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Ausgabe:

1896 Nr. 6

Spalte:

158-159

Autor/Hrsg.:

Hort, Fenton John Anthony

Titel/Untertitel:

Judaistic christianity. A course of lectures 1896

Rezensent:

Loofs, Friedrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 6.

158

in diefer nur genannt, nicht mehr eingehend berück- j
fichtigt werden. Sie ift frifch und zuversichtlich ge-
fchrieben und erweckt den Eindruck, dafs der Verfaffer,
wenn er wollte, für die Wiffenfchaft Erfpriefsliches leiften
könnte. Freilich wäre dazu nöthig, dafs er fich einer
noch etwas gröfseren Unbefangenheit befleifsigte, als
bisher, und fich ein wenig mehr auf die bisherige Arbeit
der Fachgenoffen einliefse. Ein formeller Mangel feiner i
Arbeit befteht darin, dafs er, im Benreben, die Quellen
auch in den Details reden zu laffen, die Hauptfachen
in Einzelheiten erfticken läfst. Sachliche und erheblichere
Ausstellungen find folgende: In fehr unzweck-
mäfsiger Weife zertheilt er den Stoff, indem er ,das
Verhalten zu Jefus' getrennt behandelt von ,dem Verhalten
zum Reiche Gottes', dem Thema einer zweiten Schrift.
Wie kann man fo eng Zufammengehöriges zerreifsen?
Ferner verzichtet Verf. auf alle Kritik der Ueberlieferung.
Das hängt damit zufammen, dafs er keine Abhandlung
zum ,Leben Jefu' fchreiben will, fondern eine biblifch-
theologifche, er will die Lehre Jefu nach den Synoptikern
fchildern oder wie er fagt, nach den ,Herrenworten'.
Hiermit meint er nicht etwa die irgendwie reconftruirten
i.6yiu des Ap. Matthäus, fondern alle Worte des Herrn,
die in den Synoptikern vorkommen. Und zwar benutzt
er diefe ohne alle Kritik. Wo es ihm pafst, verwendet
er fie auch in der fecundärflen Lucasform oder nach
Marcus, oft nach Matthäus, auch wo diefer ganz fecundär
ift, aber meift, ohne kritifche Gründe anzugeben. Alfo
die Synoptiker find ihm im Grunde eine Quelle. Nun
aber befchränkt er fich thatfächlich gar nicht auf eine
Wiedergabe der Anfchauungen der Synoptiker, fondern
mifcht beftändig die hiftorifche Frage, was denn nun
Jefus wirklich gefagt habe, ein. So fchwankt die Darstellung
principlos hin und her und liefert aufs Neue
den Beweis, dafs man von diefen Dingen nicht reden
kann ohne ein beständiges Ringen mit den quellen-
kritifchen Problemen. Infofern genügt die ganze Arbeit
Strengeren wiffenfchaftlichen Anforderungen nicht.

Die Refultate, die man alfo noch nicht als hiftorifche
Erkenntnifse, fondern als eine vorläufige Zufammen-
ftellung des Materials anfehen Soll, find etwa folgende:
Jefus will durch feine Wunderthaten und feine Verkündigung
das Vertrauen der Zeitgenoffen auf fich lenken.
Dies Vertrauen foll fich bethätigen in der ftsidvoia, dem
,fich Umdenken', man foll Sich an ihn um Sündenerlafs
wenden und feine Verkündigung verftändnifsvoll aufnehmen
in Vertrauen und Thatgehorfam. Das Alles ift
ja ungefähr unbestreitbar, und wird fehr nüchtern und
fchwunglos gefchildert.

Vor Allem fehlt durchweg der eschatologifche Hintergrund
für alle diefe Anforderungen Jefu. Wie Stellt Sich
nun der Verf. zu den beiden wichtigen Fragen nach dem
Sinne der Jüngerfchaft und der Meffianität Jefu, die man
doch vor Allem in diefer Schrift beantwortet fehen
möchte?

Die Forderung der ,Nachfolge' erstreckt Sich nach
GraSs auf Alle, wenn auch nur die Zwölf Sie in vollem
Sinne erfüllt haben. Das fchwere und bisher nicht befriedigend
beantwortete Problem, wie fich die beiden
Kreife der fiaihpai im engeren und der Anhänger im
weiteren Sinne zu einander verhalten, und wie weit Jefu
Ethik eine exoterifche oder efoterifche fei, ift hier überhaupt
kaum gefühlt, gefchweige denn gelöft.

