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Ausgabe:

1896 Nr. 25

Spalte:

660-661

Autor/Hrsg.:

Winter, Friedrich Julius

Titel/Untertitel:

D. Karl Friedrich August Kahnis 1896

Rezensent:

Thieme, Karl

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Theologifche Literaturzeitung. 1896. Nr. 25.

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weiter wirken, und den Lefern empfohlen werden nicht
als Beitrag zur wiffenfchaftlichen Bearb eitung der theore-
tifchen Probleme der chriftlichen Ethik, fondern als
beredter Ausdruck und treues Bekenntnifs eines Mannes,
der ,kein höheres Befbreben kannte ... als feine Zuhörer
mit fich in das Heiligthum des chriftlichen Lebens hineinzuführen
'.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Luthardt, D. Chr. Ernft, Kompendium der theologischen

Ethik. Leipzig, Dorff ling & Franke, 1896. (VIII, 379
S. 8.) M. 7.—

Luthardt's Compendium der theologifchen Ethik ift
die Frucht einer langjährigen reichen Arbeit auf dem
Gebiet der antiken und der chriftlichen Moral. Die
fchönen apologetifchen Vorträge über die Moral des
Chriftenthums, die umfangreiche Gefchichte der chriftlichen
Ethik, die Monographien über Ariftoteles', Luther's
und Melanchton's Bedeutung für die Moral, die kleineren
Auffätze ,Zur Ethik', die in ,Zöckler's Handbuch der
theologifchen Wiffenfchaften' erfchienene, fehr gedrängte
Ueberficht des ethifchen Syftems, bilden die Vorarbeiten
zu diefem die Summa der vornehmften Lebensarbeit
Luthardt's ziehenden Buch. Das fchwierige Problem
einer Zufammenfaffung und Verarbeitung des gewaltigen
Stoffs hat Luthardt aufs glücklichfte gelöft; wie fonft,
bewährt er fich auch hier als ein Meifter gewandter
Gruppirung und geiftvoller Darftellung. Wenn auch
der Kenner der früheren Veröffentlichungen Luthardt's
hier keine wefentlich neuen, in den bisherigen Werken noch
nichtgeäufserten Erkenntnifse und Gedanken finden wird, fo
liegt das Neue des Compendiums eben in der fyftema-
tifchen Durchführung der ethifchen Anfchauung des
Chriftenthums, auf der breiten und foliden Grundlage
hiftorifcher, namentlich aus der reformatorifchen Ethik
gefchöpfter Studien. ,Wir haben, bemerkt Luthardt mit
vollem Recht, für die Ethik keine Dogmengefchichte,
wie fie uns für die Dogmatik zu Gebote fteht. Nicht
einmal einen Namen haben wir dafür. Und doch follte
es fich von felbft verftehen, dafs die theologifche Ethik
der Dogmatik nur dann wiffenfchaftlich ebenbürtig zur
Seite treten kann, wenn fie ebenfo auf gefchichtlicher
Grundlage ruht wie diefe. Wenigftens ftand mir dies von
vornherein aufser Frage. Kaum in einer theologifchen
Ethik ift dies bis jetzt zum Ausdruck gekommen. Nur
etwa des Erlangers Hofmann Theologifche Ethik bringt
neben dem Schriftbeweis auch einen kirchengefchicht-
lichen Nachweis. Aber er ift nur zu fehr blofs kirchen-
gefchichtlich und nur in allgemeinen Zügen gehalten'.
In der That, vergleicht man jene Skizzen Hofmann's mit
den inhaltreichen, nicht blofs an einzelnen Stellen, fondern
bei allen Fragen des ethilchen Syftems hervortretenden
Ausführungen Luthardt's, fo ift die Förderung und Anregung
, welche das ethifche Studium aus denselben entnehmen
kann, eine fo wefentliche, dafs man dem Ver-
faffer dafür zu befonderem Dank fich verpflichtet fühlt.
— Die Anlage des Ganzen ift nur an einzelnen untergeordneten
Stellen von derjenigen verfchieden, die L. in
feiner Bearbeitung der Ethik für Zöckler's Handbuch
adoptirt hatte. Nach einer dem Begriff, dem Princip und
der Gliederung, endlich der Gefchichte der chriftlichen
Ethik gewidmeten Einleitung, handelt L. von der chriftlichen
Sittlichkeit in ihrem perfönlichen Werden (S. 55
bis 121), von der chriftlichen Sittlichkeit in ihrer Wirklichkeit
als tugendhafte Gefinnung (S. 122—180), von der
chriftlichen Sittlichkeit in ihrer Bethätigung als pflicht-
mäfsiges Handeln (S. 181—370: individuelle und fociale
Pflichtenlehre). Diefe Dispofition fchliefst fich im Wefent-
lichen an die Hofmann'fche an (vgl. bei Hofmann: ,Das
eigenthümliche Wefen des chriftlich-fittlichen Verhaltens,
das chriftlich-fittliche Verhalten als Gefinnung, die Bethätigung
der chriftlich-fittlichen Gefinnung im chriftlich
fittlichen Handeln'), doch wollte L. diefe Anordnung nach
vorn mehr fyftematifch abrunden, wo bei Hofmann durch
den Zufammenhang mit dem chriftlichen Lehrfyftem
überhaupt eine folche befondere Abrundung fehlt. (Vgl.
Theol. Ethik, S. 13 fg., 24 fg., 70 fg.). — Der Standpunkt
des Verfaffers ift hinreichend bekannt, und es ift hier nicht
der Ort, in Einzeldiscuffionen einzutreten; am nächften
fteht L. der von ihm felbft als ,gefund und nüchtern und
frei von falfch pietiftifchem Wefen, durch ihren kirchlichen
Charakter und reichliche Verwendung der heiligen
Schrift und Luther's ausgezeichneten Ethik' von Harlefs.
Unter denneuerenTheologen ift es befondersRitfchl, gegen
den fich die polemifche Spitze der Anfchauungen des
Verfaffers kehrt; er tadelt feinen „falfch moralifirenden Begriff
vom Reiche Gottes', feine .pelagianifirende Ab-
fchwächung des Begriffs der Sünde', feine ,Leugnung des
angeborenen, d. h. zu den fittlichen Anlagen des Men-
fchen gehörigen Charakters des Gewiffens', feine ,in ein-
feitigem Gegenfatz gegen Pietismus und Myftik' gebildete
Auffaffung der Liebe zu Gott, die R. .lediglich in der
Liebe zum Nächften als dem letzten Beweggrund aufgehen
läfst, wodurch dem chriftlichen Leben moraliftifch die
eigentliche Seele genommen ift'. (Vgl. aufserdem noch
S. 259, 218, 165, 180.) Möge das Buch in verftändnis-
voller Weife gebraucht werden, nicht als Tröfter für
folche, die nicht zu arbeiten verftehen und nur ihrer
Bequemlichkeit dienen wollen, fondern als Anleitung zu
gründlichem und umfaffendem Studium, wozu die Strebfamen
auch durch die reichen Literaturangaben aufgefordert
und ausgerüftet werden!

