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Ausgabe:

1897 Nr. 1

Spalte:

5-6

Autor/Hrsg.:

Nikel, Johs.

Titel/Untertitel:

Herodot und die Keilschriftforschung 1897

Rezensent:

Jensen, Peter

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 1.

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trägt. Und ehe wir zu der Annahme greifen, dafs fich
Chriftus als eine Art Incarnation Bel-Marduk's gefühlt
und in feinem himmlifchen Vater deffen Vater fa(t), im
heiligen Geift Bel-Marduk's Sohn und Bevollmächtigten
Nabtt-Nebö proklamirt habe, müfste doch zunächft der
Beweis dafür erbracht werden, dafs die Urfprünge der
Trinitätslehre nicht in dem fchöpferifchen religiöfen Ingenium
Jefu gefucht und deren Entwicklung und Weiterbildung
bei feinen Jüngern und Gläubigen ohne Beein-
fluffung von aufsen, wenn auch nur durch babylonifche
Ideen, die bereits ins Judenthum aufgenommen waren,
nicht gedacht werden können. Aber wer wird das be-
weifen wollen? Was bleibt dann übrig? Die Wefensver-
wandtfehaft zwifchen Chriftus und Marduk. Aber Niemand
leugnet mehr, dafs das Bild Chrifti, wie es die
Evangeliften zeichnen, im Wefentlichen hiftorifch ift. Alfo
bleibt für Spekulationen nichts übrig, und das Phantom
zerrinnt.

Marburg. Jenfen.

Rogers, Prof. Rob. W., Ph. D., D. D., Outlines of the
history of early Babylonia. Leipzig, Stauffer, 1895. (XI,
71 S. gr. 8.) M. 2.—

Eine populäre üarftellung deffen, was man von
altbabylonifcher Gefchichvte bis zum Ende der sogenannten
Dynaftie von Pa-Se (di. Isin-Isin; s. vorläufig Z.
f. Assyr. XI, 90) wiffen kann und zu wiffen glaubt. Von
Eigenem hat der Verfaffer Nichts beizufteuern gehabt
und fich fomit darauf befchränken müffen, unter den
Hypothefen und Theorien Anderer, guten und fchlechten,
eine Auswahl zu treffen, wobei er namentlich WiNCKLER
durch Feuer und Waffer folgt. Wir haben die gröfst-
mögliche Hochachtung vor WlNCKLER's bedeutenden
Talenten und glauben, dafs auch nach einer gründlichen
Sichtung feiner vermeintlichen und wirklichen Errungen-
fchaften foviel gutes Korn übrig bleibt, dafs er mit feinen
Leiftungen zufrieden fein kann. Aber dem ift foviel
taubes beigemifcht, dafs nur felbftftändige Arbeiter
feine Schriften ohne Gefahr benutzen können, und darum
kann er für Leute wie Rogers, dem das Herz im
Leibe hüpft, wenn er an den ,always a pioneer1 SAYCE
denkt (f. p. 49 Anm. 1), oder der der Ueberzeugung ift,
dass WiNCKLER in die leidige lar kilsati-Frage mehr
Licht gebracht hat als irgend Jemand fonft (p. 8 Anm. 3),
nicht der Leitftern fein. Auf Einzelnes einzugehn ift hier
umfoweniger der Ort, als rogers, wie fchon gefagt, nichts
Neues bringt und darum eine Kritik weniger ihm als
feinen Gewährsmännern gelten würde, und weil es Abend
werden würde, ehe wir all' ihre Irrthümer beleuchtet
hätten, die von jedem richtigen Affyriologen als Glaubensartikel
verehrt werden müffen.

Wer fich über den Stand der altbabylonifchen Ge-
fchichtsschreibung im Jahre 1895 in Kürze orientiren
will, dem ift Rogers' Arbeit, trotzdem er fich nicht überall
gleich gut informirt zeigt, zu empfehlen. Er hat, das
darf man anerkennen, verfocht, gewiffenhaft zu fein.

Marburg. Jenfen

Nikel, Relig.- u. Gymn.-Oberlehr. D. Johs., Herodot und
die Keilschriftforschung. [Aus: ,28.Bericht d. Philomathie
zu Neiffe'.] Paderborn, F. Schöningh, 1896. (III, 91 S.
gr. 8.) M. 2. —

