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Ausgabe:

1897 Nr. 8

Spalte:

220-222

Autor/Hrsg.:

Kirn, Otto

Titel/Untertitel:

Ausgangspunkt und Ziel der evangelischen Dogmatik 1897

Rezensent:

Kaftan, Julius

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 8.

220

nur fich bemüht zu zeigen, dafs die Serben eine Gefchichte
gehabt haben, die fie bedeutfam und achtungswerth ericheinen
laffe. R. kennt meine Skizze der Entftehung
und Verfaffung der verfchiedenen ferbifchen Nationalkirchen
in dem ,Lehrbuch der vergleichenden Confeffions-
kunde' I, S. ijßff. nicht, ebenfowenig die dort namhaft
gemachte deutfche Litteratur, nach der man zum Theil
fich ein klareres Bild von der Gefchichte der Balkanländer
, zumal auch der Serben, ihrer Staats- und Kirchenbildungen
, machen kann, als bei ihm. Es ifl ein Hauptmangel
feiner Darftellung, dafs fie durchweg zu kurz ift, j
um anfchaulich zu fein. Auch fcheint fie mannigfach der ;
nöthigen Kritik zu entbehren. Z. B. giebt R. an, dafs
der heil. Sawa, der Begründer des autokephalen ferbifchen
Archiepifkopats im Beginn des 13. Jahrhunderts, zwölf
Eparchieen gehaftet habe. Ruzic, deffen Schrift über
die Errichtung diefes Archiepifkopats ich in diefer
Zeitfchrift 1894, Col. 213 f., anzeigte, glaubt nachweifen
zu können, dafs diefe Zahl irrig fei. Unfer Verfaffer
nimmt von jener, unter Gelzer's Oberleitung abgefafsten
Studie überhaupt keine Notiz. Willkommen ift in vorliegender
Schrift am meiften die Darftellung der Ver-
hältniffe der Gegenwart. Ich fehe mit Genugthuung, dafs
ich die Hauptfachen alle richtig angegeben habe. Doch
wäre es auf Grund diefer Arbeit möglich, Einiges detail-
lirter auszuführen. Umgekehrt vermiffe ich freilich Vieles,
was darzuftellen für den Verfaffer eine Kleinigkeit ge-
wefen fein dürfte und was er vielleicht nur in der Meinung,
dafs es für deutfche Lefer kein Intereffe habe, übergangen
hat, befonders eine concrete Darlegung der momentanen
Verfaffung im Königreich — ich würde gern die Probe
daraufgemacht haben, ob das, was ich mir aus mancherlei
Zeitungsnotizen klar zu machen gefucht habe, richtig
fei. Es giebt gegenwärtig, wie R. fagt, ,fieben felbftändige
Hierarchien' der Serben. Richtiger wäre zu fprechen
von heben ,von einander getrennten Kirchengebieten
im Bereiche der ferbifchen Nationalität" (foweit diefe ]
orthodox ift — von den römifch-katholifchen Croaten
ist dabei ganz abgefehen!). Die drei wichtigften ferbifchen
,Kirchen' find die im Königreich, die von Karlowitz, und
die im Fürftenthum Montenegro. Ich habe von R. gelernt,
dafs die ferbifche Kirche Oefterreich-Ungarns nicht einheitlich
ift, d. h. nicht mit allen ihren Bisthümern unter
dem Patriarchen von Karlowitz fleht, indem die dalma-
tinifchen Eparchieen (Zara und Cattaro) vielmehr ,mit
der rumänifchen Metropolie von Cernovitz in der Bukowina
vereinigt' find. Das hat den politifchen Hintergrund,
dafs Dalmatien und die Bukowina zu Cisleithanien gehören
, wobei man die Serben und Rumänen diefer Hälfte
der Monarchie offenbar defshalb combinirt hat, weil beide
für fich zu wenig zahlreich find. Die von Oefterreich
okkupirten Länder Bosnien und Herzegowina bilden nach
R. die vierte ferbifche Kirche, die er als eine ,halb-
felbftändige Metropolie' bezeichnet. Der Sachverhalt,
den er damit characterifiren will, wäre einer genaueren
Schilderung werth gewefen. Wenn ich a. a. O. 179 bemerkte
, dafs es mir nicht klar fei, ob Oefterreich die I
Kirche der beiden genannten Provinzen vom ökumenifchen
Patriarchen in Konftantinopel losgeriffen habe, fo erfahre
ich jetzt von R., dafs das in der That nicht der Fall
ift. Er hebt hervor, dafs fie in ,geiftlicher Vereinigung'
mit diefem Patriarchen geblieben. Also sind fie nicht
mehr in jurisdiktioneller Abhängigkeit von demfelben?
Und heifst das, dafs die Bifchöfe für fie nicht mehr von
der Synode in Konftantinopel gewählt werden? Wie
werden fie denn gewählt oder ernannt? Hat der öku-
menifche Patriarch noch das Recht der Beftätigung? Als
fechste ferbifche Kirche nennt R. diejenige ,in den
Provinzen Macedonien und Altferbien', die politifch noch
ganz zur Türkei gehören. Diefe Kirche hat jedoch dermalen
überhaupt noch keinen definirten ferbifchen Cha- j
rakter. Es handelt fich nur darum, dafs in Altferbien
und strichweife in Macedonien viele Serben leben, kirch-

