evangelifcher Literatur (S. 5 f.), alfo fo
ziemlich das Gegentheil von dem, was wirklich darin
liegt, fchliefsen, er kann das ,bis ich komme' 21, 22.
23 auf die Zerftörung Jerufalems beziehen (S. 86 131),
und was derlei Velleitäten mehr find. Eine ausführliche
Befprechung widmet der Verf. unter Anderem der
Stundenzählung bei Johannes (S. 75 f.), und es ift anzuerkennen
, dafs er fich von dem Gedanken an den fog.
dies civilis der Römer, mit dem man früher gewöhnlich
die Differenz zwifchen Joh. 19,14 und Mark. 15,25 befei-
tigen wollte, emanzipirt. Ueber die Unmöglichkeit diefer
Operation find jetzt die Erörterungen in The Expositor
VII, 1892, S. 216—223 und III 1896, S. 457—459 zu vergleichen
. Aber da in der Stelle bei Plinius H. N. 2,77,
welche zu jenem Irrthum Veranlaffung gegeben hat,
aufser den sacerdotes Romani auch Umbri und Aegyptii
genannt werden, verfucht es jetzt unfer Verf. S. 80 mit
dem Letzteren, ohne die Gefahr zu fcheuen, welche von
daher droht, fofern man ja die Sache zu Gunften eines
alexandrinifchen Urfprungs des 4. Evangeliums benutzen
könnte (S. 81). Aber da Aegypten nicht Paläftina ift,
mufs unfer Verf. erft die Unterftellung machen, dafs was
für jenes gilt, ,zugleich wohl für die anftofsenden Gebiete
' Geltung hat (S. 80 131), um dann doch erft die
fechfte Stunde nur mit der widerfinnigen Annahme rechtfertigen
zu können, dafs die Verhandlungen vor Pilatus
um 3 — 4 Uhr früh begonnen hätten (S. 78).

Mit dem Gefagten glaubt der Unterzeichnete feiner
Recenfentenpflicht genügt, ja vielleicht nur allzuviel Zeit
auf die Leetüre und Würdigung einer fo gut wie unergiebigen
Schrift verwendet zu haben. Es ift weniger der
Verf. felbft, der für ein folches Refultat verantwortlich
zu machen ift (im Gegentheil befteht kein Zweifel an
feinem guten Willen), als der Tiefftand einer theologifchen
Schulung, der hier und fo oft jede Fähigkeit zur Erfaffung
hiftorifcher Probleme im Keime erftickt und überdies die
alfo Betroffenen mit der Einbildung ausftattet, im Befitze
einer höheren, übernatürlich garantirten Erkenntnifs
zu fein, die fie im Fluge ein Ziel erreichen läfst, zu dem
die ,negative Kritik' (das thörichte Schlagwort fteht gleich
S. 1) mit allen ihren Mitteln und Künften nicht zu gelangen
vermochte. Auch die vorliegende Schrift ift bei
aller vorgefchützten Befcheidenheit von folchen eiteln
Prätentionen ganz durchzogen, und die damit gegebene
theologifche Verbildung fetzt fich felbft ein fprechendes
Denkmal in der vollendeten Gefchmacklofigkeit desSchlufs-

wunfehes ,dafs der, der felbft Licht und Leben (Joh. 1,4)
und in dem die Gnade und Wahrheit perfönlich er-
fchienen ift (1,14), die vorftehenden ,Andeutungen', dasEr-
gebnifs eines ernften und eindringenden mehrjährigen
Bemühens und Forfchens, nicht verfchmähen möge' (S. 134).

