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Ausgabe:

1896

Spalte:

110-112

Autor/Hrsg.:

Knodt, Emil

Titel/Untertitel:

D. Johann Westermann, der Reformator Lippstadt‘s und sein Katechismus, das älteste litterarische Denkmal der evangelischen Kirche 1896

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 4.

110

nur der feige Brief Melanchthon's an Carlowitz, wo er
fchreibt: tuli antca servitutem paene deformem, von Cleon
findet fich nichts da. Ebenfowenig fleht etwas davon
in dem Brief an Veit Dieterich C. R. 3, 594. Offenbar
wollte Görigk CR. 5, 310 den Brief an Joachim Camerarius
citiren, in dem Melanchthon über Luther's Streit mit den
Juriften fchreibt; dort fagt Mel, er fürchte ein Alter
qvaetog ovorjg ayav sfxna-itQtg, wie bei Herakles, Philoktet
und Marius; aber ift hier von einem ,wüthenden Herkules'
die Rede? Der kleine, jähzornige und ängftliche prae-
ccptor Gcrmaniae hatte gewifs allen Grund, die Leiden-
fchaftlichkeit des Alters zu fürchten. Die Ultramontanen,
z. B. Röhm in Paffau, lieben es, von uns genaue Be-
weife für die Uebereinftimmung mit den erflen Quellen
zu fordern, aber fie felbft machen es fich leicht. Eine
Quelle für Cleon-Luther hat Görigk nicht beigebracht.
So fei fie ihm dank D. Kawerau's Nachweis denn ver-
rathen. C. R. 5, 293 fchreibt Melanchthon an Camerarius
(der nette Unfinn Görigk's ,Loc. comun.' ift wahrfcheinlich
aus Joach. Camerar. entflanden) : noster concionem Jiabuit,
in qua ov v.caa zi]v liEQiy.Xtnvg oe/.ivoTijTa, äXXix y.aia
mv KXiwvog na^qrplav y.ad-tjipaio %ü>v voßa(f>vXd/.iov.
Alfo nicht Luther wird hier mit Cleon verglichen, fondern
feine gewaltige Sprache in feiner Predigt gegen die
Juriften, die doch viel Berechtigung hatte.

Auch fonft ift Görigk's Quellenbenützung fehr zweifelhafter
Art. S. 13 fchildert er Luther's Hochzeit nach
Kolde, M. Luther 2, 201. Man mufs bei Kolde felbft
nachlefen, wie er deffen Darftellung mifshandelt, ein
.Aergernifs' hineinflickt und die von Melanchthon ausdrücklich
berichteten heiligen Gebräuche wegläfst. S. 88
läfst er Bugenhagen gebrochen' an Leib und Seele
fterben. Dafs der alte, abgearbeitete Mann feine leiblichen
Kräfte fchwinden fah, begreift felbft ein römifcher
Subdiakonus, aber dafs er gebrochen an der Seele ge-
ftorben, widerfpricht allen Berichten über Bugenhagen's
Ende und ift reine Erfindung.