Die andere Frage, ob Jefus Sich als den Meffias gefühlt
und feine Anerkennung als folcher gefordert habe,
wird bejaht. Der Verf. empfindet wohl die Schwierigkeit,
dafs Jefus doch andererfeits feine Meffianität .verheimlicht'
habe, verweift aber für ihre Löfung auf das .Leben Jefu'
und giebt nur Andeutungen zur Löfung. Die Herrenworte
geben keinen Auffchlufs darüber. Um fo zuversichtlicher
meint er aus den Herrenworten den Sinn des
Namens ,Sohn Gottes' entnehmen zu können. Die übliche
Deutung von einem einzigartigen Liebesverhältnifs zum

Vater fei eine .unerhörte Sublimirung'. Die Parallele
zwifchen Davidsfohn und Gottesfohn (Mc 12) zeige, dafs
auch mit der Gottesfohnfchaft auf den Urfprung aus Gott
hingewiefen fei, wie bei David an die Abstammung gedacht
werde. Hier möchte man die Gegenfrage Stellen,
ob dann nicht Mtth 69 ff. die Gotteskindfchaft der Jünger
eine Abstammung von Gott bedeute, da ja doch das
Gleichnifs vom Vater und Sohn von natürlicher Verwandtschaft
redet. — Jedenfalls fei Sohn Gottes nicht
= Meffias. Das Petrusbekenntnifs fei in vollem Umfange
nur bei Matthäus erhalten, wo Petrus über das Meffias-
bekenntnifs hinaus ihn noch den Sohn des lebendigen
Gottes nennt und dafür dann, weil Jefus dies nicht erwartet
hat, fondern freudig von des Petrus Worten über-
rafcht ift, mit der Seligpreifung belohnt wird. Bei Mc
und Lc fehlt diefe natürlich, weil Petrus hier nur das
Meffiasbekenntnifs fpricht, das Solches Lobes noch nicht
werth war! — Mit den für ihn etwas Schwierigen Worten:
,Niemand ift gut, aufser Gott allein', findet der Verf. fich
in höchft gezwungener und unmöglicher Weife ab (S.94).—
Zum Schlufs noch Eins: Jefus hat .... eine directe
Stellung zu feinem eigenen bevorstehenden Tode gefordert
'. Die Jünger follen ihn als gottgewollt anerkennen,
als in der Schrift geweisfagt (Mtth 2652 ff.), als einen
zum Heil der Seinigen dienenden. Das ift befonders in
den Abendmahlsworten angedeutet. — Bei der Behandlung
der lucanifchen Worte ift Grafs unbefangen und einfach
genug, die kürzere Form als urfprünglich anzuerkennen.
Seine Deutung der Abendmahlsworte aber bietet, Soweit
Sie mir verständlich geworden ift, nichts Ueberzeugendes.—
Ich fchliefse mit dem Wunfche, dafs der Verf. Sich etwas
tiefer in die Kritik der Quellen einlaffen möge. Das
wird feinen zukünftigen Arbeiten zu Gute kommen. Als
ein Verdienst mufs ich ihm Schliesslich aber noch die
Fragestellung des Ganzen anrechnen. Denn es ift in
der That fehr wahrfcheinlich, dafs von der Frage nach
der Jüngerfchaft aus die andern Probleme des Lebens
Jefu fich leichter löfen werden. Um fo mehr freilich hätte
ich gewünfcht, dafs gerade das Problem der Jüngerfchaft
fchärfer gestellt worden wäre.

Marburg. J. Weifs.

Hort, Prof.Fenton John Anthony, D.D., Judaistic christianity.

A course of lectures. Cambridge and London, Mac-
millan & Co., 1894. (XII, 222 S. 8.) Geb. 6 s.

J. B. Lightfoot, geboren 1828, geftorben als Bifchof
von Durham am 21. December 1889, B. F. Weftcott,
geb. 1825, Lightfoot's Nachfolger in Durham, und F. J. A.
; Hort, geb. 1828, geft. 30. Nov. 1892, find, wenn nicht
überhaupt die bedeutendften anglikanischen Theologen
des letzten Menfchenalters, fo doch jedenfalls in diefer
Zeit die berühmtesten Lehrer der Univerfität Cambridge
gewefen, die Lightfoot und Weftcott bis zu ihrer Erhebung
auf den Bifchofsftuhl, Hort bis zu feinem Tode zu ihren
Profefforen zählte und Stolz fich deffen erinnert, daSs
diefe drei, faft gleichaltrigen grofsen Gelehrten eine Zeit
lang vereint der ehrwürdigen alma mater zur Zierde gereichten
. Es ift begreiflich, dafs man das Wirken der
I beiden Schon Abgerufenen mit ihrem Tode nicht abge-
i Schloffen fehen mochte: von Lightfoot ift pofthum nicht
nur feine grofse Ausgabe der Clemensbriefe (2 vols 1890),
fondern auch ein Band Biblical essays (1893) erfchienen;
aus Hort's Nachlafs ift als erfte von mehreren Vorlefungen
das vorliegende Buch publicirt worden.

Man wird es mit grofser Spannung in die Hand
j nehmen. Denn es ift ftets lehrreich, zu fehen, wie die
bei uns discutirten Fragen fern von dem Getriebe der
deutfehen Schulen, aber in lebhafter Fühlung mit ihren
Arbeiten von grofsen Theologen des Auslandes aufge-
fafst und erledigt werden. Dafs die Erwartung getäufcht
wird, darf man dem verewigten Verfaffer nicht anrechnen: