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Ausgabe:

1897

Spalte:

253-255

Autor/Hrsg.:

Lecanuet, R. P.

Titel/Untertitel:

Montelembert. Sa jeunesse. 1810-1836 1897

Rezensent:

Schott, Theodor

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 9.

254

Lecanuet, R. P., Montalembert. Sa jeunefse. 1810—1836.
Paris, Poufsielgue, 1895. (IV, 506 S.) frs. 5.

.Eine fchöne Menfchenfeele finden ift Gewinn', diefe
Auffchrift könnte man verfucht fein, diefem Buche als
Motto voranzuftellen; denn der Verfaffer hat die Jugendzeit
des Grafen Montalembert fo rein, fo fchön und ideal
gefchildert, dafs man feinen Helden beinahe unwillkürlich
lieb gewinnen mufs, er hat fo viel Licht über ihn
ausgegoffen, dafs für den Schatten kein Raum mehr
übrig bleibt. Montalembert verdient es, einen Biographen
zu finden, der mit dem Finger der Liebe und Anhänglichkeit
feine Gefchichte fchreibt; denn von jenen Jüngern
und Beförderern des Neukatholicismus, der im Anfange
diefes Jahrhunderts aufkam, ift er zwar nicht der genialfte,
geiftig am höchften flehende, wohl aber der reinfte und
uneigennützigfte unter den Laien. Von feiner früheften
Jugend an hat er auf dem Kampfplatze geftanden, uner-
müdet und unerfchrocken, das ganze Gewicht feiner
Stellung, feiner mächtigen rednerifchen Begabung hat er
dabei aufgeboten; was er gethan, hat er ftets aus vollfter
Ueberzeugung ohne Nebenabfichten und perfönliche
Vortheile gethan; den katholifchen Intereffen zu dienen,
war fein Lebensziel und Beruf, — den er fich felbft mit
vollfter Ueberzeugung gefleckt hatte, ein moderner
Kreuzritter hat er ihnen gedient und mit dazu geholfen,
die Macht der katholifchen Kirche, des Papftthums auf
die Höhe zu erheben, die es nun erreicht hat. Aber
als die Saat aufgegangen war, da mufste auch er der
Tragik jedes menfchlichen Lebens feine Schuld bezahlen
und zu feinem Schmerze erkennen, dafs die Geifter, die
er gerufen, andere Bahnen einfchlugen und ihn auf die
Seite drängten; man fagt, das vaticanifche Concil und die
kommende Unfehlbarkeit habe ihm das Herz gebrochen.
Den Werdegang eines folchen Mannes genau kennen
zu lernen, ift gewifs der Mühe werth, auch für proteftan-
tifche Theologen fehr lehrreich, da die Anfchauungen,
welche dabei zu Tage treten und als das felbftverftänd-
lichfte von der Welt dargeftellt werden, die Evange-
lifchen nach den verfchiedenften Seiten hin fremdartig
berühren. Der Oratorianer Lecanuet, den Legitimiften
Frankreichs durch ein vielaufgelegtes Werk über Berryer
bekannt, beabfichtigt hier in umfangreicher Weife das
Leben Montalemberts zu fchildern; fchon die 26 erften
Lebensjahre füllen einen Band von mehr als 500 Seiten,
und doch war der Graf, wenn er auch fchon viel erlebt
und manches gewirkt hatte, als Jüngling noch in den
Anfängen feiner Thätigkeit. Hoffen wir, dafs dem Verfaffer
Zeit und Mufse vergönnt ift, die ereignifs-
reicheren und wichtigeren Perioden diefes Lebens dar-
zuftellen! Aber wenn auch der Faden der Biographie
etwas breit gefponnen wird, fo hat dies andererfeits einen
grofsen Werth nicht blofs für das pfychologifche Ver-
ftändnifs feines Charakters, fondern weil in die Lebens-
gefchichte des einzelnen Mannes ein gutes Stück zeitge-
nöffifcher Kirchengefchichte mit hineinverwoben ift.

Der Verfaffer war in der glücklichen Lage, einmal
Montalembert noch perfönlich gekannt, zwei Jahre lang,
wie er fchreibt, beinahe in täglichem Verkehr mit ihm
geftanden zu haben, dann aber wurden ihm auch feine
Papiere, Briefe und anderes, befonders fein Tagebuch
zur Benutzung anvertraut. Von Klein auf hatte der
Graf ein folches geführt, in welchem er feine innerften
Gedanken niederlegte: für den ganzen Zuftand feiner
Seele, für die Erkenntnifs feiner Entwicklung ift diefe
Quelle wohl die wichtigfte, denn es ift nichts anderes als
eine gewiffenhafte Beichte und mufs daher auch als folche
betrachtet werden mit allen Folgerungen daraus. Die
reichlich daraus mitgetheilten Proben, mit dem ganzen
Pathos, das Montalembert in alle Reden, Schriften und
Briefe, wie von feinem erregbaren Blute getrieben, hineinlegte
, find auch für den proteftantifchen Lefer höchft in-
tereffant, der Ernft und die tiefgegründete Ueberzeugung