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Bousset, Prof. Lic. Willi., Die Offenbarung Johannis. Neu

bearbeitet. (Kritifch - exegetifcher Commentar über
das neue Teftament begründet von Heinr. Aug. Wilh.
Meyer. 16. Abth. 5. Aufl.) Göttingen, Vandenhoeck &
Ruprecht, 1896. (VI, 528 S. gr.8.) M.8.—; geb. M. 9.50

Der bisherige Bearbeiter der 16. Abtheilung des
Meyer'fchen Commentars, überconfiftorialrath Düfter-
dieck, fcheint der Vorrede zufolge ,angefichts des Wuftes
von Hypothefen, die in dem letzten Jahrzehnt auf die
Apokalypfe gehäuft find', Luft und Muth zu einer Neubearbeitung
feiner Abtheilung verloren zu haben. Aber
auch der an feine Stelle getretene jüngere Theologe, zu
einer folchen Leiftung vielleicht der Berufende unter
Allen, die hier ernftlich in Betracht kommen können,
hat es unthunlich befunden, ,das alte Meyer'fche Ideal
eines vollftändigen exegetifchen Repertoirs mit Verzeichnifs
womöglich aller aufgehellten Meinungen', noch weiterhin
anzuftreben. Vielmehr hat er fich, die Aufgabe geftellt,
nur das wirklich exegetifch Werthvolle, nur Meinungen
und Anfchauungen, mit denen eine Auseinanderfetzung
der Mühe werth ift, aufzunehmen'. Gewifs gerade für
die Apokalypfe ein durchaus gerechtfertiges und auch

. nicht unfehwer erreichbares Ziel. Wer fich künftighin
noch für die ,Refultate' der ,kirchengefchichtlichen, welt-
gefchichtlichen, reichsgefchichtlichen' Auslegung, überhaupt
für den exegetifchen Humbug englifcher Ausleger
und amerikanifcher Traktatenfchreiber (S. 141) intereffiren
follte, wird diefelben in den früheren Auflagen wenigftens
verzeichnet, in zahllofen deutfehen und englifchen Werken
wirklich vertreten finden. Gleich der erfte Abfchnitt .
der Einleitung, welcher .Allgemeines über apokalyptifche
Literaturgattung' bringt (S. 1 —11), Hellt uns auf einen
ganz andern Standpunkt. Was aber frühere Zeiten etwa
noch Wiffenswerthes gebracht haben — auch eine Kranken-
gefchichte hat ja ihre Bedeutung — das findet fich
zumeift im zweiten (,die Apokalypfe im neuteftament-
lichen Kanon', S. II—33) und-im vierten Abfchnitt der
Einleitung verarbeitet, welcher S. 51 —141 eine Gefchichte
der Auslegung des Buches giebt, wie fie auch neben
Lücke den Anfpruch auf Selbftändigkeit erheben darf.
Man lefe beifpielsweife die Erörterungen über Victorin
und Ticonius. Die Bedeutung des Letzteren für die
ganze Folgezeit tritt hier in ein neues und volles Licht.
Was über Erfteren gefagt ift (S. 56 f.), hat freilich ange-
fichts der zu erwartenden Veröffentlichung des Codex
Ottobonianus 3288 A durch Haufsleiter nur vorläufige
Bedeutung. Die Annahme diefes Gelehrten, dafs Hieronymus
auch den Ticonius gekannt habe und fein Commentar
fich in der Summa dicendorum bei Beatus erhalten
habe, wird abgelehnt (S. 66). Hier und vielfach verdanke
ich diefer belehrenden Darfteilung manche Berichtigung
und Ergänzung zu dem kleinen Äbrifs der Auslegungs-
gefchichte im ,Hand-Commentar' IV2, S. 280 f. Da aber
der Verf. felbft in derVorrede für eine neue Auflage eine neue
Redaction des Abschnittes in Ausficht Hellt, erlaube ich mir
die Bemerkung, dafs neben den ,durch den Gang der

j Exegefe beftimmten' Einfchnitten (Ticonius, Joachim u.
f. w.) die kirchengefchichtlichen Epochen, durch welche
die Auffaffung der Apokalypfe naturgemäfs beftimmt er-
fcheint, noch kräftiger hervorgehoben werden dürften.
Freilich ift ein folcher Gefichtspunkt mehr noch für den
zweiten Abfchnitt mafsgebend. Beifpielsweife aber dürfte
doch der Pietismus in feiner Bedeutung für die Werth-
fchätzung des Buches ausdrücklicher vermerkt werden