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Ausgabe:

1896 Nr. 6

Spalte:

172-173

Autor/Hrsg.:

Wilde, Martin

Titel/Untertitel:

Die Gotteswelt. Versuch einer Darstellung der bilbischen Schöpfungsgeschichte 1896

Rezensent:

Thieme, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 6.

172

denken fein foll, wo ift dann feine adaequate (abfolute)
oder auch inadaequate Erfcheinung zu fuchen? Auf diefe
beiden Möglichkeiten müffen wir nämlich nach den vorliegenden
Analogien gefafst fein. Denn adaequat follen
doch gewifs die der abfoluten Subftanz via negationis
beizulegenden Eigenfchaften Gottes fein. Inadaequat dagegen
verhalten fich zu Gott als Schöpfer, alfo als
Urfache, feine Gefchöpfe oder feine Wirkungen. In jenen
Eigenfchaften aber erfcheint uns Gott überhaupt nicht,
denn es find nur Gedanken, die man fich über Gott
macht. In feinen Gefchöpfen jedoch erfcheint uns Gott
erft recht nicht, denn das wäre eine pantheiftifche Vor-
ftellung, die als folche noch dazu inadaequat ift. Alfo
erfcheint uns Gott überhaupt nicht? Dann wäre aber
auch fein Sein problematifch, oder vielmehr es wäre
trotz der gegenteiligen Verficherung des Verf.'s nur ein
gedachtes Sein. Denn diefes Sein ift nur erfchloffen, aber
nicht erfahren. Solche Schwierigkeiten ergeben fich,
wenn man nicht nur die eine ontologifche Form von
Subftanz und Accidens, aus der der Verf. feinen Gottesbeweis
gewinnt, fondern zugleich auch die beiden anderen,
Urfache und Wirkung und Sein und Erfcheinung (der
Verf. nennt S. 4 auch noch den Unterfchied von Subject
und Object, der aber kein ontologifcher, fondern ein
logifcher ift), in Beziehung auf Gott zu Ende durchdenkt.
Es liegt aber nirgends ein Grund vor, nur das Verhältnifs
von Subftanz und Accidens genau ins Auge zu faffen, und
daneben nur zu behaupten, dafs Gott Schöpfer fei, dagegen
das hierbei vorausgefetzte Verhältnifs von Urfache
und Wirkung unerörtert zu laffen. Behandelt man jedoch
die ontologifche Frage in Beziehung auf Gott vollftändig,
fo ergeben fich die aufgezeigten Widerfprüche. Diefe
belaften freilich nicht die Theologie, die in der gefchicht-
lichen Offenbarung Gottes in Chrifto eine beftimmte
Erfcheinungsform Gottes hat und deshalb die theore-
tifchen Gottesbeweife überhaupt entbehren kann, wohl
aber die Philofophie, foweit fie fich noch, wie zur Zeit
der Scholaftik und des Dogmatismus, darum bemüht,
einen theoretifchen Beweis für das Dafein Gottes und
fogar für feine Perfönlichkeit führen zu wollen, dabei
aber doch, wie der Verf., nur von dem irgendwie be-
ftimmten formalen Wefen des Menfchen meint ausgehen
zu follen.

Aufser der bisher befprochenen Abhandlung enthält
die vorliegende Schrift eine ,Beilage über das Dafein
Gottes und feine Perfönlichkeit in Lotze's Philofophie'.
Die hier geübte Kritik gegen Lotze, deffen Mikrokosmus
übrigens als ein .durch formelle und inhaltliche Gediegenheit
' ausgezeichnetes .Meifterwerk' anerkannt wird, ift
durch die Abneigung des Verf.'s gegen alle des Pantheismus
auch nur verdächtigen Anfchauungen und durch
feine Vorliebe für die feinem Gottesbeweis zu Grunde
liegenden Anflehten getragen und geleitet.

Bonn. O. Ritfchl.

Bougaud, Bifchof Mfgr. Emil, Christenthum und Gegenwart.

Autorif. deutfehe Ausg. von Philipp Prinz v. Arenberg.
3. Bd. Die Dogmen des Credo. Mainz, Kirchheim, 1895.
(X, 443 S. gr. 8.) M. 5. —

