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Ausgabe:

1896

Spalte:

645-646

Autor/Hrsg.:

Häring, Theodor

Titel/Untertitel:

Dichaioyne Theoy bei Paulus 1896

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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denkbar zu machen. Wiederum ift es nicht an dem,
dafs die Evangeliften diefe Bezeichnung mit Bewufstfein
für den meffianifchen Theil ihres Berichts, der ganz davon
beherrfcht ift, vorbehalten hätten (S. 2491"., 252 f.), fondern
fie verfahren damit ganz forglos, als ob es erlaubt wäre,
eine Bezeichnung, von welcher es eben feft fteht, dafs
fie Jefus jedenfalls gebraucht hat, auch an jedem beliebigen
Orte, wo er von fich felbft fpricht, anzuwenden
(S. 251). Auch bedurfte es erft einer vielfach vermittelten
Einficht in das fchriftftellerifche Abhängigkeitsverhältnifs
und die Zweckbeftimmung der einzelnen Evangelien, um
über die Rolle, welche der fraglichen Selbftbezeichnung
im gefchichtlichen Pragmatismus des Lebens Jefu zukommt
, ins Reine zu kommen und fie von den Gedanken,
welche diefer oder jener Evangelift damit verbindet, zu
unterfcheiden (S. 246, 257h). Aus diefen Gründen bin
ich, auch nachdem mir vorliegendes Buch durch die Güte
des Verfaffers gerade noch in letzter Stunde bekannt
geworden war, doch bei der Erwartung flehen geblieben
(S. 264), auch die semitifche Philologie werde fich noch
mit der Möglichkeit befaffen und vielleicht befreunden,
dafs der, anfänglich in feiner landläufigen Bedeutung
,Menfch' Allen felbftverftändliche, Ausdruck durch den
gefteigerten Nachdruck, womit Jefus ihn je länger je
mehr geltend machte, zu einem die Ahnungen der Jünger
befchäftigenden Geheimnifs werden konnte, welches feiner
Löfung allmählich entgegenreifte und diefelbe endlich
im Moment des Petrusbekenntniffes auch gefunden hat.

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Häring, Prof. D. Thdr., dtxaioovvtj &eov> bei Paulus.
Tübingen, Heckenhauer, 1896. (72^ S. 4.) M. 1. 80.

Unterzeichneter kann nur aufrichtig bedauern, dafs
ihm bei Ausarbeitung des bezüglichen Abfchnittes feiner
,neuteftamentlichen Theologie' (II, S. I26f.) diefe gehaltvolle
und belehrende Arbeit des Tübinger Theologen nicht
vorgelegen hat. Sie eignet fich in vorzüglichem Grade
dazu, als Ausgangs- und Orientirungspunkt für fruchtbare
Verhandlungen über den immer noch räthfelhaften
Begriff der paulinifchen Gottesgerechtigkeit zu dienen.
Und zwar fchon darum, weil fie eine mit grofser Sorgfalt
entworfene, klar geordnete Ueberficht der wichtigften
Erklärungsverfuche mit ihren mancherlei, fo weit auseinanderlaufenden
, Möglichkeiten bietet und damit einen
durch das Labyrinth der Exegefe ficher leitenden Faden
an die Hand gibt. ,Bei der hergebrachten Deutung wird
eigentlich immer nur 1, 17 und 3, 21, 22, etwa noch
10, 3 einheitlich verftanden, während die mit 3, 21 fo eng
verwachfenen Verfe 3, 25 und 26 einen andern Begriff
von ör/.((ioarvrj enthalten follen, was ja fchon zu Anfang
bedenklich machen mufste' (S. 62). Nun handelt es fich
aber allein im Römerbrief um 8 Stellen, dazu noch um
2. Cor. 5, 21 und aufserdem um einige Stellen, wo zwar
nicht der Terminus dt/.aioovrrj Osoi-, aber doch offenbar
verwandte Ausdrücke, wie namentlich Phil. 3, 9 begegnen.
Es begreift fich, wie man, vor der Aufgabe flehend, fo
auseinander liegende Ausfagen unter einen Hut zu bringen
, dem betreffenden zusammenhaltenden Begriff eine
gewiffe Dehnbarkeit zufchreiben, d. h. das Heil in der
Combination verfchiedener Erklärungen fuchen mochte.
Es begreift fich aber auch, wie unfer Verfaffer S. 18f.
von vornherein über folche Verfuche fehr abgünftig ur-
theilen mag. Stehen fie doch in Widerfpruch mit der
hermeneutifchen Regel, wonach ein Wort in einem be-
flimmten Zufammenhang immer nur einen beflimmten
Gedanken ausdrücken kann. Demnach werden hier alle
diejenigen Deutungen ausgefchieden, welche mehrere,
meid auch verfchiedenartige und auseinander liegende,
Gedanken in dem einheitlichen Wortausdruck vereinigen
wollen. Dahin gehören die S. 14 unter A II (ein Druckfehler
fetzt dafürI) aufgeführten Deutungen von H.Ewald,
G. Volkmar, A. Schlatter, und namentlich fowohl J. T.

