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Ausgabe:

1896

Spalte:

52-56

Autor/Hrsg.:

Vorbrodt, Gustav

Titel/Untertitel:

Psychologie des Glaubens 1896

Rezensent:

Ritschl, Otto

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den evangelifchen reformatorifchen Glaubensbegriff, und Leitung des Herrn Pfr. Ch. Byfe in Laufanne vorgetragenen
jede der ftreitenden Richtungen meint, dafs fie den wah- i Reden, vor drei Jahren gehalten und darauf in dem
ren, rechten habe, und dafs fie daher für das Kleinod Chretien evangelique veröffentlicht hat. ,Welches find in
unferer evangelifchen Kirche eintrete. Im Intereffe der | unferen Tagen die Ausfichten des Chriflenthums und die
Verfländigung über den Glaubensbegriff wirft C. zuerft nächftliegenden Bedingungen feiner Erhaltung und wer

einen Blick auf die Gefchichte. Er fucht nachzuweifen,
wie fcheinbar faft mit einer hiftorifchen Nothwendigkeit

teren Verbreitung? Worauf ruht es in der modernen
Menfchheit, und was darf man rechtmäfsiger Weife von

der Glaube von Zeit zu Zeit fich dem Begriffe des Für- ! der Zukunft erwarten?' Um mit einiger Sicherheit die
wahrhaltens einer Lehre annähere, und wie diefe Auf- j heutigen Bedingungen des chriftlichen Glaubens zu be-
faffung dann fo fehr die Würde und den Werth des ftimmen, fchlägt der Verf. zunächft den hiftorifchen Weg
Selbftverftändlichen empfängt, dafs ihre Anhänger in der : ein, indem er die Glaubensbedingungen in der Vergan-
Beftreitung diefes Glaubensbegriffs fchon die Beftreitung j genheit unterfucht. Mit bewunderungswürdiger Schärfe
derGlaubensobjecte fehen. Eine folche Verfchiebung fand i beleuchtet er die radicale Umwälzung, welche die wiffen-
zunächft beim Volk Israel ftatt, wo der Glaube vom I fchaftliche Methode in der Gegenwart erfahren hat, und
urfprünglichen Vertrauen auf den Heilsgott zur gefetz- ! die entfprechende Verfchiebung, die dadurch in den
liehen Leiftung des Fürwahrhaltens der Zeugnifse von j leitenden Centren der geiftigen Welt erfolgt ift. Offen
Gott ausartete. Eine ähnliche Verkehrung läfst fich bei ] und frei bekennt er die Schäden, für welche die evange-
dem Uebergang der Urkirche zur katholifchen Kirche, lifche Kirche und Theologie mit verantwortlich ift. ,Wir
oder der Reformation zur fcholaftifchen Orthodoxie des haben der Elite zweier Menfchengefchlechter den Weg
Proteftantismus beobachten. Die Beurtheilung des ortho- zur Höhe des Chriflenthums fchwerer als nöthig gemacht,
doxen Glaubensbegriffs ift ebenfo klar und treffend als und haben ohne Grund die Theilnahme und Unterftützung
mild und befonnen; der Verf., der ein fcharfes Auge hat j anderer verfcherzt'. Doch ift die gegenwärtige Lage, wie
für die Gebrechen und Unarten unferer Zeit, weifs auch ' ernft fie auch fein mag, deshalb nicht verzweifelt. Die
die wirklich religiöfen Motive der gegnerifchen Anfchau- J pofftive Entwickelung der mit Klarheit und Umficht ent-
ungen und Behauptungen zu würdigen. Die pofitiven worfenen Apologetik des Verf.'s läfst fich in die AusAusführungen
zielen darauf ab, den ,modernen'Glaubens- fage Joh. 7, 16—17 zufammenfaffen. Die Energie, mit

begriff als den echt evangelifchen, reformatorifchen dar-
zuftellen und zu rechtfertigen. Wie fehr ich auch von

welcher F. fich auf den Boden des fittlichen Bewufstfeins
Hellt und aus der Thatfache des Sollens die in derfelben
der Richtigkeit diefes Vernichs durchdrungen bin, fo I enthaltenen Confequenzen zieht, die innere durchaus
kann ich doch nicht umhin zu bekennen, dafs der Verf. | ethifch bedingte Nothwendigkeit, welche den fittlich Streb-
m. E. in zu einfeitiger und gewifs unhiftorifcher Weife i famen in der Perfon Chrifti die unverrückbare Grundlage