lieh ungefchieden von den Griechen etc. Indem ich diefe
Zeilen fchreibe, lieft man in den Zeitungen von den
Wirren, die die Neubefetzung des Metropolitenfitzes von
Uesküb (Skoplje in Altferbien) mit einem befonders fa-
natifchen Griechen heraufbefchworen haben. Die Serben
in diefer Metropolie haben einen unzweifelhaften Billig-
keitsanfpruch darauf, dafs einer ihrer Volksgenoffen das
geiftliche Scepter führe. Aber freilich haben fie dabei
politifche Hintergedanken, die die Griechen nur nicht
minder haben. Die Serben drohen nun mit einem
Schisma, falls man ihnen in Konftantinopel nicht nachgebe
, nämlich mit einer Spaltung der Metropolie nach
nationalen Rückfichten und mit Verfelbftändigung der
Serben als folcher unter einem nationalen Bifchof. Ich
geftatte mir zur Beurtheilung derartiger Beftrebungen
hinzuweifen auf meinen Auffatz über das bulgarifche
Schisma in der Chriftl. Welt 1896, Nr. 19. Es fleckt
eine eigenthümliche kanonifch rechtliche Frage in den-
felben. Als fiebente ferbifche ,Hierarchie' rechnet R. die
Gemeinden von Serben im Fürftenthum Bulgarien, die
aber auch nicht ,felbftändig' find, fondern vielmehr dem
bulgarifchen Exarchat angegliedert find. — Zum Schluss
erlaube ich mir noch die Notiz, dafs die neue Zeitfchrift
Revue de VOrient chretien in ihrem Supplement trime-
striel ie annee (1896), eine Artikelferie über La Serbie
chretienne von Baron d'Avril enthält.

Giefsen. F. Kattenbufch.

Kirn, Prof. Dr. Otto, Ausgangspunkt und Ziel der evangelischen
Dogmatik. Rede, gehalten zum Antritt des
akademifchen Lehramts an der Univerfität Leipzig am
4. Juli 1896. Leipzig, Dörffling & Franke, 1896.
(21 S. gr. 8.) M. -.50

Es fcheint auffallend — fo führt der Verf. aus —
dafs die Dogmatik, die lange im Mittelpunkt der Wiffen-
fchaft geftanden hat, noch immer über ihre Grundlegung
und Methode im Unklaren ift. Sieht man näher zu, fo
ergiebt fich, dafs weniger die im engeren Sinn dogma-
tifchen Fragen als die Grenzfragen, die das Verhältnifs
zum übrigen Wiffen betreffen, diefe Unficherheit ver-
fchulden. Und da ift's denn begreiflich, dafs der Verfuch
gemacht wird, die Dogmatik ganz auf fich felbft zu
ftellen, fowohl was den Ausgangspunkt als was das Ziel
betrifft. Fraglich ift, ob es gelingt und gelingen kann.
Der Redner läfst nun die verfchiedenen derartigen Ver-
fuche Revue paffiren, einmal die, die fich wie die kon-
feffionelle oder ftreng biblifche Dogmatik auf die ge-
fchichtlich gegebenen Inftanzen — Dogma und Bibel —
als die in der Dogmatik entfeheidenden berufen, und
fodann die, die wie Schleiermacher und Ritfehl das
fubjektive religiöfe Bewufstfein, refp. den in Wcrthur-
theilen verlaufenden praktifchen Glauben betonen. Er
zeigt, dafs die erftrebte Selbftändigkeit theils nicht wirklich
erreicht wird, theils zu einer Einfchränkung des An-
fpruchs auf Wahrheit führen müfste, der nun einmal im
Glauben liegt und nicht aufgegeben werden kann. Er
felbft entfeheidet dahin, dafs die Dogmatik allerdings
darauf beliehen mufs, ein Gebiet eigentümlicher Erfahrung
zu haben, in deffen Bearbeitung ihre Aufgabe
befteht. Als folches bezeichnet er Glaube und Offenbarung
in ihrer wechfelfeitigen Beziehung auf einander,
in der fie fich gegenfeitig tragen und ftützen. Aber
freilich kann die Dogmatik fich nicht auf diefes Gebiet,
das in Chrifto erfahrene Heil und was unmittelbar damit
zufammenhängt, befchränken, fondern mufs fchliefsend
und folgernd auch die Vorausfetzungen und Folgerungen
darlegen, die fich aus jener Grunderfahrung ergeben und
nothwendig mit ihr zufammenhängen. Indem fie das jedoch
thut, kann fie nicht anders, als fich an vielen Punkten mit
anderem und anders begründetem Wiffen berühren. D. h.
von ihrem felbftändigen Ausgangspunkt aus erreicht fie