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Ausgabe:

1896 Nr. 26

Spalte:

683

Autor/Hrsg.:

Löhr, Max

Titel/Untertitel:

Der Missionsgedanke im Alten Testament 1896

Rezensent:

Siegfried, Carl

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683

Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 26.

684

Lohr, Prof. Max, Der Missionsgedanke im Alten Testament, j

Ein Beitrag zur altteftamentlichen Religionsgefchichte.
Freiburg i. B., J. C. B. Mohr, 1896. (40 S. gr. 8.)

M. -.80.

Der Verf. beginnt mit der Angabe der Vorarbeiten
auf dem Gebiete feines Themas (S. 1 f.). Es fei geftattet,
ihn darauf aufmerkfam zu machen, dafs auch der Unterz. in
einem indenjahrbb. für proteft. Theologie 1890, S. 435—453
abgedruckten Vortrage: „Prophetifche Miffionsgedanken
und jüdifche Miffionsbeftrebungen" daffelbe berührt hat.
Auch erfchien in der kirchlichen Monatsfchrift von Pfeiffer
Jahrg. 1894 Auguft S. 748—758 ein Auffatz von Meilin
über: „Die Mifiion im A. T." — Den letzteren kennt
Ref. nur dem Titel nach, weifs alfo nicht zu fagen, ob
die Nichtkenntnifs deffelben einen Verlust bedeutet. Im
Allgemeinen verfolgen ja aber bekanntlich die Arbeiten
der genannten Zeitfchrift weniger wiffenfehaftliche Ge-
fichtspunkte als kirchenpolitifche und erbauliche. — Auch
die Nichtbeachtung feiner eigenen Arbeit will Ref. dem
Verf. nicht als Vorwurf anrechnen, denn diefe war ein
Vortrag in einem Miflionsvereine, bei dem nicht daran
gedacht werden konnte, die Sache wiffenfehaftlich zu
erfchöpfen. Nur das hätte der Verf. vielleicht aus dem
dort (S. 444 ff.) Gefagten entnehmen können, dafs die
Aufgabe, den Miffionsgedanken zu realifiren, einmal eine
Zeitlang in der That fehr energifch und nicht ohne
Erfolg ins Auge gefafst ift innerhalb des helleniftifchen
Judenthums und dafs die Grundlagen, die diefes gefchaffen,
den Weg für die Arbeit des gröfsten Miffionars der Welt-
gefchichte, des Apoftels Paulus, bereitet haben. Die
univerfaliftifchen Gedanken des Deuterojefaja wurden
vom helleniftifchen Judenthum ergriffen, aber fein Bemühen
blieb ein fchöner Traum, denn der paläftinifche
Partikularismus fiel wie ein Reif auf diefe Frühlings-
blüthen. Derartige Ausblicke durften nach unserem
Dafürhalten S. 40 nicht fehlen; ohne fie bleibt das Bild
unvollständig oder es wird, wie a. a. O. A. 1 zeigt, geradezu
falfch. — Im Uebrigen aber ftimmen wir den Ausführungen
des Verf.'s wefentlich bei; befonders auch verdient
Lob, dafs feine Betrachtungen durchaus von echt
hiftorifchem Sinne getragen find und die wirklichen
Spuren des Miffionsgedankens, nicht apologetifche oder
dogmatifche Phantasmata, aufzeigen. Befonders Deuterojefaja
ift gut verwerthet.

Jena. C. Siegfried.

Sabatier, Prof. D. Aug., Theologische Erkenntnistheorie.

Ein kritifcher Verfuch. Ins Deutfche übertragen von
Dek. D. Aug. Baur. Freiburg i. B., J. C. B. Mohr,
1896. (IV, 63 S. 8.) M. —.90.

Sabatier's kurzer, aber inhaltreicher essay d'une
theoric critique de la connaissance reh'gicuse, zuerft in der
Revue de theologie et de Philosophie (Laufanne, Bridel)
im Juni 1893 erlchienen, dann als Separatabdruck herausgegeben
, wird nun von A. Baur, der fchon in feiner
Befprechung der Abhandlung im Theol. Jahresbericht
(Bd. XIII, S. 423 f.) eine Ueberfetzung als höchft wünfehens-
werth bezeichnete, dem allgemeinen Verftändnifs des
deutfehen Leferkreifes in dankenswerthefter Weife er-
fchloffen.

Sabatier beginnt mit einer philofophifchen Grundlegung
. Auch die religiöfe Erkenntnifs mufs, wie jede
ernfthafte Philofophie heutzutage, mit einer Erkenntnifs-
theorie den Anfang machen. Nach Verwerfung der drei
Arten von Erklärungen über den Urfprung unferer Er-
kenntniffe: der Plypothefe von einer Uroffenbarung, der
idealistifchen und der fenfualiftifchen Theorie kommt S.
auf die Kant'fche Erkenntnifstheorie zu fprechen, welche
,die tiefen Antinomien ans Licht treten liefs, deren regelrechtes
Spiel das Leben des Ich felbft ausmacht' (S. 9).

