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Ausgabe:

1896

Spalte:

56

Autor/Hrsg.:

Kirn, Otto

Titel/Untertitel:

Schleiermacher und die Romantik 1896

Rezensent:

Ritschl, Otto

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55

Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 2,

56

feiner Anfchauungen bewufst geworden ift. Gegenftand den Abfchnitt der Rechtfertigungslehre über die Sünde
des Glaubens ift nämlich das ,Gut göttlicher Gnade und genau gelefen, wenn er wiederholt die bekannte Fabel
Gemeinfchaft' (S. ICH). Das ift der Oberfatz. Güter j nachfpricht, Ritfehl hätte die Sünde als Unwiffenheit
werden natürlich genoffen, indem fie angeeignet werden. ,definirt'. Auch verwechfelt der Verf. (S. XIV) die Dog-
So fupplire ich aus den Erörterungen des Verf.'s, in matik von Fr. Nitzfeh mit deffen Dogmengefchichte.
denen fo viel Gewicht auf die Function des Geniefsens ; Von diefer ift allerdings die Fortfetzung ausgeblieben,
gelegt wird, den Unterfatz. Ergo ift der Glaube in 1 jene ift vollftändig in einem Bande 1889 und 1892 erfeinem
Wefen Genufs. Quod erat demonstrandum. — fchienen.

Dagegen findet der Verf. die Definition des Glaubens Dem Verf., dem es an Begabung und Fleifs ganz

als Vertrauen ungenügend und einfeitig (S 101). An- gewifs nicht gebricht, ift es im Intereffe feiner künftigen
dererfeits foll Vertrauen als pfychologifcher Begriff zu Leiftungen dringend zu empfehlen, fich mehr zu concen-
complicirt fein (S. 255). Ja, ift es denn nothwendig, triren, genauer und vorfichtiger in feinen Angaben zu
dafs der Glaube, der doch den ,ganzen Menfchen um- werden, gröfsere Klarheit im Denken und in der Dar-
fafst' (S. 101), ein elementarer pfychologifcher Begriff1 ftellung zu erftreben und etwas forgfamer auf feinen Stil
ift? Ift denn der ,ganze Menfch1 etwa ein einziges pfy- j zu achten. Einem Satz wie dem folgenden follte man
chologifches Element und nicht vielmehr der einheitliche | in einem wiffenfehaftlichen Buche nicht begegnen: ,Von
Complex aller feiner pfychifchen Functionen, die wir | Monographien fei dabei nur etwa Kühl, die ,Paulinifche
nur in der pfychologifchen Theorie von einander trennen? ! Rechtfertigungslehre' (dies Buch heifst übrigens,die Heils-
Ich glaube, der Verf. wird mit jener pfychologifchen j bedeutung des Todes Chrifti') von uns citirt, ohne desEntdeckung
, die mir vielmehr fehr unpfychologifch vor- ] wegen immer mit ihr übereinzustimmen' (S. 74).
kommt, nicht viel Glück machen. I Endlich ift es mir völlig unverständlich geblieben, wes-

Er hätte doch auch nicht feine pfychologifchen j halb auf dem Titelblatt der vorliegenden Schrift die
Studien, wenn er fie für die Theologie fruchtbar zu Worte zu lefen find: ,Zugleich ein Appell an die Verächter
machen gedachte, fo vorwiegend an die neuere Pfycho- des Chriftenthums unter den wiffenfehaftlich intereffirten
logie, fo wie fie von philofophifcher Seite getrieben wird, Gebildeten'.

anlehnen follen. Gerade wir Theologen müffen uns aus
der Rückficht auf die Eigenart unterer Aufgaben auch
bei der Behandlung der pfychologifchen Fragen den
Blick für die Erfcheinungen im Ganzen und in ihrem

Bonn. O. Ritfchl.

Kirn, Prof. Dr. Otto, Schleiermacher und die Romantik.

gegentot^ Bafel, Reich, 1895. (40 S. gr. 8,) M. —. 80

ift zwar Lotze, über den der Verf. felbft vor einigen
Jahren eine Monographie gefchtieben hat, ein trefflicher
Lehrmeister. Aber vor allem kann man noch immer
gerade in pfychologifchen Fragen unendlich viel von
Schleiermacher, diefem genialen Kenner der menfehlichen
Seele, lernen; und zwar nicht fowohl aus feinen hinter-

