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Ausgabe:

1897

Spalte:

313-315

Autor/Hrsg.:

Geyer, Christian

Titel/Untertitel:

Die Nördlinger evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Ein Beitrag zu der Geschichte des protestantischen Kirchenwesens 1897

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. n.

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lehren lallen, dafs gerade auch diefer offenbar von einem Jahrzehnt der Reformation: Kafpar Kantz' Evangelifche

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Katholiken verfafste Brief die von ihm erhobenen Ver
dächtigungen zu fchanden mache (Selbftmord. 2. Aufl.
S. 17 f. Noch einmal . . . S. 8 f.). Und noch ganz anders
würde Kolde die Ausführungen diefes .Berichtes' zu
Luthers Vertheidigung ins Feld geführt haben, hätte er
geahnt, wer unter dem Mansfelder Bürger fich verbirgt.
Paulus hat das erkannt und fchon 1894 im Hiftorifchen
Jahrb. der Görres-Gefellfchaft, XV, S. 811 ff. feine Entdeckung
publiciert: der Verfaffer des .Berichtes' war ein
Augenzeuge von Luthers Tod, nämlich der zur Hülfe-
leiftung herbeigerufene katholifche Apotheker Johann
Landau in Eisleben, ein Vetter Georg Witzeis.

Aufs fchlagendfte war damit, dafs auch ein Gegner
Luthers, der es an hämifchen Bemerkungen nicht fehlen
läfst, nichts der ,Hiftoria' Widerfprechendes fagt, die
Wahrhaftigkeit letzterer erwiefsen. Aber die Lorbeeren
Majunkes liefsen J. A. Kleis nicht ruhen. Mit feiner
Schrift: Luthers .heiliges' Leben und .heiliger' Tod, aus
dem Norwegifchen überfetzt von J. Olaf. Mainz, 1896
wandte er fich gegen Paulus und wagte noch einmal die
Sage von Luthers Selbftmord zu proklamieren. Das hat
Paulus veranlafst, feinen zuerft a. a. O. erfchienenen Auf-
fatz zu erweitern und gefondert unter obigem Titel aufs
neue herauszugeben.

Obgleich wir einige kräftige Bosheiten des Eislebener
Apothekers mit in den Kauf nehmen müffen, fo find wir ihm
doch heute noch dankbar für feinen ,Bericht', der nun
ja wohl endlich dem unerquicklichen Streit über Luthers
Tod ein Ende machen wird. Herrn Dr. N. Paulus, der
übrigens die Krage noch einmal ausführlicher zufammen-
faffend im demnächft erfcheinenden 1. Heft der von Prof.
Paftor herausgegebenen ,Erläuterungen zu Janffens Ge-
fchichte des deutfchen Volkes' zu behandeln verfpricht,
danken wir für feine Entdeckung und feine mit wohl

0-------—

Meffe und die Renovatio ecclesiae Nordlingiacensis von
Billicanus werden befprochen. In erllerer fieht im Gegen-
fatz zu Smend — der (Monatfchr. für Gottesd. u. kirchl.
Kunft. 1. Jahrg. Nr. 1, S. 5) vermuthet, dafs fie für evan-
gelifche Teilnehmer des römifchen Mefsgottesdienftes
beftimmt gewefen fei und der an diefer Vermuthung in
,Die evang. deutfchen Meffen' (S. 241) auch fefthält —
Geyer ,mehr ein Programm für die Zukunft als ein
Formular für den gegenwärtigen Gebrauch', während
Billican's Schrift ein Zeugnifs ift, ,wie fich der Gottes-
dienft in der That geftaltete'. Ein intereffantes Denkmal
aus der Zeit des Ueberganges von römifchen zu evan-
gelifchen Cultusformen ift das S. 6ff. befchriebene Miffale
vom Jahre 1510, das handfchriftlich die älteften in Nörd-
lingen gebrauchten evangelifchen Formularien enthält. —
Kapitel II (S. 8—23) zeigt uns das Wirken des Mannes,
,der mit mehr Recht als Billican Anfpruch auf den
Ehrennamen des Reformators Nördlingens erheben' kann,
des Kafpar Kantz. Sein bedeutendftes Werk ift die
Kirchenordnung von 1538, die freilich fchon mehrfach
— auch bei Richter, Die evangelifchen Kirchenordnungen
des 16. Jahrh. Weimar 1856. I, S. 286 f.
— nach der im Nördlinger Ordnungsbuch befindlichen
Abfchrift gedruckt, hier aus dem im Archiv vorhandenen
Original in extenfo wiedergegeben wird. S. 19 wünfchte
man bei den Ausführungen über die kirchlichen Fefte
und Feiertage eine Erklärung des Ausdrucks,Der Oberften
[tag]' (S. 17); in dem fpäteren Regifter der Feiertage auf
S. 37 fehlt diefer Tag. — Schon Kantz hatte in feiner
Kirchenordnung manche Lücke empfunden und hatte
eine neue Ordnung vorbereitet, bei der er die Nürnberger
von 1533 zum Mufter nahm; eine fchwere Erkrankung,
die zu feinem Tode führte (f Anfang 1544), verhinderte
ihn an der Vollendung. Kafpar Löner trat in diefe

thuender Sachlichkeit geführte Unterfuchung.1) Arbeit ein; von ihm ftammt die nächfte ausführlichere

