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Ausgabe:

1897 Nr. 12

Spalte:

339-341

Autor/Hrsg.:

Friedberg, Emil

Titel/Untertitel:

Die Canones-Sammlungen zwischen Gratian und Bernhard von Pavia 1897

Rezensent:

Rieker, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 12.

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Schlufswort fafst die Ergebniffe zufammen. — Es ift ein I
ganz hübfcher Gedanke, Kant einmal darauf hin anzu-
fehen, wie und wie viel er die Bibel benützt. Der Verf.
hat feinen Plan mit grofsem Fleifs und fichtlicher Liebe
verfolgt: er hat treulich gefammelt und fich redlich,
wenn auch meines Erachtens nicht durchweg glücklich, um
Ordnung feines Stoffes bemüht. Ein Sach- und Stellen- j
regifter erleichtert die Benützung des Büchleins und den |
Ueberblick über die Refultate. Auch ein Kenner Kant's
wird aus dem Verzeichnifs der Stellen vielleicht nicht
ohne Ueberrafchung fehen, wie reich Kant's Schriftgebrauch
ift; 120 Stellen aus dem A. T., 162 aus dem
N. T. finden wir verzeichnet. Wie weit fich die Sammlung
etwa noch vermehren liefse, habe ich nicht geprüft:
gelegentlich ftiefs mir in der Schrift ,die falfche Spitzfindigkeit
der vier fyllogiftifchen Figuren bewiefen' 1762 I
eine Anfpielung auf Daniel (,ein Colofs . . . deffen Füfse
von Thon find') und eine auf die Apokalyfe (,von dem j
grofsen Haufen der Denker wählt der eine die Zahl 666')
auf. Am flärkften benützt ift das Matthäusevangelium I
und in diefem wieder die Bergpredigt, aufserdem die
fechs erften Capitel der Genefis, aber auch recht entlegene
Stellen hat Kant herangezogen. — Das Thema
der vorliegenden Schrift hätte fich freilich in gröfserem
Zufammenhang und in mehr wiffenfchaftlicher Weife be- I
handeln laffen: Kants Schriftauslegung hätte mit der der j
Zeitgenoffen verglichen, feine Methode fchärfer beftimmt,
ihr Zufammenhang mit Kant's gefammter Stellung zur
Gefchichte klarer bezeichnet werden können. Doch darf
man mit dem Verfaffer nicht rechten, dafs er fich auf |
die befcheidenere Sammelarbeit befchränkt hat. Nur ift
bei den Grenzen, die er fich gefleckt hat, der Nebentitel
,ein Kompendium Kant'fcher Theologie' zu anfpruchs-
voll. Zu Kant's Theologie gehören als wefentliche Be-
ftandtheile manche Anfchauungen, die das Büchlein kaum !
ftreifen kann, feine Unterfcheidung von Phyfiko- und !
Ethiko-Theologie, feine Beftimmung des Verhältniffes von '
Wiffen und moralifcher Gewifsheit, feine Verwendung des
chriftlichen Begriffs .Glauben' in diefem Zufammenhang,
feine kritifche Begrenzung der erreichbaren Gotteser- j
kenntnifs.

Halle a/S. M. Rei fehle.

Friedberg, Emil, Die Canones-Sammlungen zwischen Gra-
tian und Bernhard von Pavia. Leipzig, B. Tauchnitz, 1897.
(VIII, 208 S. gr. 8). M. 12.—

Der faft neunzigjährige Zwifchenraum zwifchen dem
Decretum Gratiani (ca. 1145) und der Decretalenfammlung
Gregors IX. (1234) ift bekanntlich durch eine Reihe von
Rechtsfammlungen ausgefüllt, die zum Theil eine Nach-
lefe zum Dekret zu liefern beabfichtigen, in der Hauptfache
aber den neuen, erft feit Gratian und durch Grabau
zur Bedeutung gelangten Rechtsftoff der päpftlichen
Decretalen zu fammeln und zu verarbeiten unternehmen
. Von diefen Rechtsfammlungen waren uns bisher
die Quiiique Compilationes antiquae am genaueften bekannt
, die F. im Anfchlufs an feine kritifche Ausgabe 1
des Corpus juris canonici in forgfältiger Weife edirt hat ]
(Lipsiae 1882); fie fallen fämmtlich in die zweite Hälfte I
des Zeitraums zwifchen Gratian und Gregor IX.; die be-
kanntefte und ältefte von ihnen ift die Compilatioprima oder
das Breviarium extravagantium des Bernhard von Pavia,
entftanden nach 1187 und vor 1192. Dagegen lag immer
noch ein gewiffes Dunkel über den Sammlungen zwifchen
Gratian und Bernhard von Pavia. Wohl kannte man
von diefem bisher den Appendix Concilii Laterancusis
(gedruckt z. B. bei Manfi tit. XXXII), die Collectio Bam-
bergensis (entdeckt und befchrieben von Schulte), die j
Collectio Lipsiensis, die Richter entdeckt und deren in 1
keiner anderen Sammlung enthaltene Stellen F. in |