Vorliegendes Buch ift der dritte Band eines unter
dem Titel ,Chriftenthum und Gegenwart' verfafsten Werkes
von demfelben Verfaffer. Auch die beiden früheren
Bände unter den Specialtiteln ,Religion und Irreligion'
und Jefus Chriftus' find von dem Prinzen Arenberg ins
Deutfehe überfetzt. Der Verfaffer ift ohne Zweifel ein
geiftvoller, kunftfinniger und vielfeitig unterrichteter Mann.
Seine Darfteilung ift fehr gewandt und lebendig, aber
durchaus rhetorifch, ja advocatenhaft, doch ohne den
Eindruck zu erwecken, als fei es ihm nicht mit allem,
was er vorbringt, voller Ernft. Sein Standpunkt ift vielmehr
der eines überzeugten Katholiken, der begeiftert

und innig von den Dingen zu reden weifs, die ihm die
wichtigften auf der Welt find. Seine Polemik ift im
Ganzen mafsvoll, aber recht fummarifch und, worüber
man fich ja bei einem Katholiken der Gegenwart nicht
wundern kann, ganz ohne Verftändnifs für die religiöfe
Art anderer Confeffionen. Zuerft ift die Rede vom
apoftolifchen Glaubensbekenntnifs felbft, das als der kurze
Inbegriff des Dogmas gefeiert, und deffen Alter und
Unwandelbarkeit insbefondere aus den Abbildungen und
Infchriften an den Wänden der Katakomben zu erweifen
verfucht wird. Dann werden in dem zweiten viel umfangreicheren
Theil die Dogmen von der Dreieinigkeit, der
Schöpfung, der Erbfünde, der Menfchwerdung und der
Erlöfung behandelt. Dabei fcheinen Wiffenfchaft und
katholifcher Glaube in fchönfter Harmonie zu flehen.
In der That leiftet die Harmoniftik des Verfaffers Grofses.
In Verlegenheit geräth er nicht leicht. Die vielen natur-
wiffenfehaftlichen, hiftorifchen und archäologifchen In-
ftanzen, die vorgebracht werden, dienen im letzten Grunde
nur dazu, die Wahrheit und das Recht der katholifchen
Anfchauungen zu erhärten. Als charakteriftifch möge
eine Stelle aus dem Buche hervorgehoben werden. Von
der Verfchiedenheit der überlieferten Texte des Apofto-
licums heifst es (S. 12 Anm.): ,Weit entfernt durch die
Abweichungen in Verlegenheit zu gerathen, ftaunen wir
vielmehr, ihrer fo wenige zu finden. Hierin liegt der
deutlichfte Beweis, dafs fie den nämlichen Urfprung
haben, von einer und derfelben höchften Autorität herrühren
'. Für die wiffenfehaftliche Theologie wirft das
Buch keinen Ertrag ab. Es führt jedoch dem katholifchen
Lefer das in feiner Kirche überlieferte Dogma
ohne den eigentlichen Apparat von Heiligenlegende und
Heiligencultus als den Kern des Chriftenthums vor. Das
kann man immerhin fchon anerkennen. Deshalb werden
aber auch folche Proteftanten, welche die ,Schwefter-
kirche' als Bundesgenoffin gegen den modernen Unglauben
verehren und bewundern, wenn fie nur über einiges auch
ihnen Unangenehme fchnell hinwegeilen, das Buch des
franzöfifchen Bifchofs mit Beifall und Erbauung lefen und
I geniefsen können.

Bonn. O. Ritfchl.

Wilde, Paft. Mart, Die Gotteswelt. Verfuch einer Darfteilung
der biblifchen Schöpfungs- und Naturlehre
im Grundrifs. Stuttgart, J. F. Steinkopf, 1895. (259 S. 8.)

M. 3.—; geb. M. 4.-

Das Buch will auch ein Verfuch fein, die innere
Wahrheit und Vernünftigkeit jener Lehre nachzuweifen,
dem Nichtglaubenden das Chnftenthum dadurch zugänglicher
zu machen, den Glaubenden zu vergewiffern, dafs

. er als vernünftiger Menfch fich feines Glaubens nicht zu
fchämen braucht. Verf. bekennt, dafs ihm felbft die
Theofophen von Böhme an bis auf Friedr. Fabri das
Chriftenthum wieder zugänglich gemacht haben, und dafs
er fpeciell ohne Baader's Philofopheme die vorliegende
Arbeit nicht hätte ausführen können. So mag ja auch
fie bei einem Nichtglaubenden ihre Abficht erreichen,
ihm das Chriftenthum zugänglicher zu machen. Wir müffen

I freilich wünfehen, dafs dieler bald die Krücke weglege,
auf der er hineingehumpelt ift. Denn nachdem die Einleitung
durch einige richtige Urtheile eine Erhebung über
jene landläufige Apologetik der biblifchen Schöpfungsund
Naturlehre hat hoffen laffen, fallen gleich die Vor-

I bemerkungen zur Schöpfungsgefchichte (S. 28 ff.) wieder

j darein zurück. Sie ftimme mit der Geologie zum Theil
fo auffallend überein, dafs ihr Urfprung nur aus prophe-

1 tifchen Offenbarungen verftändlich fei. Für folche über
die Schöpfung fei die Menfchheit im Kindheitsalter reif
gewefen. Denn es fei ja eine ganz bekannte Thatfache,
dafs Kinder häufig gerade die tiefften Probleme angreifen
und oft weit tieffinnigere FYagen ftellen, als der Er-
wachfene zu beantworten vermag.