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Ausgabe:

1896

Spalte:

168-171

Autor/Hrsg.:

Melzer, Ernst

Titel/Untertitel:

Der Beweis für das Dasein Gottes und seine Persönlichkeit mit Rücksicht auf die herkömmlichen Gottesbeweise 1896

Rezensent:

Ritschl, Otto

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 6.

168

die Zuverläffigkeit des Lebens Jefu, das durch fagenhafte
Züge und allegorifche Motive mehr gefchmückt, als ent-
ftellt und entwerthet erfcheine. Viele Lefer werden mit
diefer kritifchen Frage anfangen und nicht aufhören.
Der Gedanke, es könnte vielleicht mit Jefus fo gewefen
fein, wie gefchrieben fteht, vielleicht aber auch nicht,
erfchreckt fie immer wieder. Indeffen find hier die Grenzen
der Apologetik, da es gegen den hiftorifchen
Skeptizismus, den Skeptizismus der Möglichkeiten, einen
ftrengen Beweis nicht giebt aufser dem, den die chrift-
liche Verkündigung anftrebt, nämlich der persönlichen
Ueberführung. Dasfelbe gilt, wo man es vorzieht, üch
mit einem theilnahmlofen nm liquet über Jefus zu begnügen
. Uebrigens aber verträgt Harnack's Gedankengang
eine, wie uns fcheint, nicht unwichtige Ergänzung
aus fich felbft, nämlich die offene Anerkennung, dafs auch
das Chriftenthum im fortwährenden Flufs fteht, feine
Lehrfätze mannigfach fchwanken, feine Sitten unendlicher
Bereicherung fähig find, gerade weil nicht die Ideen
fondern ihre Verkörperung in Jefus, alfo die Macht des
Perfönlichen und darum Unerfchöpflichen zu Grunde
liegt.

Kaftan behandelt fein umfaffendes Thema in einer
hiftorifchen Gegenüberftellung. Er vergleicht Ariftoteles
und Kant als die Wortführer zweier entgegengefetzter
Grundanfichten über die Aufgabe der Philofophie. Jenem
ift fie die Wiffenfchaft von den letzten Gründen oder den
erften Urfachen alles Seienden, diefem die Weisheitslehre
vorn höchften Gut. Als dritter kommt noch Piaton in
Betracht, der zwar den ariftotelifchen Anfatz vermeidet,
aber hernach das höchfte Gut und damit die Seligkeit des
Menfchen doch auch in der Sphäre des Schauens, Erkennens
fucht. Zur Kritik diefes Sachverhalts führt Kaftan
ins Feld, dafs die beiden epochemachendften Erfchei-
nungen der neueren abendländifchen Gefchichte, die
Reformation und die moderne Wiffenfchaft, dem arifto-
telifch platonifchen Wiffens- und Lebensideal die Wurzeln
abgegraben haben. ,Die Gefchichte der modernen
Wiffenfchaft ift die Gefchichte ihrer Emancipation von
der Philofophie', deren Befferwiffen und Weiterfehen jene
nach den Regeln ihres eigenen empirifchen Erkennens mit
gutem Grund bezweifelt. In der Reformation aber ift
der tittliche Gehorfam des thätigen Berufslebens gegenüber
dem blofs befchaulichen oder Denkleben endlich
zu feinem Recht gekommen. Folglich führt fernerhin
,kein directer Weg aus der heutigen Wiffenfchaft, genauer
vielleicht noch: aus der heutigen Naturwiffenfchaft zu
einem philofophifchen Verftändnifs der Welt, das als
philofophifches feiner Art nach ein letztes, abfolutes fein
will und fein mufs'. Soll ein philofophifches Verftändnifs
der Welt gewonnen werden, wie es denn dem Bedürfnifs
des menfchlichen Geiftes nach einem Abfchlufs der Er-
kenntnifs entfpricht, fo mufs das Uebergewicht des Sittlichen
über das Logifche, des Willens über die Eikennt-
nifs, fo mufs die ethifch bedingte Idee vom höchften
Gut im Sinne Kant's den Schlüffel dazu hergeben.

Das Intereffe des Chriftenthums an diefer Angelegenheit
ift grofs, weil feine Ideale und Güter gleichfalls in
der ethifchen Sphäre liegen und unter der Herrfchaft der
fpeculativen Philofophie von der beftändigen Gefahr bedroht
find, entweder formell zur blofsen Vorftufe erniedrigt
oder inhaltlich in den Aether der reinen Idee
verflüchtigt zu werden. Von beidem haben wir genügende
Erfahrung. Ift daher Kaftan's lebendige Erinnerung an
das Ethifche als das Höchfte, nicht nur in der Religion,
fondern in allem geiftigen Leben, mit Dank zu begrüfsen,
fo bleibt allerdings dahingeftellt, ob Alle die, die mit
ihm gehen, auch zu dem letzten Schritt, den er fordert,
bereit fein werden, nämlich nicht länger ,gläubig der
Mähr von den unerbittlichen Naturgefetzen zu laufchen'.