feiner Ausgabe der Quinque Compilationes antiquae mit-
getheilt hat, endlich die Collectio Casselana (von J. H.
Böhmer im Anhang des II. Theils feiner Ausgabe des
C.j. c. edirt); allein eine genaue zuverläffige Analyfe hat
bisher von allen gefehlt. In dem vorliegenden Werke
giebt nun F. nicht nur eine forgfältige und muftergültige
Analyfe diefer Sammlungen, fondern auch eine genaue
Befchreibung vier neuer nachgratianifcher Rechtsfammlungen
, nach Handfchriften der Bibliotheken zu Cambridge
, Paris und Brügge; er nennt fie Collectio Canta-
brigiensis, Parisiensis I und II und Brugensis. Die
Collectio Cantabrigiensis enthält faft ausfchliefslich
Dekretalen Alexanders III., aber keine Beftandtheile des
Concilium Lateranense III, mufs alfo vor 1179 entftanden
fein, während alle bisher bekannten nachgratianifchen
Sammlungen erft nach jenem Concil abgefafst find; aber
auch dadurch verräth die Sammlung ein hohes Alter,
dafs fie ihren Stoff noch nicht nach tituli geordnet hat.
Die Collectio Parisiensis II enthält in 95 tituli mit 236
Capita dreimal fo viel vorgratianifches als nachgratia-
nifches Material; ihre Entftehungszeit fällt ebenfalls vor
1179, denn fie bringt wohl Dekretalen Alexanders III.,
aber keinen Canon des Concil. Lateranense III; als Ort
ihrer Entftehung vermuthet F. Bologna u. a. deshalb weil
hier der kanonifche Rechtsftoff zum erften Male in tituli
eingeteilt ift und dies eine literarifche Gewandtheit
verräth, die wir in jener Zeit nur bei einem Bolognefer
Rechtslehrer zu fuchen berechtigt find. Was den Verfaffer
betrifft, fo hält es F. nicht für unmöglich, dafs es
Bernhard von Pavia ift. Die Collectio Parisiensis I hat
keine Titel, und infofern wäre man geneigt, fie für älter
als die Parisiensis II zu halten, aber da fie Befchlüffe des
Conc. Lat. III mittheilt, fo mufs fie jünger als jene sein.
Das Material der Sammlung bilden überwiegend Papft-
dekretalen, darunter 22 bisher ungedruckte, auch bei Jaffe
nicht angegebene. Ueber den Verfaffer und die Heimat
der Sammlung läfst fich nichts fagen. Die gröfste Sammlung
ift die Collectio Brugensis: in 59 tituli enthält fie 450
Capita, faft ausfchliefslich Papftdekretalen, insbef. von
Alexander III., die jüngfte ift von Coeleftin III. (1191 —
1198). Ihre Entftehung fällt alfo jedenfalls nach 1191;
ihr Vaterland ift vielleicht Frankreich; bemerkenswerth
ift, dafs hier zum erften Male (wie dann auch in der
Compilatio prima) die Canones des III. Laterankonzils
unter Rubriken geftellt find. Auch enthält diefe Sammlung
mehr ungedrucktes Material als die übrigen. Bei
jeder Sammlung fugt F. genaue Tabellen bei, aus denen
ihr Verhältnifs zu den übrigen Sammlungen erhellt;
aufserdem giebt F. eine Tabelle, die über das Verhältnifs
der Compilatio prima zu den bisherigen Sammlungen
Auffchlufs gewährt. Das Regifter am Schluffe enthält
erftens ein Verzeichnifs der Titelrubriken der fämmtlichen
Sammlungen, die Titelrubriken haben, mit Einfchlufs
der Compilatio I, zweitens ein Verzeichnifs der Canones-
Anfänge der acht Sammlungen zwifchen Gratian und
Bernhard, drittens endlich ein Quellenregifter. Fügen
wir aufserdem bei, dafs F. durch fein Buch die Dekre-
talenliteratur um über 100 neue Stücke bereichert hat
(eine Zahl, die ftattlich genug erfcheint, auch wenn
das eine oder andere Stück noch als fchon gedruckt
nachgewiefen werden follte), fo erhellt aus unferem Berichte
zur Genüge, welch grofses Verdienft der Meifter
des canonifchen Rechts fich durch feine neue Arbeit
um die Wiffenfchaft erworben hat. Seiner Ausgabe des
C. j. c. und der Quinque Compilationes antiquae reiht
fich diefes Werk würdig an; der Ring zwifchen dem
Dekret Gratian's und der Dekretalenfammlung Gregor's IX.
ift mit diefer neueften Unterfuchung gefchloffen. Was
uns jetzt noch fehlt, das ift eine wiffenfehaftliche Ausgabe
der vorgratianifchen Sammlungen, die meift entweder
gar nicht oder fehr fchlecht gedruckt find. Wir
möchten hier den Wunfeh und die Bitte ausfprechen,
dafs F. auch diefe wichtige Aufgabe in Angriff nehme;