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Ausgabe:

1896

Spalte:

649-652

Autor/Hrsg.:

Baumgartner, M.

Titel/Untertitel:

Die Philosophie des Alanus de Insulis 1896

Rezensent:

Deutsch, Samuel Martin

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Baumgartner, Dr. M., Die Philosophie des Alanus de In-
SUÜS, im Zufammenhange mit den Anfchauungen des
12. Jahrhunderts dargeftellt. (Beiträge zur Gefchichte
der Philofophie des Mittelalters, herausgeg. von Dr.
A. Baeumker und Dr. G. Frhr. v. Hertling, Bd. II,
Heft 4.) Münfter, Afchendorf, 1896. (XII, 145 S.
gr. 8.) ' M. 5.-.

Alanus de Infulis gehört zu den vielfeitigften Schrift-
ftellern des 12. Jahrhunderts. Dichter und Prediger, Polemiker
und Canonift, dogmatifcher Syftematiker und
Verfaffer eines biblifch-theologifchen Wörterbuches, ftellt
er das Wiffen und die Beftrebungen der Theologen in
der zweiten Hälfte des Jahrhunderts nach verfchiedenen
Seiten hin dar, namentlich aber erfcheint er als eins der

zeigt, ein günftiges Vorurtheil dafür, dafs er, was er ver-
fpricht, auch zu leinen im Stande fein wird.

Die Philofophie des Alanus alfo ift es, die hier zum
Gegenftand einer gründlichen methodifch geführten Unter-
fuchung gemacht wird. Die Einleitung charakterifirt A.
als Denker und Schriftfteller überhaupt und bezeichnet
die Quellen, aus denen er gefchöpft hat und feine
Stellung in der Entwicklung im Allgemeinen. A. ift
kein fchöpferifcher Denker, neue Probleme, felbfterfun-
dene Löfungen dürfen wir bei ihm nicht erwarten, aber
er kennt das in den gelehrten Schulen des Abendlandes
in Jahrhunderte langer Arbeit bewahrte und hinzugewonnene
Material, und eine eigenthümliche Verbindung
dichterifcher Anlage und dialektifchen Talentes befähigt
ihn, fowohl die ergriffenen Gedanken mit einem glänzenden
poetifchen Gewände zu bekleiden, wie den ge-
bedeutfamen Mittelglieder, welche von der Frühfcholaflik, 1 fammelten Stoff mit feltenen Scharffinn und über-

wie fie durch Anfelm v. G, Abälard, Hugo v. St. Viktor,
Petrus Lombardus u. A. repräfentirt wird, zu der Hoch-
fcholaftik des 13. Jahrhunderts hinüberführen. Natürlich
ift er der Aufmerkfamkeit der Hiftoriker auf diefem Gebiete
auch bisher nicht entgangen; bei Ritter, Stöckl,
Erdmann u. A. finden fich längere oder kürzere Ab-
fchnitte über ihn, auch gibt es eine Monographie
über A. als fcholaftifchen Philofophen von Dupuy,
Lille 1859. Aber aus diefen Darftellungen, deren Ver-
dicnft nicht verkannt werden foll, war eine genügende
Orientirung über ihn nicht zu fchöpfen, weil es an der
Vorbedingung dafür, einer eigens angeflehten gründlichen
Unterfuchung der Gedanken des A. für fich wie
im Verhältnifs zu den in feiner Zeit herrfchenden Anflehten
fehlte. Einem folchen Unternehmen flehten fich
befonders zwei Schwierigkeiten entgegen, die Unficher-
heit, welche über die Autorfchaft einiger der dem A.
beigelegten Hauptfchriften beftand, und die z. Th. fehr

rafchender Prägnanz zu formuliren. Gefchöpft hat er
vor Allem aus Boethius, daneben haben Johannes Skotus
, Anfelm v. C. u. A. eine Einwirkung geübt, am meinten
feine unmittelbaren Vorgänger, die Platoniker Bernhard
von Chartres und deffen Brüder Thierry, Wilhelm
von Conches, Gilbert von Poitiers als Commentator des
Boethius, Abälard, Johann von Salisbury und der Spanier
Dominicus Gundifsalinus. Von einem Einflufs der
Bewegung, die feit Mitte des 12. Jahrhunderts die chrift-
lichen Forfcher mit der ariftotelifch-arabifch-jüdifchen
Speculation in Berührung brachte, find bei A. kaum vereinzelte
Spuren zu entdecken; er zieht das Facit aus der
geiftigen Arbeit der verfloffenen Jahrhunderte, während
die beginnende neue Strömung ihm fern bleibt; eben
deshalb aber ift gerade an feinen Schriften fowohl der
Werth der bereits vorhandenen Gedankenmaffen wie die
Art und das Mafs des Fortfehrittes zu erkennen, das die
Bekanntfchaft mit dem ganzen Ariftoteles und feinen