wie H. Beck. Gleichwohl lefen wir, nachdem die
Schwierigkeiten, die mit den Raffungen von OJenv als
Gen. qualitatis bezw. possessivus, und als Gen. autoris verbunden
find, zur Sprache gebracht waren, von jenen
Verfuchen: ,So wenig fie für eine ftrengere Exegefe in
Betracht kommen, weil fie Disparates zufammenzwingen,
fo wichtig find fie jetzt als Zeugen für das Unbefriedigende
der herrfchenden Erklärung, denn regelmäfsig tritt in
ihnen als ein Moment das auf, zu dem wir immer mehr
hingedrängt werden' (S. 26). Mit vollem Recht hat
nämlich Kühl wieder auf die fubjective Raffung des
Gen. in der Hauptftelle Rom. 1, 17 hingewiefen, aus
welcher in formeller Uebereinftimmung mit ihm und
theilweife auch mit Kolbing unfer Verfaffer fchon um
des Gegenfatzes zu nqyr{ 1, 18 willen den Begriff,Gottes
Rechtfertigung' im Sinne von .rechtfertigende Thätigkeit',
.freifprechendes Richterwalten' gewinnt (S. 33 f., 40, 45).
Somit bezeichnet der Ausdruck nicht fowohl eine
,ruhende Eigenfchaft', als vielmehr etwas Actives, ein
heilsverleihendes Wirken und Walten. Dafür beruft er
fich mehrfach (S. 36f, 45) auf das abfchliefsende ilg tö
elvai ai tov dlxaiov /ort dixaiovrin 3, 26, wobei angefichts
der ganzen Umgebung und des nächllen Zufammen-
hanges diefer Stelle nur bezweifelt werden mufs, ob wir
damit an der im Sühnetod geoffenbarten Strafgerechtigkeit
und an der Beziehung der tvöei^ig zrje öixaioavvrjg uvroü
darauf vorbeikommen (vgl. S. 37). Unfer Verfaffer gewinnt
fein Verftändnifs der Stelle lieber aus Gerechtig-
keitsfprüchen der Pfalmen und des zweiten Jefaja und
meint, ,dafs, wenn die di/.aioovvr QenZ fchon im A. T.
an vielen Stellen kein anderes Verftändnifs zuläfst als
rechtfertigende Gerechtigkeit, dies vollends im Römerbriefe
an den befprochenen Orten unausweichlich ift, und
dafs Paulus bei feinen Lefern hierfür auf Verftändnifs
rechnen durfte' (S. 44f.). Letzte Erwartung ift vielleicht
zu hoch gegriffen, falls die Lefer des Römerbriefs nicht
fchon von vornherein als mit dem ivnng öidcr/)^ 6, 17
des Paulus und feinen Hauptfchlagwörtern vertraut vor-
auszufetzen fein follten. Und wenn fchliefslich rechtfertigendes
Walten Gottes auch die reformatorifche .Gerechtigkeit
, die von Gott ausgeht und vor Gott gilt'
(S. 68) zur nothwendigen Folge haben mufs und folches
gleichfalls fchon in den altteftamentlichen Präformationen
des Begriffes enthalten fein foll (S. 42 f.), fo wird doch
auch diefe neuefte Deutung zu einer recht weit verzweigten
und verlieht fich am Ende der Ausdruck auch
fo nur als eine, mancherlei Verhältnifsbeftimmungen
umfchliefsende, technifche Abbreviatur für einen ganzen
Gedankencomplex, womit es der Unterzeichnete (a. a. O.
S. 128) verfocht hat. Es ifl bezeichnend, dafs Keffel-
ring, welcher feither wieder das gute Recht der kirchlich
herkömmlichen Auslegungsweife vertreten hat (Pro-
teftantifche Kirchenzeitung S. 861 f.), dies doch nur fertig
bringt unter ausdrücklichem Verzicht auf eine einheitliche
Raffung des Begriffes in den zufammengehörigen,
nur durch eine Ausführung über die 1, 18 angekündigte
Zornoffenbarimg unterbrochenen, Stellen 1, 17. 3, 21, 22
einerfeits und 3, 25. 26 andererfeits.

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

B eversluis, Predikant M., De heilige Geest en zijne werkingen,

volgens de Schriften des Nieuwen Verbonds. Utrecht,
C. H. E. Breijer, 1896. (XI, 508 S. gr. 8.) F. 4. 75.
Als vor einem halben Jahrhundert Kahnis den erflen
Teil feiner ,Lehre vom heiligen Geift' veröffentlicht hatte,
äufserte ein angefehener Theologe fich fehr unmuthig
über die Breite, in welcher der Gegenftand hier zur Behandlung
gebracht war: wenn in diefem Stil weiter gearbeitet
werden follte, werde das Menfchenleben zu kurz,
um felbft dem Specialiften eine einigermafsen vollfländige
Ueberficht über die Literatur feines Faches zu ermög-