Eine Unterfuchung mit dem zu erwartenden Ergebnis
: Wahrheit und Irrthum, wobei der Verfaffer bisweilen
mehr zu retten fucht als zu retten ift und die Infchriften
für Herodot Zeugnis ablegen läfst, wo fie nicht zeugen
können. So finde ich gegen Nikel (p. 296°.), dafs die Angaben
Herodot's über die Lage des Beltempels und der
Königsburg von Babylon fich vorläufig nicht mit denen

der Keilfchrifttexte vereinigen laffen. Auf der anderen Seite
glaube ich (gegen NiKEL, p.65), dafs die Nachrichten der
Keilinfchriften über den umman-manda Aftyages uns nicht
dazu zwingen, die Angabe des Herodot, dafs Aftyages ein
Meder war, preiszugeben. Umman-manda heifst,vielvolkig',
,vielheerig' und bezeichnet den Aftyages als Anführer
eines grofsen Heeres, läfst aber keinen Schlufs auf feine
Nationalität zu. Und wenn der Kronprätendent Fravartis
unter Darius feinen Stammbaum auf Kyaxares, nicht aber
auf Aftyages zurückführt, fo zwingt das nach JUSTI
nicht zu dem Schlufs, dafs Aftyages nicht der Sohn des
Kyaxares war. Aftyages mag — fo JUSTI — kinderlos ge-
ftorben fein, was den Zeitgenoffen des Fravartis noch bekannt
fein konnte und darum ihn davon abhalten mufste,
fich von Aftyages herzuleiten.

Zum Glück hat der Verfaffer noch keine Kenntnis
von einer kürzlich veröffentlichten, viel befprochenen In-
fchrift Nabuna'id's. Denn fonft würde wohl auch er —
und dabei würde er fich in befter Gefellfchaft befunden
haben — aus ihr Angaben über den Untergang des affy-
rifchen Reichs herausgelefen haben. Davon fteht aber
leider keine Silbe im Text.

Der Verfaffer zeigt fich leidlich orientirt. Seltfame
Verfehen find es, wenn er (p. 17) Sippar im Often von
Babylon gelegen fein läfst, oder meint, dafs Tiglatpilefer
III ,nach einer anderen Zählung' der zweite diefes
Namens war (p. 50 A.). Wenn er TiELE dafür als Gewährsmann
anführt, hat er S. 613 in deffen ,Gelchichte'
überfehen. Auffallen mufs es, dafs er nicht zu wiffen
fcheint, dafs bereits BÜDINGER die von ihm befürwortete
Genealogie für die Achämeniden (p. 73) aufgeftellt hat,
noch mehr aber, dafs er nicht gemerkt zu haben fcheint,
dafs feine gelegentlich gegebenen Ueberfetzungen affy-
rifch-babylonifcher Infchriftenftellen mit denen in der
Keilinfchriftlichen Bibliothek fo gut wie wörtlich
übereinftimmen. Und doch mufs er, wie man bemerken
kann, auf fie angewiefen gewefen fein.

Nach p. 48 Anm. 2 lebte der Verfaffer des Buches
Daniel vor Herodot, weil zu feiner Zeit die Tradition
über den Urheber der grofsen Bauten in Babylon lebendiger
war, als zu den Zeiten Herodot's. Wenn fich alle
Probleme doch fo leicht erledigen liefsen!

Dies zur Kennzeichnung des bibelkritifchen Standpunkts
des Verfaffers. Das Buch wird Fernerftehenden und
Laien nicht unwillkommen fein, aber dem Eingeweihten
bietet es kaum irgend welche wichtigere neue und fichere
Ergebniffe.

Marburg. Jenfen.

Schwarz, Frz. v., Sintfluth und Völkerwanderungen. Mit

11 Abbildungen. Stuttgart, Enke, 1894. (XVIII,
552 S. gr. 8.) M. 14.—

,Le deluge biblique n'a pas laisse de traces materielles
', diefen Satz hat R. de Girard in feinem Buche Le
deluge devant la critique historique, 1893 S. 321 (f. Theol.
Lit.-Ztg. 1894 No. 25 Sp. 632) als ein ficheres Ergebnifs
der Geologie hingeftellt. Im geraden Gegenfatz hiezu
ift nun aber Fr. v. Schwarz auf Grund feiner in Turkeftan
gemachten geologifchen Entdeckungen zu einer neuen
und ganz beftimmten Anficht über den Ort, den Verlauf
und die Zeit der Sintfluth gelangt, und mit wahrer
Begeifterung hat er keine Mühe gefcheut, in feinem
grofsen Werke ,Sintfluth und Völkerwanderungen', deffen
verfpätete Anzeige allein dem Ref. zur Laft fällt, den
Beweis für die Richtigkeit feiner Anficht zu erbringen.
Sein Buch foll die glücklich gelungene Probe fein für
die neue Entdeckung.

Die Einleitung ftellt feft, dafs die Sintfluth keine
allgemeine Ueberfchwemmung der Erde gewefen ift, und
gibt ein ausführliches Verzeichnifs aller bekannten Fluth-
fagen, allein mit Ausfchlufs derjenigen, welche unzweifel-

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