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Ausgabe:

1896

Spalte:

162-164

Autor/Hrsg.:

Kolde, Theodor (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte. 1. Bd 1896

Rezensent:

Kawerau, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1S96. Nr. 6.

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der einzelnen Lehren bietet übrigens der vom Herausgeber
beigegebene Index verum (153 S.), der augenfeheinlich
nach der Art des muftergiltigen Bonitz'fchen Index Aristo-
telicus gearbeitet ift, ein vortreffliches Hilfsmittel.

2. Baumgartner's Schrift hat fchon durch ihren Gegen-
ftand, der eine Uebergangszeit kennzeichnet, ein befon-
deres' Intereffe. Wilhelm von Auvergne gehört zu den
Scholaftikern, die feit der Patriflik zuerft wieder felb-
ftändige Pofitionen in Pfychologie und Erkenntnifslehre
zu gewinnen trachten, und zwar zum Zwecke des Ausbaus
der Dogmatik. Er fteht aufserdem im Wendepunkt
von der urfprünglich auguftinifch-platonifchen zu der
nachmals fiegreichen ariftotelifchen Richtung der Pfychologie
. In der Methode ift er fchon ganz intellectualiftifch,
aber ,überall, auch dort wo ein Compromifs eingegangen
wird, gewinnen noch die alten Anfchauungen die überhand
'. Wilh. war (S. 9) der erfte chriftliche Scholaftiker,
der mit aller Beftimmtheit die Frage nach der Entftehung
des Wiffens fich (teilte. Seine Behandlung der Erkennt-
nifsfragen entbehrt aber noch jeder einheitlichen Darfteilung
(Ii). S. 45 f. giebt zu der Lehre von der in-
tellectiven Erkenntnifs ein anfehauliches Beifpiel, wie die
unvollkommene Kenntnifs des Piaton und Ariftoteles zu
falfchen Auffaffungen der beiderfeitigen Lehren führte;
S. 57 f. ebenfo von der Art, wie aus dem gleichen Grunde
ein ariftotelifcher Gedanke (Verhältnifs des Intellects zu
den Phantasmen) im Sinne der entfprechenden Lehre
Auguftin's mifsgedeutet wird. S. 71 f. widerlegt die Anficht,
dafs W. in der Univerfalienfrage extremer Realift fei,
und zeigt ihn als charakteriftifchen Vertreter des Con-
ceptualismus. Hierzu wäre vielleicht eine Vergleichung
mit den bezüglichen Anflehten Abälard's am Platze ge-
wefen. S. 32 f. wird die Wahrnehmungstheorie bei W.
als auguftinifch aufgewiefen; freilich ift fie dies keineswegs
,ganz', denn es fehlt darin die befondere Hervorhebung
der in's Spiel kommenden Willensthätigkeit, die
durch den Begriff des Judicium (ähnlich wie in der modernen
Pfychologie vielfach durch den der Apperception)
verdeckt wird. — Den intellectus adeptus hat Avicenna
nicht, wie S. 36 gefagt wird, von Alexander Aphrodifienfis
entnommen. Was diefer vovg inixttjrog nennt, entfpricht
bei Avicenna dem intellectus habitualis, und was Avicenna
intellectus adeptus nennt, kennt Alexander noch nicht.
Zu der Lehre vom intellectus materialis wird (mit Grund)
S. 57 eine Parallele aus Leibniz' Erkenntnifslehre herangezogen
. Noch näher hätte es gelegen, zu dem, was W.
über die Erkenntnifs der Subftanz aus den Accidentien
lehrt (62 f.), auf Locke's Analyfe des Subftanzbegriffs
hinzuweifen. Nur dafs W. aus dem analogen Sachverhalt
eben die (metaphyfifche) Confequenz wirklich zieht,
welche Locke in Frage ftellt. — In literar-gefchichtlicher
Beziehung ift von Intereffe die Beobachtung (S. 32
Anm. 2), dafs Wilh. die für die vorariftotelifchc mittelalterliche
Pfychologie fehr mafsgebende Schrift de spiritu
et anima noch nicht zu kennen fcheint. Nach S. 5
foll er dagegen bereits die fämmtlichen Schriften des
Ariftoteles (in Ueberfetzungen) gekannt haben. Der
Verfaffer beruft fich dafür auf die Autorität Jourdain's,
fagt aber felbft (7), dafs diefer die Abfaffungszeit der
Wilhelm'fchen Werke in zu fpäte Zeit (c. 1240) verlege.
Schrieb W. aber früher (nach dem Verf. c. 1215), feilt
doch fraglich, ob er fchon den ganzen Ariftoteles
kannte. Die Art, wie er ihn benutzt hat, fpricht nicht
gerade dafür.

