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Ausgabe:

1897

Spalte:

354-357

Autor/Hrsg.:

Poggel, Heinrich

Titel/Untertitel:

Der 2. und 3. Brief des Apostels Johannes 1897

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Theologifche Literaturzeitung« 1897. Nr. 17

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des durchgängigen Abhängigkeitsverhältniffes des Lucas
von Marcus auch dann noch nicht das, was S. V zu lefen
ift: evangelium totum fere tX commcntariis librisve semi-
ticis in graccam linguain conversum.

Die zweite Hälfte der Vorrede befafst fich mit der
textkritifchen und technifchen Seite der Sache. Hier erfahren
wir die Gründe, wefshalb keineswegs etwa blofs
der Text ß aus der editio philologica zum Abdruck kommt,
fondern nicht wenige neue Lesarten eingeführt find. Wie
nämlich fchon der Conspectus noiarum im Vergleich mit
der editio philologica zeigt, find für den Text ß drei neue
Zeugen benutzt worden, über deren Werth fich der Verf.
mittlerweile in den ,Theologifchcn Studien und Kritiken'
1896, S. 436—471 ausgefprochen hat: zuerft ein, thcil-
weife fchon von S. Berger herausgegebener, aber ganz
vom Verfaffer durchgefehener Parifer Vulgatacodex, aus
welchem die neue, inhaltlich unanftöffigere Form von
7, 2—4 entflammt (S. XIV f., XXV, 14); dann eine Papier-
handfchrift der Vulgata aus der Bibliothek von Wernigerode
; endlich eine damit verwandte, übrigens fchon vor
9 Jahren veröffentlichte, mittelalterliche Ueberfetzung in
das Provengalifche, deren Abweichungen von Vulgata
der Verf. am genannten Ort verzeichnet hat. Von Kirchenvätern
ift jetzt aus Anlafs von Rendel Harris [Four lec-
tures on the westem text 1894) befonders Ephraem als
Zeuge für ß hinzugekommen und in diefer Beziehung
alfo ein Desideratum Corffen's (S.429) erfüllt. Aus der
Philoxeniana.bezw.des Thomas von Heraklea Ergänzungen
dazu, und dem parifer Codex ift jetzt die nicht blofs formell
neue Geftalt von 19,6 gewonnen (vgl. befonders
den Satz xai i/uyhanjxov i> i-avzolg wate xat tgiirrveveiv
aitäi eavzolc). Von weiteren intereffanten neuen Lesarten
, die geboten werden, fei noch erwähnt I, 2, wo
nach Auguftinus fleht £>' f^riiioq zovg anoazöloLg e^tlt^azo
öut nvtvftazng aylov xai i/.tlevas -/.Zjuvaaeiv zb evayyelinv
mit Bezug auf Luc. 6, 12. 13 (S. XXIII f., wogegen aber
fehr ins Gewicht fällt, was W.C. van Manen, Theologifch
Tijdfchrift 1897, S. 104k bemerkt), der Wegfall von
15,21 (S. XXIX f.), die, auf Grund einer Erörterung von
Irenäus 1120,2—4III 12,1 gewagte, EinklammerungderRede
des Petrus 1,17 (von zai ekaytv an) — 19 (S. XVII f.), die
Verfetzung der Worte xul bzi rvniS,evzoigtDvEam l/voav/ito-
ztwg von 14, 27 nach der Stelle 15, 4 (anerkennenswerthe
Offenheit im Bekenntnifs des Irrthums S. XVI) und 13, 1,
wo theils nach dem Parifinus und D, theils nach eigenem
Gutdünken folgender Text hergeftellt wird: zaav de xair'
SKOtOttiv e/.xXryalav ngutpijZai y.al öiöi'toxaXoi, ev 01g zai
«v ixtvzioytlct ßctQvcxßag xzl. Wenn derartige Neuerungen
überrafchen mögen, wird man zugleich auch zur Vorficht
gemahnt, wenn 5, 31 XCtzSAV&i) (nach Eusebius; auch D
und Parifer Codex: disXvxhj) und zwar mit nachfolgendem
avxbg öi kctVZOV (letzteres Conjectur ftatt D öi' aviov),
ebenfo 5, 37 v.axeXllrr) (nur nach dem Parifer Codex) ge-
lefen werden und dafür das ävrjgtirrj der erfteren Stelle
als aus Jofephus eingedrungen gelten foll, während umgekehrt
der Name des Theudas aus Lucas in den Jofephus
gekommen fein foll (S. XVI), was bisher doch nur
der Barnabite Sem eria wahrfcheinlich finden wollte [Revue
biblique 1895, S. 305 f.).

