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Ausgabe:

1897

Spalte:

187-188

Autor/Hrsg.:

Hofmann, Rud.

Titel/Untertitel:

Galilaea auf dem Oelberg 1897

Rezensent:

Schürer, Emil

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1897. Nr. 7.

Hofmann, Geh. Kirchenr. Prof. D. Rud., Galilaea auf dem
Oelberg, wohin Jefus feine Jünger nach der Auferftehung
befchied. Ein Beitrag zur Löfung der vermeintlichen
Widerfprüche in den evangelifchen Berichten von den
Erfcheinungen des Auferftandenen. Leipzig, Hinrichs,
1896. (53 S. gr. 8.) M. L-

In weiterer Ausführung und mit reicherem Materiale
behandelt der Verf. hier einen Gegenftand, welchen er
bereits vor vierzig Jahren in einem Programm derFürften-
fchule zu Meifsen erörtert hatte (Ueber den Berg
Galiläa, ein Beitrag zur Harmonie der evangelifchen Berichte
von den Erfcheinungen des Auferftandenen, 1856).
Um die Differenz der Evangelien in Betreff der erften
Erfcheinungen des Auferftandenen (nach Matthäus in
Galiläa, nach Lucas und Johannes in Judäa) zu befeitigen,
haben einzelne Exegeten des 16. und 17/18. Jahrh. (Suarez,
Harduin) behauptet, unter ralikaia Matth. 28,16 fei nicht
die Landfchaft diefes Namens, fondern eine Localität in
der Nähe von Jerufalem zu verftehen. Die Anficht ift
nicht erft eine Entdeckung diefer Gelehrten; fie reicht
vielleicht bis in's Alterthum hinauf und war im Mittelalter
ftark verbreitet. Das ältefte Zeugnifs dafür fcheint
eine Recenfion der Acta Pilatz zu fein, deren Zeit fich
freilich nicht genauer beftimmen läfst (Tischendorf, Evan-
gelia apocrypha, ed. 2. 1876, p. 318: Tbv Trjonvv, ov
vfielg sozavoo'ioazs, eYöoiiev iv vfj Palckaia (.teza zwv
tvdev.a iiaü"qzd)v avzov si% zb oqo% zwv eZaiwv, dazu
die gelehrten Ausführungen bei Thilo, Codex apocryphus
Nov. Test. p. 618 sqq.) Ganz klar ift jedoch die Sache
hier nicht; möglicherweife liegt nur eine durch Ueber-
arbeitung des Textes entftandene Confufion vor. Noch
weniger laffen fich Tertullian, Lactantius und Chryfoftomus
als Zeugen für ein „Galiläa" in Judäa betrachten, wie
dies von Hofmann gefchieht. Wenn Tertullian apolog. 21
sagt: cum discipulis autem quibusdam apud Galilaeavi,
Judaeae regionem, ad quadraginta dies egit dbcens eos
quae docerent, fo darf daraus nicht gefchloffen werden,
dafs Tertullian ein Galiläa meint, welches im eigentlichen
Judäa, d. h. in der füdlichen Provinz des heiligen Landes,
gelegen habe. Denn ,Judäa" ift gar nicht feiten Bezeichnung
des ganzen jüdifchen Landes mit Einfchlufs
von Galiläa, fogar im officiellen römifchen Sprachgebrauch
(f. meine Gefch. des jüd. Volkes I, 539). Um nur ein
Beifpiel zu nennen, welches der Zeit Tertullian's nahe
liegt, fo fei auf den Geographen Ptolemaeus verwiefen,
welcher ausdrücklich fagt, dafs die Provinz rfalaiozivrj
-loia (die aufser den philiftäifchen Küftenftädten die
Landfchaften Galiläa, Samaria, Judäa und Idumäa um-
fafste) auch Tovöaia heifse (Ptol. V, 16, I: Tl fJakcaozivrj
-i-Qi'a, '1(11% x«i Tovöaia xCtMizai). Auch die Stellen aus
Lactantius und Chryfoftomus kann ich nicht für beweifend
halten. Es ift im Gegentheil bei Beiden deutlich, dafs
fie das eigentliche Galiläa meinen; denn Lactantius fagt,
dafs Jefus nach der Auferftehung nach Galiläa gekommen
fei, weil er fich den Juden nicht zeigen wollte
(jioluit cnim se Judaeis ostendere), und Chryfoftomus
meint, dafs Jefus den Jüngern in Galiläa erfchienen fei,
damit fie nicht durch die Furcht vor den Juden
am Glauben gehindert würden (Jivct zov cpößov ziov
Povöauov äziaklaytvzeq moiivaiooi zoi% lsyotitvot%).
Beide denken alfo an ein von Jerufalem entferntes Galiläa.

