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Ausgabe:

1897 Nr. 9

Spalte:

260

Autor/Hrsg.:

Broecker, A. v. (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Zeitschrift für die evangelisch-lutherische Kirche in Hamburg. 1. u. 2. Bd. 1894/96 à 6 Hefte 1897

Rezensent:

Schultze, E.

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259

Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 9.

260

Dafs man Unrecht habe, wenn man heutzutage nicht j
eben viel Geschmack mehr daran hat, kann ich nicht
finden, und ich bin auch durch den Verfaffer keines
Beffern belehrt worden. Den Vorzügen, die er ihr in
feinem Vorwort nachrühmt, flehen Nachtheile genug entgegen
, und dafs fie, wie der Verfaffer meint, zu gröfserer
Entfchiedenheit und Klarheit nöthige, kann ich nicht anerkennen
. Ich finde dagegen, fie erschwert die Ueber-
ficht, fie begünftigt Abfchweifungen und fie legt dem
Schriftfteller, der fich ihrer bedient, Rückfichten auf, die
er fonft nicht zu nehmen brauchte, wie namentlich die
künftlerifche Pflicht, die Charaktere der fich unterredenden
Perfonen ftreng durchzuführen oder glaubwürdig zu entwickeln
. Mit feinem Albert wenigftens ift das dem Verfaffer
nicht ganz gelungen. Denn während Albert anfänglich
als ein Gebildeter gezeichnet wird, der zwar nicht
Atheift ift, aber dem das Chriftenthum, die Kirche und
die Theologie recht fremde Dinge find, fo verräth er
fpäter manchmal recht erflaunliche theologifche Kennt-
niffe, die in feinem Munde doch nicht recht glaubhaft
find.

Aber ich will mit dem Verfaffer nicht um dieForm rechten
, in der er feine Erörterungen giebt. Er fagt nun ferner
im Vorwort, es handle fich in feinen Gefprächen nicht um
Apologetik, fondern um Dogmatik, und er meint insbesondere
jüngeren Theologen in ihren Gewiffensbedenken bei-
ftehen, aber auch gebildeten und ungebildeten Laien dienen
und helfen zu können. Wasallerdingsgewöhnlichunterdem
Namen Apologetik ausgegeben wird, und weswegen der
Verfaffer es auch wohl ablehnt, als Apologet gelten zu
wollen, davon findet fich in dem vorliegenden Buche
wenig genug. Dem Verfaffer felbft liegt zu viel an den
.Kernfragen' und an deren verftändnifsvoller Erfaffung,
als dafs er Gewicht darauf gelegt hätte, gewiffe periphe-
rifche Vorsehungen zu retten, aufweiche die Apologeten
fonft oft viel Gewicht legen. Dennoch reiht fich die
vorliegende Schrift, fchon blos wegen der Situation, die
ihr den Rahmen giebt, der apologetifchen und nicht der
dogmatifchen Literatur ein. Und da fie Apologetik im
guten Sinne enthält, eignet fie fich auch wohl dazu,
junge Theologen oder auch Laien in das Verftändnifs
der Kernfragen des Chriftenthums einzuführen.

Die Themata, die der Verfaffer in fiebzehn Gefprächen
behandelt, find folgende: Das Jenfeits'; .Unterricht im
Chriftenthum'; Die apoftolifchen Briefe; ,Unfer Vater,
der du bift im Himmel'; Die Liebe und ihr Werk; Die
Offenbarungen der Liebe; Das Leben Jefu; .Erworben,
gewonnen von allen Sünden'; Erlöft; Im Dienfte der
Liebe; ,Durch das Evangelium berufen'; Die Kirche;
Trinität; Das allgemeine Priefterthum der Gläubigen;
Das Gottesreich; Auferftehung des Leibes; Religion und
Theologie.

So fehr ich im Ganzen die Tendenz des Verfaffers
billige und manche Ausführungen auch für gut gelungen
halte, fo kann ich ihm doch in anderem wieder nicht bei-
ftimmen und finde namentlich einige feiner fpäteren Aus-
einanderfetzungen, z. B. die über die Trinität. nicht
glücklich. Eine Unebenheit in der Methode verräth fich
in Folgendem. S. 107 heifst es: .Nicht auf einzelne, vielleicht
gar aus dem Zufammenhange geriffene Bibelworte
bauen wir unfere Lehre, fondern faffen den Mittelpunkt
der ganzen Bibel ins Auge und beurtheilen von ihm aus
die verfchiedenen Ausfagen'. S. HO wird dann als
Kriterium für die Feftftellung der werthvolleren Theile
des N. T. ,die Offenbarung der Liebe in Chrifto' geltend
gemacht, und in diefem Zufammenhange Johannes der
Vorzug vor Paulus zugefprochen. S. 169 aber wird die
Gültigkeit der Symbole im Sinne des quatenus darauf
zurückgeführt, dafs fie fich auf unzweideutige und unbe-
ftrittene Lehren der heiligen Schrift zu gründen' hätten.
.Unzweideutig' und unbeftritten find indeffen doch auch
manche in den Symbolen reproducirte ,Lehren der hl.
Schrift', die nach dem zuerft aufgeftellten Kanon des

Verfaffers unverbindlich find. Und insbefondere werden
in der von dem Verfaffer S. 170 acceptirten Formel,
dafs die Symbole an der hl. Schrift zu prüfen feien, das
A. und das N. T. einander einfach gleichgeftellt. Der
Verfaffer betont aber fonft wiederholt die Minderwertigkeit
der A. T.liehen Gotteserkenntnifs gegenüber der
N. T.lichen.