Ueberall fieht man den gelehrigen Schüler Janffen's,
der mit kleinen Pinfelftnchen das Bild der Reformatoren
und ihres Werkes entftellt und dann fich höchft un-
fchuldig als ftreng gewiffenhafter Hiftoriker hinftellt.
Nett ift fchon der Pragmatismus in dem Satz S. Ii: Von
nun an ftellte Bugenhagen fich voll und ganz in den
Dienft der Reformation. Das ,von nun an' kann fich
offenbar nicht auf den unmittelbar vorhergehenden Ab-
fchnitt ,Von der Abfchaffung der Meffe in der Schlofs-
kirche' beziehen, fondern auf die weiter oben gefchilderte
EinfetzungBugenhagen's in die einträgliche Stellung,
eines Pfarrers an der Marienkirche. Man braucht darüber
kein Wort zu verlieren. Görigk hat offenbar im Auge,
mit welchen Mitteln die päpftlichen Nuntien den Eifer
eines Faber, Naufea und Eck wach erhielten, und trägt
das auf Bugenhagen über. Görigk weifs, dafs man im
Kreis der Freunde Luther's ,nicht feiten einen allzu guten
Trunk that' S. 28. Die frivole Erfindung eines Surius,
als habe fich Bugenhagen von Dänemark mit den Worten
verabfchiedet: ,Tu mcum habeas, Dania, Evangelium, ego
nummos tuos. Vale' ift für den jungen Subdiakonus reine
Wahrheit. Es pafst ja in feinen Kram. Hebt er doch
gefliffentlich ,das viele Geld' hervor, das Bugenhagen
von Hamburg und anderen Orten, wo er reformirte,
heimbrachte. Geradezu ihm Geiz vorzuwerfen, ift ihm
nicht mehr möglich, denn er hat das Büchlein von Meinhof
gelefen, aber er thut es verfteckt. Sonderbar! Sind die
Gemeinden den Reformatoren und Paftoren dankbar,
dann find diefe geldgierig, find die Gemeinden karg und
undankbar, dann rufen Janffen und Genoffen: da fieht
man die Früchte des Evangeliums! Und doch wie be-
fcheiden ift die Hinterlaffenfchaft unferer Reformatoren
z. B. gegenüber der Wimpina's (Stud. u. Krit. 1894, 391),
vom Reichthum eines Erasmus ganz zu fchweigen!
Natürlich werden auch die Schmähungen eines Flacius
und Genoffen wegen Bugenhagen's Haltung 1547 fr. aufgewärmt
. Geradezu empörend ift die Erzählung von
Bugenhagen's Ankunft in Hamburg ,mit feiner achtbaren
und hochfchwangeren Frau Walpurga'. Bugenhagen's
Gattin wurde um Oftern 1529 von einem todten Kind
entbunden. Am 9. Oct. 1528 kam das treue Weib, das
ihren Gatten auf feinen mühevollen Reifen als Reformator
begleitete, in Hamburg an. Man fieht nicht nur, wie
zuverläffig diefer junge Herr ift in feiner Darftellung,
fondern auch, was für ein reines Herz er hat. Und
wenn er nur wenigstens die nöthigen Kenntnifse, die
nöthige Genauigkeit und die nöthige fprachliche
Bildung befäfse, um fich an einen Bugenhagen heranzuwagen
, deffen Schöpfungen auf dem Gebiet der Kirchen-
und Armenordnungen in keiner Weife gewürdigt werden.
An Kenntnifsen fehlt es z. B.: Am II. Mai 1529 fchwört
Hegge den Calvinismus in der Petrikirche zu Hamburg
ab!! An Genauigkeit: Amandus heifst nicht Peter, fon-
i dem Johann, Hegge nicht Johann, fondern Jakob. Vgl.
Enders, Luther's Briefwechfel 4, 361 und 5, 121. Dies
nur zwei Beifpiele. An Sprachkenntnifs: S. 44 fagt
Luther natürlich nicht, man folle die Bifchöfe mit Lumpen
werfen, fondern mit Lungen, d. h. Pferdebollen austreiben
. Vgl. Braunfchweiger Lutherausgabe 4, 482. Dafs
der kleine Braunsberger Janffen Luther nicht versteht, ift
verzeihlich, aber er hat nicht einmal von feinem Meister
gelernt, ordentlich deutfch zu fchreiben. Hier zwei Beifpiele
. S. 59: Philipp von Pommern ,hatte eine für die
Reformation empfängliche Erziehung genoffen'. S. 7 5:
,Das Bisthum Cammin, deffen Bifchofsftadt anfangs
nach Colberg, dann nach Wollin verlegt worden war'.
In Amerika verfetzt man Häufer, in Braunsberg Bifchofs-
ftädte. Es ift fchwer verftändlich, wie ein Mann, wie
Profeffor Dr. Dittrich, zu einer fo geringen Arbeit nicht
nur Anregung, fondern auch Fingerzeige gegeben hat
(S. IV). Soeben macht D. Kawerau Ref. auf die eingehende
Befprechung durch O. Vogt in den Monatsblättern
der Gefellfchaft für Pommerfche Gefchichte 1895,
S. 147—154 und 161—167 aufmerkfam.

Nabern. G. Boffert.

Knodt, Pfr. E., D. Johann Westermann, der Reformator
Lippftadt's und fein fogenannter Katechismus, das
älteste litterarifche Denkmal der evangelifchen Kirche
Westfalens. Ein Beitrag zur Gefchichte der weftfälifchen
Reformation und des Katechismus. Gotha, Schloefs-
mann, 1895. (170 S. 8.) M. 2.—

Max Göbel hat in feiner .Gefchichte des chriftlichen
Lebens in der rhein.-weftfäl. evang. Kirche' Bd. I (Coblenz
1849) S. 130 zuerft wieder — nach ihm Prof. D. Kawerau
in ,Zwei älteste Katechismen der luth. Reformation'
(Halle 1890) S. 9 Anm. 1 — auf das kleine niederdeutfche
Büchlein aus der Reformationszeit aufmerkfam gemacht,
das uns nun durch einen von Pfarrer Knodt in Münster
beforgten Neudruck vorliegt. Aufser diefem Neudruck
des fog. Katechismus — richtiger Faftenpredigten über
die zehn Gebotel) — enthält das dem Generalfuper-
intendenten Nebe gewidmete Buch eine die allgemeine
Katechismusgefchichte der erflen Reformationszeit behandelnde
Einleitung und* eine 78 Seiten umfaffende
Biographie des Johannes Westermann.

Zunächft zu dem Neudruck einige Bemerkungen.
Der Titel desfelben ift dreimal in extenso wiedergegeben,
einmal in der Einleitung (S. 3), einmal in der Biographie
(S. 43 h) und einmal als Titel des Neudrucks (S. 97).
Leider fcheint er an letzterer Stelle am wenigsten genau
abgedruckt zu fein. Jedenfalls ftimmen die drei Wiedergaben
nicht mit einander überein: man lieft S. 3 u. 43:
des gelovens, S. 97: Des gelouens; S. 3 u. 44: broeder,
S. 97: broder; S. 3 u. 97;Johan, S. 44: Johann. Richtiger

1) Anhangsweife werden ganz kurz Credo und Vaterunfer behandelt.