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Ausgabe:

1896

Spalte:

147-148

Autor/Hrsg.:

Fabri, Friedrich

Titel/Untertitel:

Im Lenze der Liebe. Aus dem Nachlasse 1896

Rezensent:

Kühn, Bernhard

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147

148

Stellt der Staat der Kirche dem Individuum gegenüber
feine Zwangsgewalt zur Verfügung, nöthigt er feine Bürger
, Glieder einer beftimmten Kirche zu werden und fich
den Gefetzen derfelben zu unterwerfen, fo haben wir die
Geftalt der Staatskirche. Diefe Geftalt gehört in Deutfch-
land einer abgefchloffenen, hinter uns liegenden Periode
an, nicht aber die Landeskirche. Der Staat greift nicht
mehr in die religiöfe Freiheit des Individuums ein. aber
er hält die hiftorifch gegebene Verbindung mit der Kirche
feft. Er unterftützt fie und fördert ihre Zwecke, aber er
beeinflufst und leitet fie auch in mancher Hinficht. Und
wo die Dinge fo fich verhalten, da haben wir die Geftalt
der Landeskirche.

Die Frage i(t nun, ob diefes Landeskirchenthum, diefe
Verbindung zwifchen Staat und Kirche, wie fie bei uns
befteht, ein Abfall von den Ideen und Idealen der Reformation
und ob die Freikirche das Ziel ift, dem wir zuzu-
ftreben haben. Der Verfaffer verneint das. Er verkennt
nicht, dafs der gegenwärtige Zuftand manche Mängel
hat. Aber er fieht auf dem freikirchlichen Gebiet noch
gröfsere. Er hält auch das landesherrliche Kirchenregiment
, in dem fich ja felbftverftändlich die Landeskirche
zufpitze, das aber nicht als bifchöfliche Gewalt, nicht
als Summepifkopat, fondern als Theil der Staatsgewalt
zu faffen fei, für eine durch theoretifche und praktifche
Gründe wohl zu rechtfertigende Inftitution und kommt
fonach zu dem Refultat, das er als ein aus den neueften
kirchenrechtlichen Unterfuchungen fich ergebendes bezeichnet
, ,dafs bei uns in Deutfchland die evangelifche
Kirche Volkskirche im vollen Sinn nur bleiben kann in
der Geftalt des Landeskirchenthums mit Einfchlufs des
landesherrlichen Kirchenregiments, dafs ungeachtet m n-
cher Mängel diefe Form vor der des kirchenpolitifchen
Freikirchenthums bei weitem den Vorzug verdient'. Auf
Kirchenneubaupläne fei alfo vorläufig zu verzichten. Nur
in einem Pnnkte hält der Vertaner eine Aenderung für
dringend wünfchenswerth: in unterer gegenwärtigen Con-
firmationspraxis. Hier, meint er, follten wir durch eine
zweckmäfsige Umgeftaltung der Freikirche im religiöfen
Sinn uns zu nähern fuchen. Es follte, was fo oft fchon
verlangt wurde, zwifchen einem Kinderkatechumenat u.
einem Competentenkatechumenat unterfchieden, der erfte
Abendmahlsgenufs von der Confirmation getrennt und zu
einer Sache wirklicher Freiwilligkeit gemacht werden.
Aus denen, die fich dazu meldeten und dabei den Ent
fchlufs ausfprächen, der evangelifchen Gemeinde anzugehören
, werde fich dann eine engere Gemeinde bilden,
in der das kirchliche Leben vor allem pulfire. Dadurch
werde die Volkskirche nicht gefprengt, fondern nur ,mit
einem guten Tropfen freikirchlichen Oeles gefalbt'. Doch
verfchweigt der Verfaffer nicht, dafs gerade diefer Vor-
fchlag in der nachfolgenden Discuffion den ftärkften Bedenken
begegnete.

Dies die wefentlichen Gedanken der kleinen Schrift.
Wie man auch im einzelnen über die in ihr berührten
Fragen denken mag, jedenfalls ift fie zur Orientirung
vortrefflich geeignet und regt zu weiterem Nachdenken
über die behandelten Probleme an. Das war ja wohl
auch im allgemeinen der Zweck der in Bonn gehaltenen
Vorträge.

Augsburg. J. Hans.