Der Verf. befpricht zunächft das Wefen der Romantik
im Unterfchied von dem Clafficismus, erzählt darauf
Schleiermacher's Leben bis zur Auflöfung der roman-
tifchen Schule und giebt endlich einen Bericht über die
Hauptgedanken der Reden über die Religion. Der Verf.
fagt im Vorwort, dafs er den Werken von R. Haym

laffenen Vorlefungen über die Pfychologie felbft, als aus j über die romantifche Schule, von W. Dilthey über Schleierfeinen
Reden, feiner Glaubenslehre und aus feiner chrift- ! macher's Leben, theilweife auch G. Brandes' Vorlefungen

liehen Sittenlehre. Ferner ift auch noch heutzutage
Kant's Anthropologie, die ja auch Herbart fehr warm
zum Studium empfohlen hat, trotz ihrer bekannten

über die Hauptftrömungen des 19. Jahrhunderts manches
verdanke. Daneben fcheint er von der Specialliteratur
über Schleiermacher's Reden keine Notiz genommen zu

Mängel, ein unverächtlicher Wegweifer gerade auf die i haben. So werden in dem Bericht über diefeg Werk
gegenwärtig in den Hintergrund getretenen concreten auch die eigentlich fchwierigen Probleme, die die Reden
und eigentlich für den Theologen wichtigen pfycholo- I dem theologifchen Verftändnifs darbieten, gar nicht beglichen
Probleme. i rührt oder auch nur angedeutet. In formaler Hinficht

Der Verf. freilich fcheint Schleiermacher nicht aus
eigenem Studium, fondern nur von Hörenfagen zu
kennen. Er behauptet, Lotze und andere hätten die
Scheidung des Religiöfen und Moralifchen begründet
(S. XXII), während er doch wohl auch von den viel
früheren, epochemachenden Verdienften Schleiermacher's
in diefer Angelegenheit wiffen durfte. Er meint ferner,
Schleiermacher hätte anfangs von ,religiöfen Gefühlen'
,im Sinne des umfaffenden Glaubens' geredet und fich
bekanntlich' durch ,Hinzufügen der Anfchauung ver-
beffert' (S. 99). In Wirklichkeit ift es vielmehr umgekehrt,
nur dafs Schleiermacher weit entfernt davon gewefen
ift, ,von religiöfen Gefühlen zu reden im Sinne des umfaffenden
Glaubens'. Ferner mufs es jedem, der
Schleiermacher's Glaubenslehre auch nur bis zu S. 15
felbft gelefen hat, einigermafsen naiv erfcheinen, wenn
der Verf. behauptet, der Ausdruck Abhängigkeitsgefühl
,folle übrigens nicht von Schleiermacher, fondern von
Delbrück, dem frommen Erzieher des nachmaligen Königs
Friedrich Wilhelm IV., flammen' (S. 225). Thatfächlich
beruft fich Schleiermacher auf Delbrück's Vorgang allein
für den Gebrauch des Wortes ,fchlechthinig'. Vom Gefühl
der Abhängigkeit des Menfchen von Gott hat aber
vor Schleiermacher fchon Daub geredet. Ebenfo wie
von Schleiermacher's Leiftungen hat der Verf. von A.
Ritfchl's Theologie recht kraufe Vorftellungen, obgleich

ift die Darfteilung gewandt und fliefsend.

Bonn. O. Ritfchl.

Bechtel, Dek. Friedr., Die positive Theologie und der moderne
Rationalismus mit Bezug auf das Schriftchen,
,Falfche Alternative in der evangel. Kirche' von Pfr.
Dr. Krone in Bötzingen. Karlsruhe, Reiff, 1894. (VII,
160 S. 8.) M. 1. 20

Der Titel giebt die Veranlaffung der Schrift an.
Jenes Schriftchen des Pf. Krone (Zell i. W. 1894, 49 S.)
forderte für Baden die Gründung einer Mittelpartei, da
der Parteigegenfatz zwifchen ,Liberal' und ,Pofitiv' nicht
berechtigt fei. Durch gegenseitige Anerkennung fei er
auszugleichen. Als Boden für diefen Ausgleich empfiehlt
Kr. die badifche Kirchenrathsinftruction v. 1797. Mehrfach
kommt Kr. auch auf die Stellung zum Apoftolicum
und deffen Werth zu fprechen. Daraus erklärt fich die
Dispofition von B.'s Gegenfchrift. Zunächft ftellt er den
Gegenfatz der ,rationaliftifchen' und der ,pofitiven' Theologie
dar (die Benennung Jiberal und confervativ' lehnt
er als für das kirchliche Leben unpaffend ab) (S. 8—78).
Darnach beleuchtet er jene Kirchenrathsinftruction (S.
78—87), befpricht weiter das Apoftolicum und feine ver-
fchiedenen Auffaffungen (S. 87—139), um endlich ,prak-
er den Anfpruch erhebt, ,die Ritfchl'fche"Schule" fort- ! tifche Folgerungen' aus dem Gefagten abzuleiten (S.

bilden' zu wollen (S. XXV). Er hat doch wohl kaum j 139.—16b). Dafs jene Brofchüre von Krone viele ,Unklar-