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Ausgabe:

1897

Spalte:

328-330

Autor/Hrsg.:

Hirscht, Arth.

Titel/Untertitel:

Die Apokalypse und ihre neueste Kritik 1897

Rezensent:

Bousset, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 12.

328

fieht man namentlich daraus, dafs diefe Punkte auch den
,gottesfürchtigen' Heiden auferlegt wurden.

Wenn der Verf. daher auf diefer Grundlage am Schluffe
andeutet, dafs beide Richtungen auch in das Chriften-
thum übergegangen feien, fo ift dies von vornherein
fchief. Die principielle Abfage gegenüber dem Gefetz,
welche Paulus begründet hat, ift überhaupt unjüdifch.
Und der Einflufs des helleniftifchen Judenthums auf das
Chriftenthum ift in der apoftolifchen Zeit, felbft bei
Paulus, ein fehr mäfsiger gewefen. Dagegen wird diefer
Einflufs in der nachapoftolifchen Zeit recht hoch zu
taxiren fein. Diefes Problem wird vom Verf. aber nicht
mehr ins Auge gefafst.

Göttingen. E. Schürer.

Appel, Konrekt. Heinr., Die Selbstbezeichnung Jesu: Der
Sohn des Menschen. Eine biblifch-theolog. Unter-
fuchung. Stavenhagen, Beholtz, 1896. (VII, 139 S.
gr. 8.) M. 3.-

Der Verf. ift Conrector zu Malchin i. M. und Schüler
des Roftocker L. Schulze, welchem die Schrift gewidmet
ift. Demgemäfs geht fie auch in den Spuren diefes
Theologen. Wie diefem (vgl. S. 26) der Ausdruck
,Menfchenfohn' einen Menfchen bedeutet, der kein wahrer
Menfch, fondern zugleich Gott ift, fo unferem Verf. einen
Menfchen, der als folcher Gott zwar zunächft gegen-
übergeftellt wird, während fich dagegen aus den ihm
beigelegten Prädicaten ,die Gottgleichheit als Urfache der
zwifchen beiden Gröfsen beftehenden Spannung' heraus-
ftellt (S. 128). Ueberall ift der Menfchenfohn ,der gottgleiche
Menfch' (S. 59 h). Da nun aber unfer Verf. meint,
dafs Jefus unter feiner Gottesfohnfchaft nichts Geringeres,
als ,die thatfächliche Gottgleichheit' verftanden hat,
flehen beide Bezeichnungen in engfier Wechfelbeziehung.
Der Menfchenfohn ift derjenige Menfch, welcher der
Gotteslohn ift. Für die Gemeinde ift er der Gotteslohn,
während der Name ,Menfchenfohn' den Gegenfatz zu
den Weltmenfchen ausdrückt (S. Iii). ,Wir würden
uns alfo felbft ein Armutszeugnifs ausftellen, wenn diefe
Bezeichnung in unferen Kirchen und Schulen die geläufige
wäre' (S. 139). ,Die Selbftbezeichnung Jefu war
der Kampfesruf gegen das Ifrael, welches den Menfchen
vergötterte'. ,Man verwarf den Menfchenfohn, weil er
die Menfchheit geläftert hatte' (S. 131). Und doch begreifen
wir aus derfelben Selbftbezeichnung auch ,dafs
der Herr als Gottesläfterer verurtheilt wurde' (S. 138).
Hier hört doch jede Ausficht auf eine Verftändigung
auf. Von welcher Seite her man den Gedankengang
des Verf.'s anzufaffen fucht, Hellt derfelbe fich immer in
gleicher Weife als völlig aufserhalb aller Möglichkeit
einer wiffenfchaftlichen Erörterung dar. Die Vorrede
thut fich etwas auf die Entdeckung zu Gute, dafs die
Daniel'fche Wolkenfahrt nicht, wie felbft L. Schulze annahm
, von oben nach unten, fondern von unten nach
oben von Hatten geht, wie auch flolften erkannt habe
(vgl. S. 39 f.), freilich ohne hier die Danielftelle, dort die an
fie erinnernde fynoptifche Parufieweiffagung richtig zu verliehen
(S. 110). Unfer Verf. leiftet daher die nöthige
Nacharbeit, indem er darthut, wie Jefus in der Daniel-
Helle nur eine Weiffagung feiner Himmelfahrt erblickt
habe (S. 108). Dagegen reiche das Wort Matth. 26, 64
fo weit über die Danielftelle hinaus, dafs man darin kein
Citat diefer letzteren finden dürfe (S. 105 f.). Widrigenfalls
hätte ,der Herr die Danielweiffagung nicht verftanden
oder fie abfichtlich verdreht', denn er fpricht von einer
activen, Daniel von einer paffiven Fortbewegung auf
Wolken (S. 109), und was dergleichen lediglich aus den
Fingern gefogenes Zeug mehr hier aufgetifcht wird.