Luther von der nachfolgenden orthodoxen Epoche ifolirt,
Will man fagen, dafs der Begriff des evangelifchen
Heilsglaubens als gottgewirkte fiducia cordis principiell
von Luther wiedergewonnen und in claffifcher Weife aus-
gefprochen worden ift, fo wird diefes Urtheil durch die
Gefchichte fragelos beftätigt; nur follte man zugeben,
dafs nicht erft Melanchthon, fondern bereits Luther felbft
für die verhängnifsvolle Umbildung des Heilsglaubens
zur orthodoxen Trias von ,Wiffen, Zuftimmung, Vertrauen
' und die daraus fich ergebenden Folgerungen
mitverantwortlich ift. Formell ift daher die' Berufung
unferer die Paftoren oft terrorifirenden Laienorthodoxie
häufig genug in ihrem Recht; die Frage wird nur die
fein, ob wir auf Luther den evangelifchen Chriften oder
auf Luther den Scholaftiker zurückzugehen haben. Um
diefe Scheidung kommen felbft diejenigen nicht herum,
die am energifchften gegen eine Halbirung Luther's
proteftiren.

3) Der Verfaffer des dritten Heftes, Herr Gafton
Frommel, feit zwei Jahren Profeffor der fyftematifchen
Theologie in Genf, wo er mit Talent und Erfolg die
keineswegs leichte Erbfchaft Bouvier's angetreten hat,
ift in Deutfchland kein Unbekannter mehr. In einer Reihe
feinfinniger Artikel hat Frau Charlotte Broich er die
Lefer der Chriftlichen Welt (Jahrgang 1892) mit
Frommel's Esquisses contemporaines bekannt gemacht,
welche gröfstentheils in der Revue chretienne erfchienen,
fpäter als Separatabdruck herausgegeben und erweitert,
in Frankreich und der franzöfifchen Schweiz mit Recht
Auffehen erregt haben. Durch die in jener Schrift enthaltenen
Studien über Edmond Scherer und Charles
Secretan, fowie durch zahlreiche Eflays in der Revue
chretienne, der Revue de theologie et de Philosophie und
dem Chretien evangelique hat fich Frommel als einen
Theologen bekannt gemacht, welcher, zunächft durch
Vinet und Secretan angeregt, mit dem Gange der wiffen-
fchaftlichen Theologie in Deutfchland, England und
Schottland gründlich vertraut, feine eigenen Wege geht
und in die theologifche Arbeit des franzöfifch redenden
Proteftantismus felbftändig und erfolgreich eingegriffen hat.

des evangelifchen Heilsglaubens finden läfst, hat der
Verf. in einer oft ergreifenden Sprache zum Ausdruck
gebracht. Die mit Sorgfalt und Verftändnifs, vielleicht
nicht immer mit der erwünfehten Gefchmeidigkeit ver-
fafste, mitunter durch beibehaltene franzöfifche Ausdrücke
etwas Hörende Ueberfetzung vermag immerhin einen
Eindruck von dem durch Kraft und Schönheit ausgezeichneten
Original zu geben.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Vorbrodt, Guft., Psychologie des Glaubens. Zugleich ein
Appell an die Verächter des Chriftentums unter den
wiffenfehaftlich intereffirten Gebildeten. Göttingen,
Vandenhoeck & Ruprecht, 1895. (XXX, 257 s. gr.8.)

M. 7. —

Dem Titel des vorliegenden Buches verdanke ich
mehr Anregung, als den Ausführungen felbft, die weiterhin
der Verf. giebt. Dafs diefer nachdrücklich auf die
Pflege der Pfychologie als eines gerade für Theologen
fehr wefentlichen Studiums hinweift, ift allerdings ver-
dienftlich. Dafs die Art aber, in der er felbft Theologie
und Pfychologie zu vereinigen fucht, gerade mufterhaft
fei, wird niemand finden, der fich mit feinem Buche
gründlich befchäftigt hat. Die Darftellungsweife ift fo
ungeordnet und falopp, fprunghaft und unzufammen-
hängend, wie ich es, aufser in dem vor einigen Jahren
viel gelefenen, nun, wie es fcheint, ziemlich verfchollenen
Buche ,Rembrandt als Erzieher', kaum je gefunden zu
haben mich entfinne. Auch fonft erinnert die vorliegende
Schrift, nicht zu ihrem Vortheil, manchmal an jenes
Product. Dem Verfaffer ift ja eine gewiffe Geiftreichheit
gewifs nicht abzufprechen, er bringt auch oft recht nette
Bilder und Vergleiche. Andererfeits neigt er — was
damit wohl zufammenhängt — nur allzufehr zu Ueber-
treibungen, Paradoxien und Einfeitigkeiten. Dazu ift er
von einem hohen Selbftbewufstfein erfüllt, deffen Berechtigung
allerdings durch die vorliegende Leiftung nicht
erhärtet ift. So liebt er es auch, feine Anflehten in der
Vorliegende Schrift ift dTe Ueberfetzung eines"Vortrags, j Form von Behauptungen mit grofser Beftimmtheit Vörden
F. in einem Cyclus von apologetifchen, unter der 1 zubringen, ohne fich viel Mühe zu geben, für fie auch