Dankenswerth ift es auf alle Fälle, dafs wir nunmehr
einen einfl viel verbreiteten und erft allmählich hinter
dem jetzigen verfchwundenen Text der Apoflelgefchichte
vor uns haben, der im Einzelnen manche Berichtigungen
vertragen mag, im Ganzen aber ein anfchauliches Bild,
wenn nicht von einer befonderen, einheitlichen Recenfion
(dagegen kämpft E. vo n D ob fchü t z, Literarifches Centraiblatt
1897, Nr. 12, S. 385—387, indem er zugleich neue
Beifpiele für die Willkür des Verfahrens auch in diefer
2. Aug. giebt), fo doch mindeflens von einer grofsen
Zahl bald unbedeutender, bald aber auch fehr erwägens-
werther und charakteriftifcher Differenzen giebt. Diefelben
find durch gefperrte Schrift hervorgehoben. Dabei ift
wieder befonders kenntlich gemacht, was nicht griechifch

vorhanden, fondern aus dem Lateinifchen oder Syrifchen
rücküberfetzt ift. So z. B. 23, 30 ixsi ey/toDca 7cqbg zip
! oijV öiäyrcoaiv aus dem Gigas (neu auch im Vergleich
j mit dem Text ß in der philologica). Gleich darauf 23, 31
begegnet das Beifpiel einer Conjectur in fxazopzägyai
für azguztwzai (gleichfalls neu), was fich aus 23,32 [azoa-
zitozag) nach Gigas an Stelle der 'innsig (neu) erklärt.
Liefe Procedur erheifcht wieder die Einbehaltung eines
vnoozglcpetv hinter azgaziwzag, fo dafs die kurze Strecke
von 3 Verfen ein gedrängtes Bild des ganzen Verfahrens,
I zugleich auch fofern es fich an Kühnheit von der editio
philologica unterfcheidet, gewährt. Noch beffer gedient
| wäre den Intereffen der Wiffenfchaft wohl mit einer ein-
i fachen Sammlung der Varianten, die fich mit Fug und Recht
als occidentalifche bezeichnen laffen und fich als folche
von dem gewöhnlichen Text charakteriftifch unterfcheiden.

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

] Poggel, Dr. Heinr., Der 2. und 3. Brief des Apostels Johannes
geprüft auf ihren kanonifchen Charakter, überfetzt
und erklärt. Paderborn, F, Schöningh, 1896. (IV,
169 S. gr. 8.) M. 4—

Der erfte Theil S. 1—125 behandelt in 3 Abfchnitten
den kanonifchen Charakter der beiden kleinen Schrift-
1 ftücke, deren Verfaffer fich als ö ngtaßvztoog einführt.
Dem Sinn diefer Bezeichnung gilt die erfte Unterfuchung.
Die Kritik war bekanntlich vielfach der Anficht, dafs
fich der Brieffteller damit vom Apoftel unterfcheide.
,Findet fich aber weder in der Gefchichte noch im
Papiasfragment ein zweiter Johannes hinreichend bezeugt,
fo fleht die innere Kritik auf fich allein angewiefen da
und zeigt fchon durch die chaotifche Divergenz ihrer
Refultate, welchen Anfpruch auf Glaubwürdigkeit fie den
hiftorifchen Zeugniffen gegenüber machen kann' (S. 8).
Das wäre alfo die Taktik des Verfaffers! Prüfen wir ihre
Erfolge!

Nur die Abneigung gegen die Apokalypfe liefs den
alexandrinifchen Dionyfius (er heifst S. 9 ,der erfte, der
aus inneren Gründen Zweifel an der Abfaffung der Apokalypfe
durch den Apoftel Johannes äufserte' trotz den
gleich S. n erwähnten Alogern) von einem zweiten Johannes
in Ephefus reden und den Eufebius diefen zweiten
mit dem ,Presbyter' identificiren. Auf diefe Weife ift er
,der Erfinder des Presbyters' geworden (S. 16). Dazu verleitete
ihn nämlich die bekannte Papiasftelle. Aber feine
Exegefe ift ,unrichtig' (S. 11 f.) Dem Erweife diefes
Urtheils dient eine ausführliche Erörterung des Papias-
I fragmentes S. 17—51, welche immerhin als ein wiffen-
i fchaftlich werthvoller Beitrag zum Verftändniffe der Stelle
gelten darf. Die bedeutendften Vorarbeiten find ein-
I gehend gewürdigt, wenn auch die gleichzeitig veröffent-
j lichten Ausführungen von Bouffet (die Offenbarung
Johannis, S. 371.) und A. Harnack (die Chronologie
der altchriftlichen Literatur bis Eufebius, S. 656 f.) noch
nicht mit aufgeführt und benutzt werden konnten. Darin
wenigftens ift unfer Verf. unzweifelhaft im Recht, dafs
weder Papias, noch fonft Jemand vor Dionyfius von zwei
ephefinifchen Johannes etwas weifs. Aber, wie das fchon
bei feinem Hauptgewährsmann Zahn der Fall war, fo
I beweifen auch unferes Verf.'s Argumente immer nur die
j Unmöglichkeit, neben dem Einen kleinafiatifchen Johannes
noch einen Doppelgänger gleichen Namens und gleichen
Gefchickes anzunehmen. Damit ift der fchwächfte
Punkt feiner Darfteilung gekennzeichnet. Verdienft-
lich ift fie dagegen in Bezug auf Zurechtlegung der
mancherlei fyntaktifchen Schwierigkeiten, welche dem
überlieferten Text des Papias anhaften. So namentlich
die Widerlegung des Verfuches von Leimbach
und Cornely, das t/c vor Vxeqog als Intcrroga-
livitin zu nehmen. (S. 40 f.) Diefes Experiment kann
nunmehr als abgethan in künftigen Erörterungen der Stelle

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