Welches ift der Ertrag, den man aus einem folchen
Buche gewinnt? Im günftigen Falle einige bibliogra-
phifche Notizen aus dem Eingangsabfchnitt, der eine

,Gefchichte des Begriffes Menfchenfohn in der chrift-
lichen Kirche' verheifst, in Wahrheit nur ein ödes
Regifter von äufserlich aneinander gereihten und bezifferten
Meinungen bringt. Und felbft hier vermifst man
nicht blofs, was die Vorrede entfchuldigt, die Namen
Schnedermann und Lütgert — das wäre zu ver-
fchmerzen — fondern es fehlt auch jedwede Ahnung
von dem fprachlichen Problem, wie es von Wellhaufen,
Eerdmans, A. Meyer, Lietzmann und Anderen begründet
und nach verfchiedenen Richtungen einer Löfung
entgegengeführt worden ift. Damit aber geht der Schrift
alle actuelle Bedeutung ab. Sie bezeugt blofs eine
hoffnungslofe Confufion der theologifchen Begriffswelt,
die der Verf. theils von Andern bezogen, theils aus
eigenen Mitteln vergröfsert hat.

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Hirscht, Arth., Die Apokalypse und ihre neueste Kritik. Von

der theologifchen Facultät zu Berlin mit dem königl.
Preife gekrönt. Leipzig, Neumann, 1895. (XII, 175
S. gr. 8.) M. 2.40

Der Verfaffer geht fcharf mit der gefammten neueren
kritifchen Arbeit an der Apk. ins Gericht. Durch
die ganze Schrift hindurch verfolgt er Vers für Vers
ihre Aufftellungen und keine einzige findet Gnade vor
feinen Augen. Im Tone fchulmeifterlicher Ueberlegen-
heit ftraft er die unbefonnenen Kritiker, namentlich wird
Spitta Seite für Seite mit einer nichts weniger als liebenswürdigen
Polemik bedacht.

Und in vielen Einzelheiten wird H., deffen Arbeit
mannigfache Belefenheit und auch ein gewiffer Scharf-
finn nicht abzufprechen find, auch Recht behalten. Ein
grofses Verdienft ift das nun freilich nicht. Die Widerlegung
der Extravaganzen der Apokalypfen-Kritik ift
ein fehr leichtes und bequemes Werk, namentlich da hier
bereits zu wiederholten Malen ein Kritiker dem andern
fein Grab gegraben hat.

Ob aber H. die wiffenfchaftliche Arbeit auf dem
von ihm gewählten Gebiet erheblich gefördert hat, ift
freilich eine andere Frage. Dafs er dazu nicht berufen
war, beweifen fchon feine fich gar fehr an der Oberfläche
haltenden nachträglichen Ausführungen über Gunkels
neue Bahnen weifenden Unterfuchungen in Schöpfung
und Chaos (Vorwort p VIII f.). Wenn der Verfaffer nicht
mehr in der Lage war, nach dem Erfcheinen von Gun-
kel's Buch fein Werk zurückzuftellen, fo wäre ihm doch
fehr anzurathen, nachträglich von Gunkel's ,konfequenten
und durchweg geiftreichen Ausführungen (p. X)' mehr zu
lernen als er thatfächlich gelernt hat. Jedenfalls ift feine
Schrift über die Apk. und ihre ,neuefte' Kritik unter
einem unglücklichen Stern erfchienen. Sie war von
vornherein durch Gunkel's Buch antiquirt.

Doch foll hieraus dem Verfaffer noch kein Vorwurf
gemacht werden, es bleiben noch Bedenken ernftlichfter
Art. Vor allem ift die Schrift vollftändig methodelos
in der Beweisführung. Der Verfaffer bleibt an lauter
Einzelheiten hängen. Er macht fich nicht klar, wo die
Hauptbollwerke der gegnerifchen Pofition liegen, und
anftatt diefe mit entfcheidenden Schlägen zu vernichten,
zieht er ein geiftreiches und witziges Geplänkel vor; er
nörgelt bald an diefen, bald an jenen Ausführungen
herum und fucht fich mit Vorliebe die fchwächften Pofi-
tionen des Gegners aus. Er wirft wichtiges und unwichtiges
durch einander, wiederlegt in überflüffiger
] Breite völlige Nebenfachen. In die entfcheidenden Tendenzen
und Motive der kritifchen Arbeit erhält man
gar keinen Einblick, man wird nicht orientirt über die
hauptfächlichften und durchfchlagendften Beobachtungen,
auf die fie fich ftützt, man bekommt keine Ahnung von
j den verfchiedenen kritifchen Methoden, die man zur
I Löfung des Räthfels bereits verwandt hat. — Der Streit,