Sichere Zeugnifse für eine Oertlichkeit Namens
„Galiläa" in der Nähe Jerufalems giebt es erft aus dem
Mittelalter; hier allerdings in grofser Zahl. Es ift das
Hauptverdienft unferer Abhandlung, diefes intereffante
Material mit grofsem Fleifse gefammelt zu haben. Den
Pilgern, welche nach Paläftina kamen, um die heiligen
Orte zu befuchen, zeigte man in der Nähe von Jerufalem
einen Berg oder ein Dorf Namens „Galiläa", wo Jefus
nach der Auferftehung den Jüngern erfchienen fei. Der
Werth diefer „Tradition" fleht auf derfelben Höhe,

wie hundert andere Erfindungen der Mönchslegende,
Diefe hat ja für alle Einzelheiten der heiligen Gefchichte
genau die Oertlichkeiten feftgeftellt, wo diefelben fich
zugetragen haben. Wie üppig diefe Legenden fchon im
4. Jahrhundert wucherten, zeigt uns der Pilger von
Bordeaux. Unfere Legende über den Berg oder das Dorf
„Galiläa" bei Jerufalem hat nach dem oben Ausgeführten
nicht einmal ein fo refpectables Alter aufzuweifen. Von
einer wirklichen Tradition ift alfo hier nicht die Rede.
Intereffant ift nur zu fehen, wie die Legende direct
im Dienft der Harmoniftik gearbeitet hat. Weil die erften
Erfcheinungen des Auferftandenen nach den anderen
Evangelien in Judäa ftattgefunden haben, darum mufs
das „Galiläa" des Matthäus in der Nähe Jerufalems liegen.

Viel höher fchätzt freilich der Herr Verf. diefer Abhandlung
den Werth der von ihm nachgewiefenen „Tradition
". Er hält diefelbe für glaubwürdig und fieht darin
die glückliche Löfung eines fchwierigen Problemes der
evangelifchen Gefchichte.

Göttingen. E. Schür er.

Krumbacher, Prof. Karl, Geschichte der byzantinischen
Litteratur von Juftinian bis zum Ende des oftrömifchen
Reiches (527—1453). 2. Aufl., bearb. unter Mitwirkung
von Proff. A. Ehrhard u. H. Geizer. [Handbuch
der Klaff. Altertums-Wiffenfchaft, hrsg. von J. v.
Müller, IX. Bd. I. Abtig.] München, C. H. Beck, 1897.
(XX, 1193 S. gr. 8.) M. 24.—; geb. M. 26.50.

Selten wohl hat die zweite Auflage eines Werkes
nach fo kurz vorhergegangenem Erfcheinen der erften
Auflage (1891) eine fo riefige Vermehrung und Erweiterung
erfahren, wie Krumbachers Gefchichte der
byzantinifchen Litteratur. Die zweite Auflage weift
1193 Seiten auf, während die erfte nur 495 umfafste.
Abgefehen von der mehr oder weniger itarken Umarbeitung
und Verbefferung, die der umfichtige und raft-
los thätige Verfaffer, auf Grund fowohl der Forfchungen
zahlreicher, feit den letzten Jahren dem byzantinifchen
Schriftthum zugewandter Gelehrten, wie fehr umfangreicher
handfchriftlicher Studien, den meiften alten Abfchnitten
der erften Auflage hat angedeihen laffen, hat er durch
eine dem Schlufs des Bandes angefügte (S. 1068—1144),
zumeift völlig neue, reiche ,Allgemeine Bibliographie
', in der er alle zu feiner Kenntnifs gelangten
Schriften über byzantinifche Gefchichte, Chronologie,
internationale Kulturbeziehungen, Ethnographie, Geographie
, Topographie, Kunftgefchichte, Sigillographie,
Epigraphik, Sprache, Sagenkunde, Volksglaube, Gefchichte
der byzantinifchen Philologie, Byzanz in der
fchönen Litteratur, Zeitfchriften, Bibliographifche Hilfsmittel
verzeichnet, die Brauchbarkeit des Werkes als
eines Bahnbrechers und Wegweifers auf dem weiten,
trotz aller erfreulichen Bemühungen der letzten Jahre
ftreckenweife immer noch recht wüften Gebiete des
byzantinifchen Schriftthums ganz wefentlich erhöht. Neu
hinzugekommen find nun aber 1. in dem von Krumbacher
bearbeiteten, 854 Seiten umfaffenden Theile ein
Abfchnitt (S. 605—638) über die Fachwiffenfchaften
(Rechtswiffenfchaft, Medizin, Mathematik und Aftronomie,
Zoologie, Botanik, Mineralogie, Alchemie, Militärwiffen-
fchaft) und eine nicht unbedeutende Reihe von weiteren
Paragraphen in den alten Kapiteln; 2. ein Abrifs der
byzantinifchen Kaifergefchichte von H. Geizer
(S. 911—1067); 3. ein gefonderter Abfchnitt über die
byzantinifche Theologie an der Spitze des Werkes
(S. 37—182) von A. Ehrhard. Diefer ftattliche Umfang
des Werkes bezeugt klar und bündig die Thatfache,
dafs die byzantinifchen Studien, denen ich feit länger
als 10 Jahren in Hilgenfelds Zeitfchr. f. wiff Theol, der
Zeitfchr. f. Kirchengefch., der Wochenfchr. f. klaff. Philol.
und auch an diefer Stätte bei Gelegenheit der Anzeige