Efchershaufen (Braunfchw.) Ferdinand Cohrs. Ordnung vom Jahre 1544 die leider verloren gegangen

Geyer, Sem.-Lehr. Dr. Chrn., Die Nördlinger evangelischen
Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts. Ein Beitrag zu
der Gefchichte des proteftantifchen Kirchenwefens.
München, C. H.Beck, 1896. (VI, 87 S. gr. 8.) M. 1.60

Es ift fehr erfreulich, dafs gerade dasjenige Gebiet der
Reformationsgefchichte, dem auch unfer Buch vorwiegend ! Jfurvernanaiungen mit dem Kath zeigen uns, dafs ein
angehört, das liturgifche, im letzten Jahre aufserordent- HauPhLfferenzpunkt die Beichtanmeldune der Confitenren

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ift, über die das dritte Kapitel (S. 23 — 38) aber auf
Grund eines noch vorhandenen Kommiffionsberichts ziemlich
eingehend referiren kann. Wir fehen aus dem
rekonftruirten Inhalt, dafs fie unter Benutzung der eben
genannten Ordnung von Nürnberg und der Schwäbifch
Haller Ordnung von 1543 doch vielfach felbftändige
Arbeit Löner's bietet. Die zum Theil auch aufbehaltenen

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liehe Bereicherungen erfahren hat. Smend hat uns mit
feinem grundlegenden Werke: ,Die evangelifchen deutfchen
Meffen' (Göttingen, 1896) befchenkt, und die von
ihm und Spitta begründete ,Monatfchrift für Gottesdienft
und kirchliche Kunft' hat, nachdem fie gleich in ihrer
erften Nummer unmittelbar nach dem Eingangswort ,die
ältefte Strafsburger Deutfche Meffe' brachte und damit
zeigte, dafs die Gefchichte des Cultus in ihr eine be-
deutfame Stelle einnehmen follte, mehrfach ähnlichen
Artikeln ihre Spalten geöffnet. In Nr. 4 (S. 109 ff.) veröffentlichte
der Verfaffer unferer Schrift einen Auffatz:
.Der Hauptgottes, lienft in der St. Georgskirche zu Nörd-
lingen im Jahrhundert der Reformation' und kündigte
am Ende desfelben vorliegendes Buch bereits an. Das-
felbe fleht denn auch zu jenem in engfter Beziehung
und führt aus, was dort angedeutet war.

Das Buch zerfällt in 6 Kapitel, deren überfichtliche
Nebeneinanderftellung in einem Inhaltsverzeichnis man
leider vermifst. Das erfte Kapitel (S. 1—8) behandelt
die gottesdienftlichen Verhältniffe Nördlingens im erften

l) Bei diefer Gelegenheit fei ein Irrthum meines Referats über
.Beiträge zur Reformationsgefchichte' (Theol. Lit.-Ztg. 1897, Nr. 4,
Sp. 102 ff.) berichtigt: meine Ausstellung an Albrecht's Unterfuchung betr.
die J. Straufs'fchen Wucherfermone ift, wie ich nachträglich fehe, in fo
fern nicht zutreffend, als Strobel a. a. O. S. Ii ff. Straufs' kleiner Sermon
in extenfo abgedruckt ift neben den Auszügen aus dem gröfseren .

Sermon a. a. O. 1 der Ordnung von 1542 erwähnt S. 22 vgl. S. 60) Stoff

Vorverhandlungen mit dem Rath zeigen uns, dafs ein
"auptdifferenzpunkt die Beichtanmeldung der Confitenten
war, auf die Löner fehr grofses Gewicht legte, zu der
die Nördlinger fich aber nicht bequemen wollten. —
Dafs auch Nördlingen der Noth des Interims fich fügte,
lehrt KapitellV: die Interimsordnung von 1548 (S. 38—45).
Auf Grund der Nürnberger Interimsordnung vom Stadt-
fchreiber Wolfgang Vogelmann verfafst, zeigt fie eine
feltfame Vermifchung alt-römifcher und evangelifcher
Beftandtheile; fie ift aber wohl nie ganz zur Ausführung
gekommen. — Melchior Runtzler's Kirchenordnung vom
Jahre 1555 (Kapitel V. S. 45—62) ftellt, indem fie be-
fonders aus der Württemberger Ordnung vom Jahre 1553
manches herübernimmt, die früheren Verhältniffe auf
Grund der Ordnung von 1544 wieder her. — Eine
weitere Ausführung der Runtzler'fchen Arbeit ift die
Kirchenordnung von 1579, die, in Kapitel VI (S. 62 ff.)
mit jener verglichen, neben der Superintendenzordnung
von 1581, der Eheordnung von 1578 und der Schulordnung
den Schlufs des Buches macht.

Namentlich dem Liturgiker wird Geyer's Schrift
manche Ausbeute bei feinen Studien gewähren; da fie
aber, wie fchon aus ihrem Titel und auch aus des Unterzeichneten
kurzem Referat hervorgeht, fich nicht auf die
liturgifchen Partien der Kirchenordnungen befchränkt, fo
kann fie für alle durch die kirchlichen Ordnungen berührten
Gebiete (z. B. Katechismus: S. 14, 48 f., 52, 56,
72f., 79ff; Kirchenbücher: das erfte Kirchenbuch bei