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Ausgabe:

1896

Spalte:

65-71

Autor/Hrsg.:

Tiele, C. P.

Titel/Untertitel:

Geschichte der Religion im Altertum bis auf Alexander den Grossen. I. Bd., I. Hälfte 1896

Rezensent:

Jensen, Peter

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Theologische Literaturzeitung.

Herausgegeben von D. Ad. Harnack, Prof. zu Berlin, und D. E. Schürer, Prof. zu Göttingen.

Erfcheint Preis
alle 14 Tage. Leipzig. J. C. Hinrichs'fche Buchhandlung. jährlich 18 Mark

N2i 3.

Tiele, Gefchichte der Religion im Altertum bis
auf Alexander den Grofsen, 1. Bd. I. Hälfte
(Jenfen).

Veckenftedt, Das Paradies und die Bäume

des Paradiefes (Schürer).
Ramsay, The cities and bishoprics of Phrygia,

vol. I (Schürer).

1. Februar 1896.

Ehrhardt, Der Grundcharakter der Ethik Jefu
im Verhältnifs zu den meffianifchen Hoffnungen
feines Volkes und zu feinem eigenen Meffias-
bewufstfein (Wrede).

Blass, Acta apostolorum sive Lucae ad Theo-
philum liber alter (Holtzmann).

21. Jahrgang.

Stofch, St. Paulus der Apoftel (Deifsmann).

Paulini Nolani opera P. i ed. Härtel [Corpus
scriptorum ecclesiasticorum latinorum vol.
xxix] (Preufchen).

Kaehler, Der lebendige Gott (Härtung).

Müller, Max, Anthropologifche Religion (Härtung
).

Tiele, C. P., Geschichte der Religion im Altertum bis auf i fachlich denkender Mann wie TiELE würde gewifs ohne

Alexander den Grossen. Deutfche autorifierte Ausgabe
von G. Gehrich. 1. Bd. i.Hälfte. Gefchichte der
ägyptifchen und der babylonifch-affyrifchen Religion.

Rückhalt bekennen können, dafs es ihm an der Fähigkeit
1 gebricht, fchwierigere affyrifche Texte, wie es die reli-
giöfenTexte z.T. find, für feinen Zweck ftreng philologifch
zu analyfiren. Darin liegt feine Stärke nicht. Diefer

Gotha, F. A. Perthes, 1895. (XV, 216 S. gr. 8.) M. 4. — Umftand war ihm bereits bei der Ausarbeitung feiner
Meine geringfügigen Kenntnifse von der ägyptifchen babylonifch-affyrifchen Gefchichte ein vielleicht von ihm
Religion verdanke ich keinem Quellenftudium. Ich kann | nicht immer empfundenes Hindernifs, den Thatfachen
daher über TlELE's Darftellung ihrer Gefchichte und abfolut gerecht zu werden. Wie viel mehr aber mufste
Entwicklung kein Urtheil fällen und mufs mich fomit er ihm hinderlich fein, wo es fich um die Bewältigung
auf eine Befprechung des zweiten Haupttheils feines | v°n Texten handelte, deren Sprache fich nicht wie die
Buches beschränken. cler meiften hiftorifchen Texte in flereotypen leicht zu be-

An mehr oder weniger umfangreichen neueren Ar- herrfchenden Phrafen bewegt, fondern mannigfaltig und
beiten über die Religion der Affyro-Babylonier ift kein I gewählt im Ausdruck fich zu der der hiftorifchen Texte etwa

Mangel. Von wirklich berufener Seite, d. h. von Gelehrten,
die nicht nur eine gründliche Kenntnifs derQuellen und Sinn
für die Scheidung von Wahrheit und Dichtung, fondern

wie die Ovid's zu der eines lateinifchen Uebungsbuchs für
Quarta verhält. Vom Sumerifchen verfteht TiELE dazu, fo-
weit ich weifs und erkenne, fo gut wie Nichts. Es war daher

auch religiöfes Verfländnifs haben, ift eine derartige Arbeit zu erwarten, dafs in feiner Arbeit viele gröfsere Mifsver
aber neuerdings nicht in Angriff genommen worden. So I ftändnifse, falfche Schlüffe und PTälle mangelhafter Orien-
leichtfinnige und liederliche Machwerke wie SAYCE's Hibberi { tirung mitunterliefen. Auf Einiges der Art, das die Religion
Lectures mussten den Wiffensdurft der grofsen, urtheils- j und Mythologie angeht und deffen Erörterung zugleich
lofen und vertrauensfeligen Menge befriedigen. Um fo ' allgemeineres Intereffe beanfpruchen kann, fei hier hinmehr
wird fich Mancher über das Erfcheinen des j gewiefen. Mannigfache Irrthümer des Hiftorikers und
TlELE'fchen Buches und feiner Ueberfetzung gefreut 1 d.es Philologen können wir hier nicht weiter berückfich