des Schreibers kommen in vollfter Weife darin zum
Ausdrucke und die Anführung des oben erwähnten Aus-
fpruchs von Herder findet gerade hierin ihre Berechtigung
. In der That als anziehende, feffelnde Geftalt
erfcheint der Graf auch fonft in allem wie ihn der Verfaffer
fchildert: ein reiner unverdorbener Jüngling voll
Enthufiasmus für feine Religion, voll Intereffe für die
Kunft, voll Eifer für das Studium und wenn er auch, der
Befitzer eines mäfsigen Vermögens, fein Brot nicht dadurch
verdienen mufs, fo fleht er fich doch in allen
möglichen Wiffenfchaften um, nafcht auch an der deutfchen
Philofophie und wenn ihm die fcharfe Kritik Kant's bald
entleidet, fo verfenkt er fich um fo freudiger in die
Myftik von Sendling, Baader, Görres. Seine Eltern
hatten wenig Einflufs auf feine Entwicklung; feine Mutter
war eine proteftantifche Engländerin, die aber fpäter zum
Katholicismus .bekehrt wurde', fein Vater ein Edelmann
aus alter Zeit, noch von Voltaires Geifte ftark angehaucht;
der Grofsvater Forbes hatte den Enkel bis zum 9. Jahre
bei fich, feine Einwirkung kann ich nicht fo hoch ftellen,
wie Lecanuet, dagegen fcheinen mir feine geiftlichen
Lehrer in Paris, wohin er Ende 1819 gekommen war, die
beftimmenden Faktoren für feine Richtung gewefen zu
fein. Reich begabt, befonders auch mit einem be-
merkenswerthen Sprachtalent, früh zum Manne gereift,
durch Familie und Freundfchaft bald mit allen litera-
rifchen und andern Berühmtheiten Frankreichs bekannt
, erfüllt von dem doppelten Beftreben, fich zu vervollkommnen
und etwas Bedeutendes für Frankreich zu
leiften trat er, von einer Reife nach Irland zurückgekehrt,
wo er O. Connell kennen gelernt, in Verbindung mit
Lamennais und durch diefen mit Lacordaire (Novb. 1830).
Für lange Jahre feines Lebens ift diefe beftimmend gewefen
, Lamennais wurde ,der Meifter', deffen Ideen und
Worte Montalembert gläubig in fich aufnahm und eifrig
verfocht und verbreitete, Lacordaire wurde der Freund,
der klug und befonnen auf den Grafen den gröfsten
Einflufs ausübte. Beftimmend war diefer Bund auch für
die Geftaltung des Buches; denn in grofser Ausführlichkeit
entwickelt der Verfaffer die Ideen des Avenir,
die Gefchichte des Journals wie die feiner Redakteure,
man könnte hier und da meinen, Lamennais fei an die Stelle
von Montalembert gefetzt worden; aber wir machen dem
Verfaffer diefen Vorwurf nicht, weil die umfangreiche
Darfteilung diefer Zeit einen wichtigen Beitrag für die
innere Gefchichte des Katholicismus in jener Epoche
bildet, und der Lefer dadurch reichlich entfehädigt wird.
Alle die Einzelheiten des eigenthümlichen Kampfes, den
Lamennais mit Rom ausfocht, bis zu den beiden Ency-
kliken vom 15. Auguft 1832 und 7. Juli 1834, ziehen an
uns vorüber, ebenfo der innere Kampf, den Montalembert
zwifchen der Anhänglichkeit an den geiftesgewaltigen
Freund und der Unterwerfung unter den Papft zu
beftehen hatte; dafs die Entfcheidung für den Papft
ausfiel, war bei der Naturanlage des Grafen zu erwarten.
Es ift dies eigentlich die erfte innere Krifis, welche fein
Glaube bei feinem fonft fo gleichmäfsig verlaufenden
Entwickelungsgang zu überwinden hat; Kunftftudien und
hiftorifche Arbeiten geben dann dem verwundeten Ge-
müth Heilung und Fertigkeit. Die heilige Elifabeth, in
deren kurzem Erdenwallen er das Bild eines geliebten
Schatten (feiner früh verdorbenen Schwerter gleichen
Namens) findet, nimmt ihn mit ihrem frommen Dulden
gefangen; ihr Leben, zu welchem er ausgedehnte Studien
in ganz Deutfchland macht, ift fein erftes gröfseres lite-
rarifches Werk, und die Heilige belohnte nach dem Ausdruck
des Verfaffers ihren Biographen durch die Hand
einer adeligen Dame aus ihrem Stamme, Maria Anna
de Merode; die Heirath, die Reife der Neuvermählten
nach Rom und die Audienzen bei Gregor XVI. fchliefsen
diefen erften Band.

Noch einige wenige Bemerkungen über das Buch
felbft: wie der Verfaffer feinen Helden auffafste, hat