Die radikalfte und fruchtbarfte derfelben ift die zwifchen
Denken und Wollen, zwifchen theoretifcher und prak-
tifcher Vernunft, zwifchen dem wiffenfehaftlichen Determinismus
, der die Möglichkeit des fittlichen Handelns
aufhebt, und dem fittlichen Handeln, das den Determinismus
der Wiffenfchaft durchbricht (11 f.). Zur Löfung diefes
Conflictes ift nur die Religion im Stande, ,eine Geiftes-
religion, eine Thätigkeit des fich felber erfaffenden Geiftes,
vollzogen durch eine innere Glaubensthat, welche auf
diefem Gebiete nichts anderes ift als der gewaltige in-
ftinktive Auffchwung des menfehlichen Wefens, das fort-
beftehen und fich felbft erhalten will und fich die Realität
feines Geifteslebens felbft bezeugt'. Wenn S. noch weiter
hinzufügt, aus diefem Conflict entliehe die Religion ftets
im Herzen des Menfchen (14), fo läfst fich immerhin
fragen, ob damit die thatfächliche Entftehung der Religion
zutreffend charakterifirt fei. Jedenfalls dürfte der
als nähere Erläuterung eingeführte, übrigens mit dem
genannten nicht identifche Gegenfatz zwifchen Selbft-
bewufsfein und Weltbewufstfein dem Thatbeftand näher
kommen.

Die praktifche Löfung des Conflictes fchliefst aber
nach S. auch die Möglichkeit und die Hoffnung einer
theoretifchen Löfung in fich, zuerft pfychologifch: wegen
der Identität des Subjects der theoretifchen und der
praktifchen Vernunft, fodann fpeculativ: im Glauben
an die Oberherrfchaft des Geiftes in uns und in der
Welt. Doch dürfen die zwei Reihen der Wiffenfchaften,
die Naturwiffenfchaften, in welchen Zahl, Mafs und Gewicht
herrfcht, und die Geifteswiffenfchaften, deren Grundlage
der Glaube an den Werth und die Würde des
lebendigen Geifteslebens ift, nicht untereinandergemengt
werden.

Drei Hauptmerkmale find es, durch welche fich nach
S. die beiden Kategorien von Wiffenfchaften unter-
fcheiclen. Das religiöfe Bewufstfein ift fubj ectiv in feinem
Wefen und nach feinem Urfprung, die Naturwiffenfchaf t
objectiv. Diefe Objectivität befteht nicht in .der angeblichen
Kenntnifsdes ,Dinges an fich', fondern in der notwendigen
Verbindung, welche das wiffenfehaftliche Denken
unter den Erfcheinungen feftftellt und deren erfte Forderung
ift, ,aus der Wiffenfchaft die Gefühle und den
fubjectiven Willen des Ich zu eliminiren'. Das Object
der religiöfen Erkenntnifs aber offenbart fich gerade
,im Subject durch die pfychologifch-religiöfe Thatfache
felber' (28). Der zweite Gegenfatz, welchen das wiffenfehaftliche
und das religiöfe Erkennen bilden, ein Gegenfatz
des Verfahrens, ift der zwifchen Mechanismus und
Teleologie. Doch fchliefst die mechanifche Erklärung
der Erfcheinungen und der Determinismus der Wiffenfchaft
nur dann die Teleologie aus, wenn fie fich in
metaphyfifchen Materialismus umbilden. Urfache und
Ziel find vielmehr nur die beiden Seiten eines und
desfelben Aktes: ,bei der Urfache ift der Blick
des Bewufstfeins nach rückwärts, bei dem Ziel
nach vorwärts gerichtet' (35). Die Religion aber,
welche in dem praktifchen Bedürfnifs des Geiftes nach
einem Schutz gegen die beharrlichen Drohungen der
phyfifchen Welt befteht, mufs alles vom Gefichtspunkt
des höchften Gutes, des endlichen Sieges und der vollen
Entfaltung des Geifteslebens aus, alfo teleologifch, be-
urtheilcn. Das dritte Charactermerkmal der religiöfen
Erkenntnifs befteht darin, dafs fie fymboli fch ift, d.h.
,dafs alle Begriffe, welche das religiöfe Bewufstfein bildet
und verbindet, von der erften Metapher des religiöfen
Empfindens an bis zur abftrakteften Idee der religiöfen
Speculation, nothwendigerweife ihrem Gegenftand inadäquat
find' (40). Dem transcendenten Object der Religion
kann unfere Einbildungskraft nur durch Bilder aus
der Erfcheinungswelt, unfer Verftand nur durch logifche
Kategorien in Raum und Zeit einen Ausdruck verfchaffen.
Ein Beifpiel folches Symbolismus ift fchon die Sprache
und die Schrift als Verkörperungen des Gedankens, und