haben. Gilt doch der rühmlichft bekannte Verfaffer der
babyl.-affyr. Gefchichte mit Recht als ein ernfter, vor-
fichtiger, urtheilsfähiger Arbeiter, und konnte man darum
anfcheinend mit Recht erwarten, dals er uns lediglich
erweisbare Thatfachen, jedenfalls keine fchlecht begründeten
Hypothefen vorführen, dafs er uns nichts
Wichtiges vorenthalten, dafs fich überall in feiner Schrift

tigen, fo befremdlich es uns auch z. B. erfcheinen mag,
dafs nach TiELE Bar-bar-unu-ki ftatt Babbar-UNU-ki oder
üt-unu-ki Larsa entfprechen foll (p. 151), oder dafs
TiELE nicht zu wiffen fcheint, dafs es einen Text giebt,
der für GlS-tu-bar die Ausfprache Gilganüs fordert
(P- 161).

Die alte Anficht, dafs die Zaubertexte einen ,Gei(V

vollkommenfte Beherrfchung der Materie offenbaren des Himmels und einen der Erde erwähnen (p. 156), ift

werde. Es thut uns leid, fagen zu müffen, dafs in nicht zu halten. Nis la/nl und n/s irsitim in Verbindung

feinem Buch derartige Erwartungen durchaus nicht in mit tamn (= ausfprechen) heifst ,Name des Himmels

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jeder Beziehung erfüllt worden find. Auf p. 4 ftellt
PlELE einige felbftverftändliche und darum fehr zu billigende
Grundfätze für die Methode der Religionsgefchichte
auf. Er erhebt dort die Forderung, dafs Jemand, der
über Religionsgefchichte fchreiben will, von gewiffen-
haftern und fachkundigem Quellenftudium ausgeht, und,
wo ihm dies unmöglich ift, verftändigen Gebrauch von
der wiffenfchaftlichen Arbeit Anderer macht. Wie nun
aber, wenn der Religionsforfcher, der fonft an verftändige
Arbeit gewöhnt ift, zu einem wirklichen Quellenftudium
Olcht im Stande ift, zugleich aber wiffenfchaftliche Arbeiten
Anderer, die ihm dies erfetzen könnten, nicht zur
Verfügung flehen? Dann mufs er — diefer Schlufs ift
unvermeidlich — entweder auf fein Vorhaben, eine Religionsgefchichte
zu fchreiben, verzichten oder auf die
Hoffnung, Beftmögliches zu leiften. Der eben conftruirte
Ball liegt hier nun aber vor. Wirklich ernft zu nehmende

und ,Name der Erde', die ganze Phrafe: ,beim Himmel
und bei der Erde fchwören'.

Es ift nicht erweislich, dafs Ellila (Bei) der Schreckliche
und furchtbare Herr der Unterweltsgeifter' ift (p. 146,
p. 149, p. 152, p. 166, p. 169). Die babylonifchen Semiten
theilten die Welt in 3 Gebiete, das des Himmels, das der
Erde und das des Waffers unter und um die Erde ,und
unterftellten diefe den 3 Göttern Ann, Bei und ta (?).
Die Sumerer aber unterfchieden zwifchen den drei Verwaltungsgebieten
des .Oberen', d. i. des Himmels, des
,Unteren' d. i. der Erde und des Waffers, und, des
Windes d. i. der Luft., Letzteres ift das Reich Inlila-
Ellilds. Der Name Iniila bedeutet .Herr des Windes'
bez. ,der Luft', wie Tiele auch richtig auf p. 169 annimmt
.

Tiele meint auf p. 166, dafs uns der eigentliche Name
und die Bedeutung der mit NlN-gal d. i. .grofse Herrin'

Arbeiten über affyrifche religiöfe Texte und Themata giebt . bezeichneten Gemahlin des Mondgottes unbekannt find
es nur in befchrankter Anzahl, und ein fo objectiv und | Etwas weniger fkeptifch hätte er fich wohl äufsern können

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