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Ausgabe:

1896 Nr. 26

Spalte:

692-693

Autor/Hrsg.:

Hoffmann, A.

Titel/Untertitel:

Ueber Erziehung zur Religion 1896

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 26.

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Inhalt des Schriftchens, das einen reichen Stoff in fafs- zeugung find. Die fittliche Anlage darf nicht erft will-
licher Form dem Nachdenken des Lefers darbietet, in- kürlich aprioriftifch, einem vorgefafsten philofophifchen
dem es ihn zugleich zur aufrichtigen Selbftprüfung auf- : Syfteme zu Liebe entftellt und zurechtgeftulzt werden,
fordert und anleitet. Dafs die Ausfuhrungen Seeberg's fondern die allgemein anerkannten Thatfachen des fitt-

mancherlei Einwendungen und Bedenken hervorrufen
werden, fpricht nicht gegen die Gediegenheit des Vortrags,
welcher sich mit den gegnerifchen Anfchauungen in
fachlichem Ernft und würdigem Ton auseinanderfetzt;
fo liefsen fich z. B. neben die biblifch-theologifchen Erörterungen
einige Fragezeichen fetzen, oder es dürfte
ein näheres Eingehen auf die gefetzgebende Form des
Gewiffens in ihrem Verhältnifs zur rügenden vermifst

liehen Bewufstfeins müffen erklärt und begründet werden.
Diefe Thatfachen verfucht der Verf. in einige Sätze zu-
fammenzufaffen. 1) Es gibt einen objectiven Unter-
fchied zwifchen gut und böfe, eine fittliche Güte von
behenderer unanfechtbarer Erhabenheit und Heiligkeit,
ein objectives, allgemeingültiges, abfolut verpflichtendes
Sittengefetz (objective fittliche Anlage). 2) Der Menfch
fühlt fich dem Gefetze gegenüber abfolut verpflichtet;

werden, oder man wird vielleicht, felbff bei aller Zu- ! er darf feine phyfifche Freiheit nicht im Widerfpruch
ftimmung zur Behauptung des individuellen Charakters 1 zum Sittengefetz gebrauchen. Er foll fein Glück, nach

des Gewiffens, die Abfertigung des gemeinfchaftlichen
Elementes und die Begründung des Satzes ,das öffentliche
Gewiffen ift eine Phrafe' zu fchwach finden. Wie
dem auch fei, wer von einem Vortrag nicht die er-
fchöpfende Behandlung eines Gegenftandes fordert, der
fchwierig und wichtig genug ift, um ausführliche und

umfangreiche Unterfuchungen in Anfpruch zu nehmen, lieh (fittliche Ordnung). 4) Das Gcmüth verlangt eine voll

dem er notwendigerweife ftrebt, nur innerhalb der Schranken
des Sittengefetzes fuchen, und er ift für feine freie
Thätigkeit verantwortlich (fubjective fittliche Anlage).
3) Nur in der vom Sittengefetz beftimmten Weltordnung
kann der Menfch fein Glück finden, kann die menfeh-
liche Gefellfchaft gedeihen, ift der Culturfoitfchritt mögwird
diefes Büchlein nicht ohne Dank für die erhaltene
Anregung und F'örderung aus der Hand legen.

Strafsburg i. E. P. Lobftein

Didio, Gymn.-Relig.-Lehrer. Dr. C, Die moderne Moral
und ihre Grundprincipien, kritifch beleuchtet. [Strafs-
burger theol. Studien, hrsg. v. Alb. Ehrhard u. Fug.
Müller, II. Bd., 3. Hft] Freiburg i. B., Herder, 1896.
(IX, 103 S. gr. 8.) M. 2.—.

Diefer Schrift liegt eine Inauguraldiffertation zu
Grunde, welche der Verfaffer der theologifchen Facultät
zu Würzburg unter dem Titel ,Der ethifche Gottesbeweis
' vorgelegt hatte. In Folge einer Aufforderung der

Redaction der ,Strassburger theologifchen Studien' j tont.' Dies ift allerdings richtig, aber es kommt doch

Händige Ausföhnung zwifchen Verdient! und Schickfal,
eine vollftändige Gluckfeligkeit zur Belohnung des Ver-
dienftes, fowie eine fichere Hülfe für die Schwachheiten
des Menfchen und Verzeihung für den reuigen Sunder
(Postulate des Gemüths). — Der Verf. Hellt eine
weitere Abhandlung in Auslicht, welche eine Analyfe
diefer Thatfachen und den daraus fich ergebenden Beweis
für die ExiHenz Gottes liefern foll. Er hält fich
aber für berechtigt, bevor er die verfprochene Darlegung
und Begründung gegeben, jene Thatfachen als
paffenden Ausgangspunkt und practifchen Mafsltab
feiner Kritik vorauszufetzen, da die benannten Thatfachen
,im Bewufstfein unläugbar mit einem abfolut
verbindlichen Charakter exiHiren, da auch jede Ethik
die Notwendigkeit der Pflicht und des Sittengefetzes bewurden
jene Ausführungen, die für einen weiteren Kreis hier alles auf das Wie an, und alle jene Ausdrücke, die
Intereffe bieten, herausgegriffen und zu einer einheit- der Verf. im hergebrachten Sinne verlieht und ver