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Winter, Pfr. Lic. Frdr. Jul., D. Karl Friedrich August
Kahnis. Ein theologifches Lebens- und Charakterbild,
feinen ehemaligen Schülern dargeboten. Feftfchrift

zur Feier des 50jährigen Beftehens des theologifchen

Studentenvereins in Leipzig. Leipzig, Dörffling &

Franke, 1896. (IV, 98 S. gr. 8.) M. 1.50.

Der im Titel genannte, von Harlefs gegründete
Verein ift 1850 —1885 von Kahnis geleitet worden. So
erklärt fich diefe Feftfchrift. Sie will weder eine eigentliche
Biographie bieten noch eine kritifche Würdigung
der wiffenfchaftlichen Arbeiten und theologifchen Anfchauungen
, fondern das Bild der Perfönlichkeit und den
inneren Entwickelungsgang darftellen und fo in jene
Anfchauungen wie das gefammte Lehrwirken einen
tieferen Einblick zu geben verfuchen. Referent ift der
Meinung, dafs das Schriftchen mehr als eine ephemere
Feftfchrift — ein recht wohlgelungener Beitrag zur
theologifchen Gelehrtengefchichte ift. Die durch feine
hohe Schülerliebe nicht befangenen Urtheile Winter's über
Kahnis werden richtig fein. Seine Stärke habe nicht in
feinen Büchern gelegen, fondern im unmittelbaren perfönlichen
Wirken: ,er war, wie er fich wohl felbft gern
nannte, ein academifcher Schulmeifter und zwar im bellen
Sinne des Wortes'. Auch D. Mühlau in Kiel, der dem
Verfaffer einige Bemerkungen zur Verfügung geftellt hat,
urtheilt: ,ein Lehrer ohne Gleichen ... ein academifcher
Elementarlehrer par excellenccii. Winter findet, dafs die
Dictate für die Dogmatik vielleicht etwas reicher und
tiefer hätten gehalten fein können. Er deutet damit
etwas an, was man in den Kreifen der Schüler von
Kahnis nicht günftig nachwirken fieht. wenn man fie z. B.
mit denen Frank's vergleicht. Dafs die .Lutherifche
Dogmatik' Kahnis' Schranken als Syftematiker zeigt, erklärt
Winter fehr offen. Von ihren berühmten Hetero-
doxieen meint er, dafs fie nicht aus Rationalismus hervorgegangen
feien, fondern aus proteüantifcher Treue
gegen die Schrift. Sie find es m. E., die Kahnis', des
konfeffionellen Theologen, eigenthümliche Bedeutung in