Fabri, Friedr., Im Lenze der Liebe. Briefe aus dem Nach-
laffe. Mit einem Geleitwort von Emil Frommel.
Berlin, Beffer, 1895. (VIII, 204 S. 8.) M. 2. —

Emil Frommel, der den Sohn des Brieffchreibers
wegen der Herausgabe diefer feiner Brautbriefe berathen
hat, urtheilt in dem als Geleitwort hier abgedruckten
Schreiben, dafs Fabri, einer der weitblickendften und
tiefangelegteften Segensmenfchen unterer Tage, fchon in
diefen Kundgebungen feines jugendlichen Geiftes die

! letzten Wurzeln feiner Kraft und feinen ganzen Herzens-
I grund offen und blofs gelegt habe. Man wird diefem
Urtheil im Allgemeinen beiftimmen können, was die in
diefen Briefen dargelegten Grundfätze anlangt. Fabri
war in den Jahren 1848—51 Stadtvicar in Würzburg, und
von den Briefen, die er während diefer Jahre an feine
j Braut gefchrieben hat, find von dem Herausgeber Bruch-
ftücke an einander gereiht, denen ihre Form äufserlich
belaffen, andererfeits aber durch fortwährende Weg-
| laffungen am Anfang, am Ende und auch mitten darin
wieder genommen ift. Der junge Geiftliche war erfüllt
von Baader'fchen Ideen, lebte in den Schriften Jakob
Böhme's und St. Martin's, rang mit diefer Gedankenwelt,
um fie fich felber klar zu machen und ihre Grundfätze
für das ftürmifch bewegte Leben jener Jahre fich zurecht
zu legen, und alle diefe Selbftgefpräche bekam die ferne
! Braut wortgetreu zu geniefsen. Den oft ausgefprochenen
1 Zweck, fich auf folche Weife zu gegenfeitiger nächfter
und vertrautefter Bekanntfchaft noch vor der Ehe zu
verhelfen, hat der Brieffchreiber ganz gewifs erreicht;
doch bleibt zu fragen, ob die Braut gegenüber diefen
fortwährenden theoretifchen Feftftellungen über das Glück
der Liebe und der Ehe nicht bisweilen ähnliche Empfindungen
gehabt haben mag, wie der unbefangene Lefer
hinterher, dafs etwas mehr gefunde Natürlichkeit einem
24jährigen Bräutigam wohl angeftanden haben würde.
Von Blumhardt, mit dem er fich damals mehrfach berührt
hat, hätte er fie lernen können. Frommel, der fie
fich bis ins Greifenalter bewahrt hat, mufs fich durch
den Gegenfatz befonders angezogen gefühlt haben, als
er vorfchlug, diefe ßrieffammlung ,1m Lenze der Liebe'
zu betiteln; das Frühjahr tritt ja fehr verfchieden auf.
Immerhin bleiben diefe jugendlichen Ergüffe des bedeutenden
Mannes höchft werthvoll namentlich für Solche,
die ihm fpäter nahegeftanden haben und nunmehr die
Knospenwelt, aus der fich Blüthen und Früchte entwickelt
haben, in ihrem Sproffen und Treiben gewiffer-
mafsen zu beobachten in der Lage find. Bei folcher
Betrachtung erfcheint ja Vieles in einer Beleuchtung, die
fich der ferner flehende Lefer mit keinem Mittel herbeizaubern
kann. Im Intereffe folcher Lefer müfsten wir
wünfchen, es wäre mehr geboten worden. Dafs aus einem
folchen Briefwechfel fehr Vieles mufs ausgefchieden
werden, verfteht fich von felbft, und dafs die Ädreffatin,
die eine feiten begabte und ganz ausnahmsweife ernft
und hoch gefinnte Braut gewefen fein mufs, ihre eigenen
Briefe nicht hat beifügen wollen, das begreift fich leicht;
aber eben damit, dafs man wenigftens Etwas aus dem
perfönlichen und amtlichen Leben ungeftrichen gelaffen
hätte, wäre erft das rechte volle Verftändnifs diefes
eigenartigen Sinnens ermöglicht worden, und ihren wahren
Werth als eine erziehende und erhebende Leetüre
für chriftliche Braut- und Eheleute kann diefe Sammlung
erft einmal erlangen, wenn der ganze Briefwechfel wefent-
lich unverkürzt wird geboten werden können. Einftweilen
haben wir es beinahe nur mit Gedankenfplittern zu thun,
in denen manche Wahrheit treffend und fchön ausge-
fprochen ift, und die einen wohlthuenden Einblick in ein
edles Jünglingsherz und in einen reich begabten Geift
verftatten.

Dresden. Dr. phil. B. Kühn.

Erwiderung.

In feiner Recenfion meiner deutfehen Ausgabe von
Tiele's fieschiedenis van den godsdiaist enz.1 I. 1 (Gotha,
F. A. Perthes, 1895), bezweifelt Herr Profeffor Jenfen
aufgrund der in diefer (S. 155) enthaltenen Bezeichnung
Maruduk's als ,Sohngott', dafs ich das bearbeitete
holländifche Original .ganz verftanden habe'. Ich mufs
diefe unbegründete Behauptung auf das Entfchiedenfte
zurückweifen. Hätte der Herr Recenfent den holländi-
fchen Originaltext verglichen — was er offenbar nicht