3. Die Unterfuchung von M. Doctor über Jofef Zaddik
betrifft einen neuplatonifch geftimmten jüdifchen Denker
des zwölften Jahrhunderts, deffen felbftändigfte Leiftung,
die Gotteslehre, bereits D. Kaufmann (Gefchichte der
Attributenlehre in der jüdifchen Religionsphilofophie des
MA., S. 255 fr.) eingehend behandelt hat. Aus der vorliegenden
Schrift ergiebt fich dazu Weiteres zu feiner
Pfychologie, Erkenntnifslehre und Naturphilofophie, in
denen eine eklektifche Abfchwächung der neuplatonifchen

Grundanfchauung befonders hervortritt. Dem Verf. ift es
dabei weniger um zufammenhängende Darfteilung der
Lehre felbft, als um die punktweife durchgeführte Aufzeigung
ihrer Bedingtheit durch Früheres, namentlich
durch die Anflehten Ibn Gabirol's und der arabifchen
,Lauteren Brüder' zu thun. Die Erörterung der Lehr-
fubftanz hat in Folge deffen einen ziemlich aphoriftifchen
Charakter bekommen. Doch macht das eingehaltene
Verfahren andererfeits oft wieder einmal anfehaulich, wie
die antiken Anflehten fich ausnehmen, nachdem fie durch
mittelalterliche Kanäle im Morgen- und Abendlande
hindurch gegangen find. Zu der Lehre von den primären
und fecundären (finnlichen und abftracten) Subftanzen
(S. 25 f.) wäre der Hinweis auf Ariftoteles als den eigentlichen
Begründer derfelben {jiqüzai und öevreQca niai'at)
angebracht gewefen. Ebenfo ift für den Satz, dafs es
für die Erkenntnifs zur Erfaffung der geiftigen Formen
keiner Vermittelung bedürfe (26), Ariftoteles nicht .vielleicht
', fondern unzweifelhaft als Urheber anzufehen.
Vgl. aufser de an. III, 429 b 30 f. bef. Met. XII, 1074 b 33 f.
Dafs Jofef im Gegenfatz zu Ibn Gabirol die Annahme
von .Mittelfubftanzen' verwirft und die Materie (anfehei-
nend) völlig ignorirt, ift, abgefehen von feinem religiöfen
Standpunkt, der eine Schöpfung aus Nichts verlangt,
jedenfalls auch durch die extreme Ausgeftaltung feiner
Lehre von der Unvergleichbarkeit und Selbftgenugfam-
keit Gottes (f. bei Kaufmann S. 297 ff.) bedingt.

Giefsen. H. Sieb eck.

Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte, hrsg. von Prof.
D. Thdr, Kolde. 1. Bd. Erlangen, Junge, 1895. (III,
288 S. gr. 8.) M. 4. —

Der erfte Jahrgang der von dem Erlanger Kirchen-
hiftoriker begründeten Zeitfchrift für bayerifche Kirchen-
gefchichte ift vollendet; der evg. Geiftlichkeit Bayerns
ift damit ein fchätzbarer Antrieb und ein Sammelort für
Studien der heimifchen Kirchengefchichte gegeben. Neben
dem Herausgeber, der aufser einer gröfseren, inzwifchen
erweitert als Buch ausgegebenen fchönen Monographie
über den Ansbacher Reformator Andr. Althamer eine
kleinere Publication über Eberlin v. Günzburg's vergebliches
Bemühen, 1525 in Rothenburg o.T. Anftellung zu
finden, beigefteuert hat, finden wir unter den Mitarbeitern
zu unferer Freude eine Anzahl bayerifcher Pfarrer: Rud.
Herold in Uffenheim, Th. Gümbel in Biffersheim, J. Hans
in Augsburg, O. Erhard in Erlangen, W. Geyer in Ober-
Allershaufen, H. Jung in Zweibrücken, — der Appell,
den die Begründung einer folchen Zeitfchrift zunächft an
die Paftorenfchaft ergehen läfst, hat alfo eine erfreuliche
Aufnahme gefunden. Aber auch bayerifche Profanhifto-
riker haben werthvolle Gaben geliefert: F. Stieve berichtet
über das fchwankende Verhalten des Rathes von
Donauwörth, als ihm Pfalzgraf Philipp Ludwig v. Neuburg
die Unterzeichnung des Bergifchen Buches zumuthete.
und beleuchtet dabei die Haltung auch anderer füd-
deutfeher Reichsflädte gegenüber der Concordienformcl
mit höchft charakteriftifchem Actenmaterial; Auguft Sperl
bringt Beiträge zur Pfalz-Sulzbach'fchen Kirchengefchichte
im 17. Jahrh.; Gymnaflallehrer Miedel bietet uns aus
einer Memminger Chronik den Bericht über die tumul-
tuarifche Einführung der evangelifchen Cultusneuerungen
in Memmingen Weihn. 1524 und die 25 Artikel, die
Chriftof Schappeler Jan. 1525 auffetzte. Der bekannte
Dürerforfcher, Oberbibliothekar Zucker, giebt in feiner
ruhigen und überzeugenden Weife fein Urtheil ab über
die neueften ultramontanen Fechterftücke, mit denen befonders
Ant. Weber die Zeugnifse für Dürer's freundliche
Stellung zur Reformation zu befeitigen fucht. Lehrer
Kramer behandelt die Zeit, in welcher Zweibrücken unter
fchwedifcher Herrfchaft ftand (1697 ff.) und die Mafs-