Auf die fprachliche Seite feiner Arbeit hat der Verfaffer
nicht immer die nöthige Sorgfalt verwendet. Man
kann wohl fagen, dafs die Symbole einen ,Anfpruch erheben
', nicht aber, dafs fie auch eine .Pflicht haben'.
(S. 169). Ferner ift es ein Conftruktionsfehler, wenn der
Verfaffer S. 147 fagt, es werde fchwer, .überhaupt noch
von der Bibel als ein Ganzes zu fprechen', und ein
Sprachfehler, wenn es S. 148 heifst .hinfichtlich feines'
ftatt .hinfichtlich feiner'. .Kulturfache' (S. 190 Z. 16 v. o.)
ift wohl ein Druckfehler für .Kulturftufe'. Endlich liebt
der Verfaffer den Archaismus, ftatt ,wenn' ,fo' zu fetzen.
Man ift es ja allenfalls bei manchen Geifllichen gewöhnt,
dafs fie gern in der Sprache der lutherifchen Bibelüber-
fetzung reden. Wenn aber der mit feinem geifllichen
Freunde colloquirende Profeffor der Chemie auch fehr
oft jenes ,fo' anwendet, fo fällt er doch recht gründlich
aus der Rolle, die ihm der Verfaffer zugetheilt hat.

Bonn. O. Ritfchl.

Zeitschrift für die evangelisch-lutherische Kirche in Hamburg.

Hrsg. von Paft. A. v. Broecker. 1. u. 2. Bd. 189496.
ä 6 Hfte. Hamburg, Gräfe & Sillem. ä M. 5.—

Diefe in Heften mit zwanglofer Reihenfolge feit
1894 erfcheinende Zeitfchrift ift in veränderter Form die
Fortfetzung der im Jahre 1885 mit ihrem fünften Jahrgang
eingegangenen, von Hauptpaftor Behrmann herausgegebenen
Monatsfchrift für die evangelifch-lutherifche
Kirche im hamburgifchen Staat. Sie will dem Bedürfniss
nach einem Organe, in welchem die Arbeiten und Aufgaben
der hamburgifchen Kirche vor einem gröfseren
Kreife als den unmittelbar Betheiligten, befprochen
werden können, abhelfen und hat es fich zur Aufgabe
geftellt, alle diefe Arbeiten und Aufgaben eingehend zu
erörtern, fchliefst dabei jedoch alle auf Bekenntnifs und
Lehre fich beziehenden Fragen grundfätzlich aus. In
den zwei Jahren ihres Beftehens hat fie fich als ein
fleifsig benutzter und nützlicher Sprechfaal für diemannig-
fachften Gegenftände des praktifchen, kirchlichen Lebens
und ein willkommenes Organ für die Veröffentlichung
kirchlicher Nachrichten, Gefetze und Verordnungen er-
wiefen. Namentlich die ernften, durch die rapide Entwicklung
der Grofsftadt hervorgerufenen organifatorifchen
Fragen haben eine vielfeitige und gründliche Erörterung
erfahren. Das vorletzte der bisher erfchienenen Hefte,
das erfte des dritten Bandes, bringt aus der Feder des
am 15. December 1896 heimgegangenen Hauptpaftors
D. Röpe einen bedeutfamen Artikel über die gegenwärtige
, durch wichtige Verfaffungsänderungen neu ge-
fchaffene Lage der hamburgifchen Kirche: ein Ver-
mächtnifs des unerfetzlichen Mannes an feine geliebte
Vaterftadt.

Hamburg. E. Schultze.

Erklärung.

Bezüglich der von Profeffor Ritfchl-Bonn in feiner Recenfion in der
,Theol. Literaturzeitung' geübten Kritik des I. Bandes meiner Unterfuchun-
gen: ,Zur Gefchichte des religiöfen Erkenntnifsproblems' habe ich Folgendes
feftzuftellen:

1. Obwohl der Recenfent felber erklärt, dafs ich ihn durch meine
genaue Quellenangabe allein in den Stand gefetzt habe, meine Ausführungen
mit den Quellen zu vergleichen, nennt er das Buch wiederholt
ein .Plagiat'.

2. Obwohl der Recenfent felber erklärt, dafs ich mich jeglicher
Polemik gegen anders denkende Theologen enthalten habe, tragen
feine Ausführungen den Charakter einer fcharfen Polemik, die den
Boden einer vornehmen fachlichen Controverfe verlaffen hat.