liehen Abhandlung verarbeitet. — Der Verfaffer (katho
lifcher Religionslehrer am Gymnafium zu Hagenau i. E.)
will nur die Moralfyflcme berückfichtigen, welche ein
neues Prinzip zur Erklärung der Sittlichkeit aufflellen.
Seine Studie zerfällt in fechs Capitel. Nach einer einleitenden
Orientirung über ,das fittliche Problem in der
Gegenwart' (S. 1—21) befpricht er den ,Eudämonismus
oder Utilitarismus' (Bentham, Priestley, Stuart Mill, Paulfen,
Ziegler), ,den franzöfifchen Pofitivismus und den Darwinismus
(A. Comte, Littre, Taine, Herbert Spencer), ,das
Moralprinzip des Culturfortfchritts' (Wundt), ,Kant's
Ethik', ,den Pefflmismus (Schopenhauer, Hartmann).
Sowohl gegen die verflachte Gruppirung als gegen die
adoptirte Reihenfolge der einzelnen Vertreter der ver-
fchiedenen Moralprinzipien liefsen fich manche Einwendungen
machen: fo kann z. B. Taine, der die Möglichkeit
eines Aufbaus der Metaphyflk auf empirifcher
Grundlage energifch feflhält (vgl. das Schlufscapitel
feines umfangreichen Werkes: De l'Intelligence, auch
die Vorrede zu der Schrift Les philofophes frangais
au XIX siecle), nicht ohne Weiteres zu den Pofitiviflen
gezählt werden; fonderbar nimmt fich auch die Einfügung
der Ethik Kant's zwifchen Wundt und Schopenhauer
aus. IH die Anordnung keine genetifche, aus welcher

wendet, find vielfältiger Deutung fähig, haben jedenfalls
eine fehr verfchiedene Erklärung erfahren; es ifl demnach
ein wiffenfehaftlich bedenkliches Verfahren, der
allgemeinen kritifchen Beurteilung eine Reihe von Sätzen
zu Grunde zu legen, welche gerade das Object der
Discufflon bilden, und die nicht erfl einer nachträglichen
Unterfuchung überladen werden dürfen. Andere Punkte
werden ebenfo begründeten Widerfpruch hervorrufen;
fo vor allem die namentlich in dem Capitel über Kant
hervortretende unfichere Theorie des Erkennens, fpeciell
des fittlichen und religiöfen Erkennens. Trotz diefer
Ausflellungen enthält Didio's Schrift eine erhebliche
Summe fo beachtenswerter Bemerkungen, fie zeugt von
einer fo umfaffenden Belefenheit, fie zeichnet fich durch
einen fo befonnenen und fachlichen Ton aus, dafs fie auch
von Proteflanten mit Nutzen gelefen und ihnen beflens
empfohlen werden kann.

' Strafsburg i. E. P. Lob Hein.

Hoff mann, Ffr. Dr. A., Ueber Erziehung zur Religion. [Hefte
zur „ChriHl. Welt" Nr. 22.] Leipzig, Grunow, 1895.
(36 S. gr. 8.) M. -.40.

In zwei Abschnitten behandelt der Verfaffer das von
der innere Zufammenhang der SyHenie klar hervortritt, i ihm in Angriff genommene Thema; er stellt zunächst

fo dürfte auch die Darltellung der einzelnen Moral- ' mit feinem pädagogifchen Takt die leitenden Grundsätze
Prinzipien eingehender und fchärfer fein; namentlich I für die religiöfe Erziehung der Unmündigen dar (S.6—21);
find die verfchiedenen Formen und Nuancen der eudämo- i das zweite Capitel (S. 22—33) ist der religiöfen Erziehung
niHifchen Moral nicht mit hinreichender Deutlichkeit und ! der Mündigen gewidmet und fafst, nach treffenden Be-
SelbffHändigkeit gezeichnet. Was endlich die Kritik merkungen über Individualität, Gefchlechtsunterfchied,
betrifft, fo erklärt D., als Ausgangspunkt und Mafsffab Bildungs- und Standesunterfchied, den reichen Stoff unter
derfelben gelten ihm einfach die Thatfachen des fittlichen die allgemeinen Gefichtspunkte der Erweckung, der Er-
Bewufstfeins, wie fie die Selbffbeobachtung jedem klar ! bauung und der religiöfen Selbffändigkeit zufammen.
darffellt und wie fie Gemeingut der menfehiiehen Ueber- j Nicht nur den Zunfttheologen, auch den gebildeten Laien