Beide Vorträge, auf Anfuchen des Berliner Zweigvereins
des Evangelifchen Bundes und vor einer nach
vielen Hunderten zählenden Zuhörerfchaft gehalten, find

in ihrer anfchaulichen Kürze meifterhaft und bilden ein
Programm.

Berlin. H. Scholz.

Melzer, Dr. Ernft, Der Beweis für das Dasein Gottes und
seine Persönlichkeit mit Rückficht auf die herkömmlichen
Gottesbeweife. [Erweit.Sonderabdr. aus: ,27.Bericht der
wiffenfchaftlichen Gefellfchaft Philomathie zu Neifse'.]
Neifse, Graveur, 1894. (VIII, 101 S. gr. 8.) M. 1. —

,Der Verfaffer diefer Abhandlung kann Beweife, die
zu irgend welchem pantheiftifchcn Refultate führen, nicht
anerkennen, da er ein folches nicht für richtig hält' (S. 2).
i Alfo die Annehmbarkeit oder Unannehmbarkeit eines
! Beweifes hängt nicht von der Art, wie er geführt wird,
j ab, fondern von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit feines
Refultats, über die man fchon von vorn herein eine
! fefte Anficht mitbringt. Oder die Beweisführung ift nur
eine nachträgliche Operation, deren beftimmte Richtung
1 bereits nothwendig gegeben ift in dem Refultat, das als
Wahrheit vorausgefetzt wird. Dann aber flammt auch
das Refultat nicht aus einer reinen Denkarbeit ab, wie
fie als folche in jeder eigentlichen theoretifchen Beweisführung
geübt wird, fondern feine Quellen find anderwärts
zu fuchen. So ift denn auch die Ueberzeugung
des Verfaffers, dafs Gott ,der von Ewigkeit her per-
fönliche, von der Welt wefentlich verfchiedene Gott,
der Schöpfer der Welt, der Creator' fei, nur vermeintlich
das Ergebnifs wiffenfchaftlicher Begründung, in Wirklichkeit
eine lediglich religiöfe Pofition. Das ift zwar
dem Verf. verborgen geblieben, der einmal gegen Lotze
[ einwendet, ,dafs wir nicht lediglich religiöfe Bedürfnifse
1 haben, fondern auch theoretifch-metaphyfifche' (S. 95).
Aber theoretifche Metaphyfik, wenn anders fie nicht
dogmatifch im philofophifchen Sinne fein foll, kann von
vorn herein kein unabänderliches Urtheil über die Richtigkeit
der von ihr zu erreichenden Refultate mit fich
führen. Ift dies alfo dennoch der Fall, fo handelt es
fich thatfächlich nicht mehr um theoretifches Erkennen,
fondern um religiöfe Ueberzeugungen. Diefe aber follte
man dann auch auf ihre religiöfen Erkenntnifsgründe
zurückzuführen verfuchen, dagegen auf theoretifche Beweife
dafür einfach verzichten. Denn theoretifche Beweife
für praktifche Wahrheiten haben immer nur fcheinbare
Stringenz, fie werden niemals den Gegner überzeugen. Und
wenn man felbft von einer praktifchen Wahrheit bereits
überzeugt ift, fo bedarf man dafür nicht auch noch erft
eines theoretifchen Beweifes, oder wenn man fich dennoch
diefe Notwendigkeit vorfpiegelt, fo verkennt man den
Unterfchied zwifchen dem rein theoretifchen oder wiffenfchaftlichen
Erkennen und dem praktifchen Erkennen
oder dem Glauben.

Dafs der Verf. folche Erwägungen nicht anfleht und
ihnen auch wohl kaum zugänglich fein wird (vgl. S. 66),
liegt daran, dafs er Güntherianer und, wie es fcheint,
Katholik ift. Er beruft fich nicht nur auf Günther für
feinen Beweis für das Dafein Gottes, fondern er theilt
auch das Intereffe, in welchem Günther gegenüber der
pantheiftifchen Identitätsphilofophie feiner Zeit einen
ftreng theiftifchen Gottesbegriff in feiner Philofophie zur
Geltung zu bringen verfuchte. Demgemäfs hat der Verf.
auch trotz feiner guten Bekanntfchaft mit Kant, keinen
Eindruck von der Stilmifchung, wie fie in der Scholaftik,
bei Cartefius, und bei Günther felbft vorliegt, um von
den katholifchen und von der Mehrzahl der evangelifchen
Theologen ganz zu fchweigen. Dennoch übt der
Verf. in dem zweiten Theil feiner Schrift eine eindringende
und oft treffende Kritik der herkömmlichen Gottes
beweife. Diefe erfcheinen ihm, wie der ontologifche und
der hiftorifche, theils unhaltbar, theils in verschiedenen
Beziehungen mangelhaft. Als triftig anerkannt wird nur
I der von Günther angegebene Beweis, der ,in eminenter