fchlechte Befchaffenheit des Textes in den Ausgaben. Commentatoren der Philofophie des Abendlandes brachte.
Nach beiden Seiten hin eröffneten die von Baeumker Im weiteren Verfolge handelt die Schrift in fünf Ab

angeflehten, zuerft in dem philofophifchen Jahrbuch der
Görres-Gefellfchaft, Bd. VI u. VII, dann in befonderem
Abdruck unter dem Titel .Handfchriftliches zu den Werken
des Alanus' 1894 veröffentlichten Unterfuchungen
die betten Ausfichten. Die kleine Schrift, deren Inhalt
viel reichhaltiger ift als der Titel erwarten läfst, bietet
eine Fülle literarifch wichtiger Flrgebniffe, verbeffert
u. A. den Text der Schrift de arte catlwlicae fidei in
weitem Umfange und hält die Echtheit diefer und einiger
anderer angefochtener Schriften aufrecht. Die eigentliche
Beweisführung in diefer Beziehung hatte Baeumker
fich allerdings noch vorbehalten, und, wie es fcheint,
hat er feitdem die weitere Befchäftigung mit A. aufgegeben
. Man würde das im Intereffe der Forfchung aufs
Höchite bedauern müffen, wenn nicht, von ihm angeregt
und unterftützt, der Verfaffer der vorliegenden
Schrift in diefe Arbeit eingetreten wäre. Freilich giebt
die Schrift felbft nicht, was man zunachft erwartet haben
würde, Unterfuchungen über die Perfon, das Leben und
die Schriften des A.; der Verfaffer verfpricht, die Er-
gebniffe der in diefer Richtung von ihm an den Bibliotheken
zu Paris, Rom, Florenz und München angeftell-
ten Forfchungen demnächft zur Veröffentlichung zu
bringen und bemerkt für die gegenwärtige Arbeit nur,
dafs ihr literarhiftorifchcr Unterbau vollkommen gefichert
fei, und der Magifter von Lille auf die in ihr herangezogenen
Schriften (es find aufser den nicht bezweifelten Anti-
klaudianus und De planctu naturae befonders die Regulae
theologieae, De arte eat/i. fid., Ctr. haereses und Distine-
tiones rerum theologicaliian) ein unbeftreitbares Eigenthumsrecht
befitze. Man wird den Beweis hierfür, obwohl
nach Anficht des Ref. die Einwendungen gegen
die Autorfchaft des A. überhaupt nur bei der Schrift
de arte c. f. von einem gewiffen Belang find, natürlich
abwarten müffen, jedoch erweckt die Genauigkeit,
die der Verfaffer in der gegenwärtigen Abhandlung

fchnitten von der Logik und Erkenntnifslehre, von den
ontologifchen Begriffen und Gefetzen, von der Kosmologie
, von der Anthropologie und Pfychologie und
von der Theologie oder der Lehre von der Gottheit
bei Alanus. Die Sätze der Einleitung erhalten
hier ihre vollftändige Rechtfertigung, überall werden nicht
nur die nächften Quellen des A. nachgewiefen, fondern
es wird die Beziehung der Annahmen deffelben zu der
gefammten Gefchichte der einzelnen Fragen und Probleme
im früheren Mittelalter mit grofscr Sorgfalt und
Sachkenntnifs ins Licht gehellt. Da es viel zu weit
führen würde, dem ganzen Gange der Unterfuchung zu
folgen, müffen wir uns darauf befchränken, einige für die
Kenntnifs und Würdigung des Alanus befonders wichtige
Punkte hervorzuheben.

Das Eigenthümlichfte bei A. ift feine Methode; fie
hat ihm das Intereffe erworben, das die Gefchichts-
fchreiber der Philofophie ihm zugewendet haben. Auch
B. findet, dafs A. hier felbftftändiger ift als in anderer
Hinficht, dafs feine beiden fyftematifchen Schriften, die
Regulae und die Ars fidei fich von den gewöhnlichen
Summen- und Sentenzenbüchern unterfcheiden, und was
ihre methodifche Anlage und Durchführung betrifft, in
der Literatur des zwölften Jahrhunderts eine Art Aus-
nahmeftellung einnehmen. Doch laffen fich auch hier
beftimmte Anknüpfungspunkte in der älteren Litteratur
nachweifen; fchon Boethius hatte die mathematifche Methode
als die wiffenfehaftliche Methode überhaupt bezeichnet
, und Gilbert von Poitiers hatte die Ausdehnung
der mathematifchen Deduction auf das ganze Gebiet der
Wiffenfchaft gefordert. Auch hatte Boethius verlangt,
dafs zum Zwecke der Argumentation Sätze, die durch
fich felbft einleuchten, .Maximen' aufzuftellen feien. Davon
hat A. die Anwendung auf die Theologie gemacht
und in feltfamer Weife die Glaubenswahrheiten unter
den logifchen Gefichtspunkt von Axiomen geftellt. Zu-